Türkische Politik

Erdogans neue Libyen-Politik entsetzt die Nachbarn

Die Türkei sucht die Nähe zum libyschen General Khalifa Haftar – mit gravierenden Folgen.

Ein Offizier salutiert während einer Militärübung im östlichen Mittelmeer.

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Ein Offizier salutiert während einer Militärübung im östlichen Mittelmeer.

Von Susanne Güsten

Trottel, Putschist und Feigling: Wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der libysche General Khalifa Haftar in den vergangenen Jahren übereinander sprachen, fielen harte Worte. Erdogan unterstützte Haftars inner-libysche Rivalen und ließ einen Angriff von Haftars Truppen auf die Hauptstadt Tripolis mit türkischen Kampfdrohnen abwehren. Doch jetzt kommt die Kehrtwende. Erdogans Geheimdienstchef Ibrahim Kalin stattete Haftar diese Woche einen Besuch ab. Erdogan will Haftars Zustimmung zu einem Vertrag, der die türkischen Hoheitsansprüche im östlichen Mittelmeer erheblich ausweiten würde. Neuer Streit mit der EU zeichnet sich ab.

Mehrere internationale Akteure konkurrieren in Libyen um Einfluss

Im gespaltenen libyschen Staat, der seit dem Tod von Diktator Muammar Gaddafi im Jahr 2011 keine zentrale Regierung mehr hat, stehen sich die international anerkannte Regierung im westlibyschen Tripolis und Haftars ostlibysches Parlament in Tobruk gegenüber. Mehrere internationale Akteure konkurrieren um Einfluss. Die Türkei gehört dazu.

Erdogan schloss mit der Führung in Tripolis vor sechs Jahren einen Vertrag, der das östliche Mittelmeer zwischen Türkei und Libyen aufteilte. Das Abkommen dehnte das türkische Hoheitsgebiet bis in die Nähe der griechischen Insel Kreta aus; auch Gewässer um Rhodos und andere griechische Mittelmeerinseln sollten von der Türkei kontrolliert werden. Zypern und Griechenland würden demnach von türkischen oder libyschen Gewässern getrennt. Der Vertrag war einer der Gründe für die Krise zwischen der Türkei und der EU im östlichen Mittelmeer, wo sich Ankara, Nikosia und Athen um Erdgasvorräte streiten.

Erdogan schickte seinem Geheimdienstchef zum Freundschaftsbesuch Der Vertrag von 2019 wurde bisher nicht umgesetzt, weil nur die westlibysche Regierung unterschrieb, nicht aber die Führung von Haftars Machtbereich. Das will Erdogan jetzt nachholen, indem er die Beziehungen zu Haftars Regime verbessert. Der türkische Präsident schickte neben seinem Geheimdienstchef auch ein Kriegsschiff zu einem Freundschaftsbesuch in den Osten Libyens. Das ostlibysche Parlament könnte nach Medienberichten bald über das Abkommen von 2019 abstimmen.

Sollte das Parlament den Vertrag ratifizieren, wäre das ein wichtiger Erfolg für die Türkei, sagt Nebahat Tanriverdi vom Zentrum für Angewandte Türkei-Studien der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Türkei beansprucht unter ihrer Strategie „Mavi Vatan“ („Blaues Vaterland“) große Teile von Ägäis und Mittelmeer und will in den Gewässern nach Öl und Gas suchen.

Die Türkei sehnt sich nach einer stabilen Regierung in Libyen

Die Türkei wolle sich mit Haftar arrangieren, um sich nicht länger nur auf die instabile Regierung in Tripolis stützen zu müssen, sagte Tanriverdi unserer Zeitung. Die Türkei interessierten sich für die Ölreserven Libyens, die größten Afrikas; das Seeabkommen würde der Türkei das Recht einräumen, vor der libyschen Küste nach Öl und Gas zu suchen.

Die Gelegenheit für Erdogan ist günstig. Haftars einstiger Partner Russland ist wegen des Ukraine-Krieges abgelenkt. Ankara sieht laut Tanriverdi deshalb die Chance, den türkischen Einfluss in Libyen auf den Osten des Landes auszuweiten.

Erdogans neue Libyen-Politik macht andere Staaten in der Region nervös. Griechenland, Zypern und Ägypten planen ein Unterwasser-Stromkabel im östlichen Mittelmeer, das Afrika und Europa – unter Umgehung der Türkei – miteinander verbinden soll. Das türkisch-libysche Abkommen könnte das Projekt unmöglich machen.

Protestbrief an die UNO

Zypern bekräftigte jetzt in einem Brief an die UNO seinen Widerstand gegen das türkisch-libysche Abkommen. Ägypten, das im Osten an Libyen grenzt, fordert laut Medienberichten, die USA sollten einschreiten, um die Zustimmung von Haftars Regime zum Vertrag mit Erdogan zu verhindern. Griechenland verstärkt seit einiger Zeit seine Bemühungen, Haftar auf seine Seite zu ziehen.

Expertin Tanriverdi erwartet, dass die griechische Regierung in Athen und die zypriotische Regierung in Nikosia auf mehreren Ebenen auf die türkische Initiative reagieren werden. Dazu gehöre der Versuch, direkt auf Haftar und das ostlibysche Parlament einzuwirken, um die Ratifizierung des türkisch-libyschen Vertrages zu verhindern. Griechenlands Außenminister Giorgos Gerapetritis besuchte Haftar im Juli und brachte eine Bitte des Generals um griechische Investitionen in Libyen mit nach Hause. Zudem dürften die Rivalen der Türkei den Vertrag rechtlich anfechten und EU-Institutionen zum Widerstand gegen das Vorhaben auffordern, meint Tanriverdi.

Die EU hatte die Türkei zuletzt im Juni gewarnt

Die EU hatte die Türkei zuletzt bei einem Gipfel im Juni gewarnt, das Abkommen mit Libyen verletze internationales Recht und die Rechte von Griechenland und Zypern. Sollte das ostlibysche Parlament in Tobruk den Vertrag ratifizieren, „wird sich die EU zu einer Antwort gezwungen sehen“, sagt Tanriverdi. Die türkisch-europäischen Beziehungen, die sich in jüngster Zeit wieder etwas erholt hatten, könnten in eine neue Krise schlittern.

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Erstellt:
27. August 2025, 14:28 Uhr
Aktualisiert:
27. August 2025, 17:06 Uhr

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