„Er hat für mich aufgehört, ein Mensch zu sein“

Vor dem Landgericht schildert die Tochter der in Aspach entführten Pflegekraft, wie sie die Beziehung der Eltern erlebt hat.

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Von Hans-Christoph Werner

ASPACH/STUTTGART. In dem Fall der Entführung einer Pflegekraft (wir berichteten) hatten sich die Angeklagten am dritten Verhandlungstag ausführlich zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen geäußert. Aufgrund der Vernehmungsprotokolle der französischen Polizei hatten die Richter immer Detailfragen gestellt. Dabei war die Tendenz zu beobachten gewesen, dass die Angeklagten wichtige Antworten schuldig blieben. Entweder bestritten sie grundsätzlich ihre Aussagen bei der französischen Polizei oder führten einen Übersetzungsfehler an.

Am sechsten Verhandlungstag überrascht nun die Beigeordnete Richterin mit der Auskunft, dass die Vernehmung in Frankreich aufgezeichnet wurde. Insgesamt sechs Stunden an Bild- und Tonmaterial stünden zur Verfügung. Und sie entlässt die Angeklagten zusammen mit ihren Verteidigern (insgesamt drei) in eine Beratungspause mit der Frage, ob denn die Angeklagten bei der Bestreitung verschiedenster Aussagen blieben.

Die Antwort nach der Pause ist nicht eindeutig. Die Wortführerin der Verteidigung berichtet, dass ihre Mandanten dabei blieben, dass sie manches nicht gesagt hätten oder dass es falsch übersetzt worden sei. Der Vorsitzende Richter schlägt vor, die Aussagen, die für das Richtergremium von großer Wichtigkeit sind, zusammenzustellen. Und die Angeklagten damit nochmals zu konfrontieren. Wenn es sein muss, mithilfe der Aufzeichnungen der französischen Polizei. Dem wird zugestimmt.

Sodann wird am sechsten Verhandlungstag die Tochter der entführten Pflegekraft als Zeugin vernommen. Wie hat sie die Entführung ihrer Mutter erlebt? Wie hat sie die Beziehung ihrer Mutter mit Maciej I. erlebt? Als sich die Geschehnisse im Mai 2019 zuspitzten, schrieb die Tochter ihrer Mutter: „Ich spüre, dass eine Axt in der Luft hängt.“ Sie weiß auch davon, dass ihr Vater Maciej I. mit Selbstmord drohte. Aber diese Drohung hätte es in letzter Zeit jedes Jahr gegeben. Will heißen: Sie war nicht mehr so ganz ernst zu nehmen. Ferner war der Vater offenbar stets eifersüchtig. Jeden Bekannten seiner 48-jährigen Lebenspartnerin hielt er für einen potenziellen Nebenbuhler. Die Haltung des 52-jährigen Automechanikers zu seiner Partnerin, so soll er selbst einmal gesagt haben, lässt sich mit dem Satz zusammenfassen: „Wenn ich sie nicht haben kann, kann sie keiner haben.“

Ende Mai 2019 ist Maciej I. dann mit seinem Komplizen Krzystof T. nach Deutschland aufgebrochen. Die Tochter, mit der der Vater immer wieder im WhatsApp-Kontakt steht, lässt er bewusst im Ungewissen. Er spricht ihr gegenüber von „Angelegenheiten“, die er in Deutschland erledigen müsse, bittet sie, sich um die beiden Hunde in seiner Wohnung zu kümmern.

Es ist ein Montag, der 3. Juni, an dem die 48-Jährige verhängnisvollerweise in das Wohnmobil ihrer Entführer steigt. Der Vater schreibt der Tochter: „Wir kommen am Sonntag zurück. Alles in Ordnung.“ Und ferner wolle er mit der Mutter am 9. August ans Meer fahren.

Als die Mutter verschwindet, ahnt die Tochter Schlimmes.

Als die Tochter dann erfährt, dass die Mutter in Deutschland verschwunden ist, und schon Ungutes ahnt, telefonieren Vater und Tochter erneut. Sie fragt: „Wo ist Mama? Was hast du ihr angetan?“ Und erhält die Antwort: „Mama wird dich anrufen.“ Ihre flehentliche Bitte, „Gib sie mir ans Telefon!“, wird geflissentlich überhört. Das, was Maciej I. ihrer Mutter angetan hat (sie nennt ihn auch nie „Vater“, sondern spricht stets von „Herrn Maciej“), ist für die Tochter so erschütternd, dass sie sagt: „Er hat für mich aufgehört, ein Mensch zu sein.“

Gefragt, wie denn all die Jahre über die Beziehung der Eltern gewesen sei, sagt die Tochter: chaotisch. Im Lauf der Jahre habe die Mutter sich immer wieder trennen wollen. Maciej I. aber verstand es offenbar, entweder Mitleid zu erregen oder seiner Partnerin ein schlechtes Gewissen zu machen. Die Pflegekraft blieb. Bis zum Mai 2019.

Als die zweieinhalbstündige Befragung der Tochter vorbei ist, meldet sich Maciej I. zu Wort. Er beginnt, verschiedene Aussagen der Tochter zu bestreiten. Und eine Trennung war’s schon gar nicht. Die 48-Jährige habe ihm noch eine SMS geschickt mit dem Inhalt: „Komm zurück!“ Bedauerlicherweise findet sich diese SMS auf keinem der beschlagnahmten Mobiltelefone. Ferner habe sie ihm noch Geld gegeben. Der Vorsitzende Richter weist Maciej I. darauf hin, dass er das schon anders erzählt habe. Und fügt an: „Es ist nicht gut, wenn man einmal so, einmal anders erzählt.“

Am nächsten Verhandlungstag ist die Entführte nochmals im Zeugenstand. Bei ihrer ersten Vernehmung war keine Zeit mehr, dass die Verteidiger ihr Fragen stellten. Das soll nachgeholt werden.

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Erstellt:
18. Juli 2020, 06:00 Uhr

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