Entwicklungshilfeministerin
„Es nützt uns, wenn wir in eine Metrostation in Sao Paolo investieren“
Reem Alabali Radovan (SPD) hat das Entwicklungsministerium in schweren Zeiten übernommen und sagt: Deutschland kann sich mit Blick auf die globalen Krisen nicht einigeln.
© photothek.de/Dominik Butzmann
Alabali Radovan ist die jüngste Ministerin im aktuellen Kabinett.
Von André Bochow und Rebekka Wiese
Zum Interview kommt Reem Alabali Radovan verspätet, wofür sie sich entschuldigt. Die Kabinettssitzung hat länger gedauert. Nun gießt die Entwicklungsministerin den Gästen den Kaffee ein, ist aber schon wieder in Zeitnot, weil sie einen Termin in Hamburg hat. In ihrem Büro mit dem wunderbaren Blick über Berlin finden sich die ersten Mitbringsel von ihren Reisen. Sie ist viel unterwegs. Gaza, Belém, und demnächst wieder in Afrika. Dabei hätte es ihr Ministerium fast nicht mehr gegeben. Die Union wollte es eigentlich im Auswärtigen Amt aufgehen lassen. Die SPD konnte sich dann bei den Koalitionsverhandlungen durchsetzen, aber nur um den Preis von Etatkürzungen. Die hätten noch schlimmer ausfallen können. Die 35-jährige Ministerin war vor der großen Politik-Karriere aktive Hobby-Boxerin. Vielleicht hilft ihr das jetzt.
Sie waren anlässlich der Klimakonferenz für einige Tage in Belém. Dort hat es ja offenbar nicht allen deutschen Besuchern gut gefallen. Wie fanden Sie es?
Für mich waren es sehr spannende Tage in Brasilien. Ich hatte dort viele interessante Gespräche. Im Amazonasgebiet habe ich zum Beispiel eine indigene Unternehmerin kennengelernt, die nachhaltige Schokolade herstellt und den Tropenwald schützt. Man spürt, wie stolz die Brasilianerinnen und Brasilianer darauf sind, dass die Welt nach Belém gekommen ist.
Dass Bundeskanzler Friedrich Merz sich nach seinem Besuch nun so despektierlich über Belém geäußert hat, hat viele Menschen in Brasilien getroffen und verärgert.
Ich bin täglich mit meinem Kollegen Carsten Schneider in Kontakt, der für die zweite Woche der Konferenz nach Belém gereist ist. Er hat mir weiter von guter Stimmung erzählt, auch weil Deutschland nun eine feste Zusage geben konnte für den Schutz des Regenwaldes. Die tropischen Regenwälder sind die grüne Lunge unserer Welt. Und das Klima macht nicht an Grenzen Halt. Daher unterstützt die Bundesregierung die innovative Idee von Brasilien zum Schutz der Wälder. Deutschland wird den Regenwald-Fonds TFFF für die nächsten zehn Jahre mit einer Milliarde Euro mitfinanzieren.
Die USA haben den Großteil ihrer Entwicklungshilfe gestrichen. Können Sie erklären, wie sich das auf den Klimaschutz auswirkt?
Die USA haben sich ja nicht nur aus der Entwicklungszusammenarbeit zurückgezogen, sondern auch aus dem Pariser Klimaabkommen. Das trifft nicht zuletzt auch die Klimafinanzierung hart. Und es kommt hinzu, dass die Kürzungen der Entwicklungszusammenarbeit vor allem die Länder des Globalen Südens treffen, die gleichzeitig besonders unter der Klimakrise leiden – obwohl sie am wenigsten dazu beigetragen haben. Und wenn in diesen Ländern nun Geld wegfällt, dann hat das vor Ort auch Folgen für den Klimaschutz. Das verschärft das Problem. Klimaschutz ist Armutsbekämpfung.
Haben Sie denn den Eindruck, dass Sie in diesem halben Jahr die Kritiker der Entwicklungszusammenarbeit irgendwie beeindrucken konnten – zumindest so, dass sie die Existenz Ihres Hauses nicht mehr infrage stellen?
Mir geht es vor allem darum, dass die Bürgerinnen und Bürger verstehen, weshalb Entwicklungszusammenarbeit so wichtig ist – auch für uns in Deutschland. Weshalb es hier um Investitionen in unseren Frieden, in unsere Sicherheit und auch in unseren Wohlstand geht. Mir ist wichtig, dass alle verstehen, was es uns nützt, wenn wir zum Beispiel in eine Metrostation in Sao Paolo investieren, die mit erneuerbarer Energie betrieben und in Partnerschaft mit deutschen Unternehmen gebaut wird.
Und was nützt es uns?
Es ist ein Win-Win für beide Seiten. Wir unterstützen mit deutschen Krediten, die mit Zinsen zurückgezahlt werden. Die Beteiligung deutscher Unternehmen wie Siemens nutzt unserer Wirtschaft. Gleichzeitig ist es ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz, wenn Millionenmetropolen ihre Emissionen senken.
Sie haben kurz nach Ihrem Amtsantritt gesagt, den Ausfall der USA können weder Europa noch Deutschland kompensieren. Ist es nicht eher so, dass es unpopulär wäre, in die Bresche zu springen?
Deutschland ist weltweit ein geschätzter Akteur in der Entwicklungszusammenarbeit – sei es bei der Weltklimakonferenz, beim G20-Treffen in Südafrika oder bei der Weltbank in Washington. Es ist zu spüren: Unsere Expertise und Verlässlichkeit werden sehr geschätzt. Wir können auf starke Partnerschaften bauen – und das ist wichtig. Aber seien wir ehrlich: Die USA waren in der Entwicklungspolitik ein großer und wichtiger Player. Da geht es um viel mehr Geld, als dass es mit öffentlichen Mitteln kompensiert werden könnte.
Aber angesichts des Rückzugs der USA bräuchte es doch mehr Geld in Ihrem Etat und nicht weniger. Stört es Sie nicht, dass da jetzt gekürzt wurde?
Natürlich sind die Kürzungen extrem schmerzhaft. Gerade wegen der dramatischen Entwicklungen wie im Sudan, in Gaza oder in der Ukraine. Aber klar ist: Wir haben mit dem Haushalt 2026, wenn er vom Deutschen Bundestag beschlossen wird, weiter ein Budget von über 10 Milliarden Euro. Dafür habe ich mich sehr eingesetzt. Denn es heißt, dass wir weiterhin verlässlich unterstützen und investieren können.
Sie wollen bis zum Jahresende einen Reformprozess in Ihrem Ministerium abschließen. Der umfasst vier Punkte. Der erste: Armut, Hunger und Ungleichheit bekämpfen. Was ist daran neu?
Das Ziel ist natürlich nicht neu, es ist der Kern der Entwicklungszusammenarbeit. Es geht darum, uns stärker darauf zu fokussieren. Wir müssen auch noch besser werden, mit dem eingesetzten Geld den größten Nutzen zu erzielen. Dazu gehört, dass die Menschen Hunger und Armut entgehen und in ihren Heimatregionen bleiben können. Das ist auch Migrationspolitik. Krisen, Kriege, Klimawandel stoppen nicht an Landesgrenzen. Wir können uns in Deutschland nicht einigeln. Was in der Welt passiert, betrifft uns ganz direkt. Entwicklungspolitik wirkt Fluchtursachen entgegen.
Der zweite Schwerpunkt ist Frieden und Stabilität. Was genau ist hier der Reformansatz?
Entwicklungspolitik ist Friedenspolitik und zugleich Sicherheitspolitik. Denn Prävention von Krisen und Konflikten stabilisiert ganze Regionen. Und das BMZ ist auch ein Wiederaufbauministerium. Unser Einsatz ist aktuell besonders in der Ukraine, in Gaza oder auch im Sudan gefragt.
Viele Bürger haben den Eindruck, für Kriegsfolgen bezahlen zu müssen, für die sie nicht verantwortlich sind.
Wir haben am Beispiel in Syrien gesehen, wie schnell es uns erreicht, wenn in Europas Nachbarschaft die Lage instabil ist, wenn Kriege ausbrechen. Es ist in unserem eigenen Interesse, dass die Konflikte beigelegt werden.
Wie sind denn die Pläne für Gaza?
Wir haben Hilfe beim Wiederaufbau zugesagt. Aber noch ist die Lage leider sehr fragil. Solange die politischen Rahmenbedingungen nicht geklärt sind, können wir erst einmal nur Übergangs- und Nothilfe leisten, zum Beispiel mit Übergangsunterkünften.
Und was können Sie im Sudan tun?
Mich erschüttern die Bilder und Nachrichten aus dem Sudan sehr. Die Situation dort braucht noch viel mehr internationale Aufmerksamkeit. Es ist ja nur deshalb ein sogenannter vergessener Konflikt, weil sich die Welt nicht ausreichend kümmert. Das Auswärtige Amt organisiert humanitäre Hilfe und wir unterstützen vor allem die Geflüchteten. Millionen sind im Sudan auf der Flucht oder suchen Schutz in den Nachbarländern Äthiopien, Tschad oder Uganda. Ich werde demnächst in die Region reisen, um mir einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Immerhin gibt es jetzt einen Waffenstillstand. Wir müssen alles unternehmen, damit der stabil bleibt.
Punkt drei Ihrer Reformbestrebungen ist der Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit.
Genau. Wir haben im Oktober einen Aktionsplan für die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft vorgestellt. Ich will mal einen Punkt herausgreifen: Wir setzen uns dafür ein, dass deutsche und europäische Unternehmen mehr von Aufträgen in der Entwicklungszusammenarbeit profitieren. Es geht um bessere Vergabeverfahren, aber auch um faire Arbeitsbedingungen für die Menschen in den Ländern des Globalen Südens. Denn anders als China beispielsweise geht es uns auch um die Wertschöpfung vor Ort. Um Partnerschaften auf Augenhöhe, die die Interessen beider Seiten berücksichtigen und verlässlich sind. Das ist ein Vorteil, den wir noch viel stärker nutzen müssen.
Der vierte Punkt Ihrer Reform beinhaltet die Stärkung strategischer Allianzen. Wer ist damit gemeint?
Die Herausforderungen unserer Zeit, die Krisen, Kriege und tektonischen Verschiebungen können wir nur gemeinsam angehen. Wir brauchen neue strategische Allianzen. Und mir geht es hier vor allem um starke Partnerschaften mit den Ländern des Globalen Südens. Brasilien ist ein gutes Beispiel oder Südafrika. Und wir wollen eine Nord-Süd-Kommission auf den Weg bringen.
Wenn Sie die Entwicklungszusammenarbeit neu ausrichten und sich dabei verstärkt auf die Wirtschaft konzentrieren wollen, welche Rollen sehen Sie denn dann für die Nichtregierungsorganisationen vor?
NGOs sind unverzichtbar und wesentlicher Teil von Entwicklungszusammenarbeit. Das war mir auch in den Haushaltsgesprächen wichtig. Zivilgesellschaftliche Organisationen müssen weiter handlungsfähig bleiben. Nicht zuletzt dort, wo wir nicht auf die Zusammenarbeit mit Regierungen setzen können, wie im Sudan.
Sie reisen sehr viel. Nehmen Sie Ihre zweieinhalbjährige Tochter manchmal mit?
(lacht) Könnte ich, aber diese Herausforderungen will ich ihr einfach nicht zumuten. Unabhängig davon müssen wir in der Politik deutlich mehr tun, damit junge Frauen, die Verantwortung für Kinder übernehmen, auch beruflich aktiv bleiben können.
Haben Sie schon als Kind davon geträumt, Politikerin zu werden?
Politik hat in meiner Familie immer eine Rolle gespielt. Politikerin wollte ich eigentlich nicht werden, mein Traum war es, zur UNO zu gehen.
Mit 35 sind Sie auf der Karriereleiter dort angelangt, von wo aus es in der Politik nicht mehr viel höher geht. Träumen Sie davon, Kanzlerin zu werden?
(lacht schallend) Das hat mich tatsächlich in einem Interview noch niemand gefragt. Kurze Antwort: Nein.
Zur Person
In Moskau geborenReem Alabali Radovan (35) wurde in Moskau geboren, wo ihre aus dem Irak stammenden Eltern studierten. Ihr Vater war im Widerstand gegen das Regime Saddam Husseins. Wegen der fehlenden Bleibeperspektive in Russland ging die Familie 1996 ins deutsche Exil. Alabali Radovan machte in Schwerin ihr Abitur und studierte bis zu ihrem Abschluss im Jahr 2013 Politikwissenschaft an der FU Berlin.
SPD-PolitikerinSie ist mit dem Profiboxer Denis Radovan verheiratet und Mutter einer zweijährigen Tochter. 2021 trat sie in die SPD ein, wurde im selben Jahr Bundestagsabgeordnete und Staatsministerin für Integration, Migration, Flüchtlinge. Seit dem 6. Mai 2025 ist sie Bundesentwicklungsministerin.
