Nach dem Ende des Gazakriegs

Erdogan wird Schlüsselfigur in Nahost

Die Türkei entwickelt sich zu einem zentralen Akteur im Nahen Osten. Das zeigt ihre Rolle im Gaza-Friedensprozess.

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan wünscht sich sein Land als die Türkei als dominierende Regionalmacht .

© IMAGO/Anadolu Agency/IMAGO/TUR Presidency /Murat Kula/ Handout

Der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan wünscht sich sein Land als die Türkei als dominierende Regionalmacht .

Von Gerd Höhler

Staatschef Recep Tayyip Erdoğan konnte den USA Gesprächskanäle zur Hamas öffnen, über die Washington selbst nicht verfügt. Nun will er das Gewicht seines Landes auch gegenüber der EU nutzen. Seit Jahren nimmt Erdoğan maßgeblich Einfluss auf die Entwicklungen in Syrien, Libyen, dem Irak und Libanon. Sein Ziel: die Türkei als dominierende Regionalmacht und sicherheitspolitischen Partner des Westens zu etablieren. Doch alte Konflikte mit den Nachbarn und das gespannte Verhältnis zu Israel bleiben eine Belastung. Lange galt Erdoğan wegen seiner Feindschaft gegenüber Israel und seiner Unterstützung der Hamas als ungeeigneter Vermittler im Gaza-Konflikt. Doch nach den von den USA eingeleiteten Gesprächen zwischen Israel und der Hamas sieht Ankara nun die Chance, den Prozess mitzugestalten. Sein außenpolitisches Team – Geheimdienstchef İbrahim Kalın, Außenminister Hakan Fidan, Stabschef Hasan Doğan und Sicherheitsberater Akif Çağatay Kılıç – ist seit Wochen im Dauereinsatz.

Militärpräsenz in Gaza

Ein zentraler Schritt ist die geplante türkische Beteiligung an der Überwachung der Waffenruhe in Gaza. Neben den USA, Ägypten, den Emiraten und Katar will auch die Türkei Soldaten entsenden – ein symbolisch wichtiger Beitrag, der Ankaras Anspruch auf eine führende Rolle unterstreicht. Eine Militärpräsenz in Gaza wäre für Erdoğan, der sich als Schutzpatron der Palästinenser sieht, die Einlösung eines Versprechens, könnte aber neue Konflikte mit Israel provozieren. Wie geschickt Erdoğan Einfluss gewinnt, zeigt Syrien. Nachdem die von Ankara unterstützte Rebellengruppe HTS Ende 2024 das Assad-Regime stürzte, hat die Türkei ihre Position erheblich gestärkt. Der iranische Einfluss wurde zurückgedrängt, der russische geschwächt. Auch in Libyen festigt Ankara seine Stellung: Türkische Truppen und Militärberater unterstützen die Übergangsregierung in Tripolis, gemeinsame Erdgasprojekte laufen – teils in Seegebieten, die nach der UN-Seerechtskonvention Griechenland zustehen. Parallel sucht Erdoğan nach Jahren der Entfremdung wieder den Dialog mit Ägypten.

Vorbild Osmanisches Reich

Die neue Außen- und Sicherheitspolitik wird von wachsenden Aktivitäten auf dem Balkan, in Zentralasien und Afrika flankiert. Beobachter sehen darin den Plan Erdogans, den Einflussraum des einstigen Osmanischen Reichs in moderner Form wiederzubeleben. Welchen Platz Israel in dieser Vision hat, bleibt unklar. Noch im März verfluchte Erdoğan die Menschen in Israel: „Möge mein Gott Zerstörung und Elend über das zionistische Israel bringen“. Im Juni erklärte er, Premier Netanjahu habe „Hitler längst übertroffen“. Auch gegenüber Griechenland und Zypern zeigt sich Ankara konfrontativ: Im Streit um die Wirtschaftszonen im östlichen Mittelmeer ließ Erdoğan Kriegsschiffe auffahren, um Arbeiten an einem von der EU mitfinanzierten Stromkabel von Griechenland nach Israel zu blockieren. Auch die Verlegung einer Untersee-Datenleitung von Frankreich über Griechenland nach Saudi-Arabien will die Türkei verhindern. Erdoğan setzt darauf, dass die Türkei wegen ihres geostrategischen Gewichts als unverzichtbarer Partner gilt. Die Rechnung scheint aufzugehen: Die Bundesregierung genehmigte jüngst nach jahrelangen Vorbehalten den Export von Eurofightern an die Türkei.

Selbstbewusst gegenüber der EU

Kritik aus Berlin an der Aushöhlung der Demokratie, der politischen Gängelung der Justiz und den Massenverhaftungen von Oppositionspolitikern ist weitgehend verstummt. Entsprechend selbstbewusst tritt Erdogan jetzt gegenüber der EU auf. Die Türkei fordert die Teilnahme am Rüstungsprogramm SAFE, das Kredite für Waffenbeschaffungen bis zu 150 Milliarden Euro vorsieht. Einer solchen Beteiligung müssten alle 27 EU-Staaten zustimmen. Viele Regierungen zeigen sich offen. Sie sehen die Türkei mit der größten Landstreitmacht der NATO als wichtigen Sicherheitspartner an der Schwelle zum Nahen Osten. Ein Hindernis bleibt Griechenland. Premier Kyriakos Mitsotakis betonte: „Staaten, die EU-Mitglieder mit Krieg bedrohen, haben keinen Platz in SAFE.“ Mitsotakis spielt damit auf den „Casus Belli“-Beschluss des türkischen Parlaments von 1995 an. Die Nationalversammlung in Ankara ermächtigte damals die Regierung, Griechenland den Krieg zu erklären, wenn das Land seine Hoheitsgewässer von sechs auf zwölf Meilen ausdehne, wozu Athen nach der UN-Seerechtskonvention berechtigt ist. Mitsotakis verlangt, dass die Türkei diese Kriegsdrohung zurücknimmt und Gebietsansprüche auf Ägäisinseln aufgibt. Doch Anzeichen dafür gibt es bisher nicht. Der türkische Verteidigungsminister Yaşar Güler wies die griechischen Forderungen als „Fehler“ zurück.

Zum Artikel

Erstellt:
13. Oktober 2025, 14:10 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen