„Es war für mich ein seelischer Einkauf“

Mit 80 Jahren pilgert Editha Humburg auf dem Jakobsweg – Am Samstag berichtet die heute 96-Jährige von ihren Abenteuern

Langeweile ist für sie ein Fremdwort, nur Rumsitzen kommt gar nicht infrage: Mit 80 Jahren pilgerte Editha Humburg auf dem Jakobsweg, mit nun 96 Jahren ist sie immer noch fit, in humorvoller Erzähllaune und möchte tagtäglich was erleben. Ihre Begegnungen und Erlebnisse auf dem spanischen Pilgerweg hatsie in einem Büchlein festgehalten, aus dem sie am kommenden Samstag inCottenweiler vorlesen wird.

Sie liebt es farbenfroh: Editha Humburg freut sich auf die Lesung am kommenden Samstag. Foto: T. Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Sie liebt es farbenfroh: Editha Humburg freut sich auf die Lesung am kommenden Samstag. Foto: T. Sellmaier

Von Yvonne Weirauch

WEISSACH IM TAL. Sie strahlt – von außen mit ihrem pinkfarbenen Tuch um den Hals, dem flotten Oberteil und dem Hut auf dem Kopf, von innen mit ihrer Herzlichkeit und den leuchtenden, neugierigen Augen. „Für die Lesung ziehe ich mich etwas sportlicher an“, lässt sie den Fotografen der BKZ wissen und lacht. Alles ist schon vorbereitet für die Veranstaltung: „Ich freue mich auf viele Begegnungen und Gespräche.“

Eigentlich lebt die 96-Jährige auf der Schwäbischen Alb, genauer gesagt in Ochsenwang, in einem 16 Quadratmeter großen Zimmer in einem Gasthof auf 800 Meter Höhe. „Und ich bin sehr glücklich“, fügt sie wortflink an. Immer wieder kommt sie gerne nach Weissach im Tal, lebt dort doch ihre Enkelin Silke Kriese. Mit ihr hat Humburg 2005 die Editha-Geschichten GbR gegründet, mit Sitz im Weissacher Tal.

Editha Humburg: „Im Alter braucht man so entsetzlich viel Schlaf“

Seit mehr als 30 Jahren schreibt die umtriebige Lebenskünstlerin Theaterstücke, nimmt Hörspiele auf und hat auch Ausdruckstanz-Gruppen geleitet. Alle Themen sind aus dem eigenen Leben gegriffen, denn – so abgedroschen es auch klingen mag – „die besten Geschichten schreibt nun mal das Leben“. Geboren 1923 in Memmingen. Ihre Mutter stammte aus einer über 1000 Jahre alten Adelsfamilie. Ihr Vater sei Pfarrer gewesen. Sie heiratete 1943 Werner Humburg, der bei der Oberpostdirektion Stuttgart angestellt war. Seit 1987 verwitwet – Editha Humburg verliert keine Zeit, schnell hat sie sich vorgestellt. „Heute zählen mehr als 25 Personen zu meinem Familienkreis.“ Den Bezug zu Gott habe sie verständlicherweise in die Wiege gelegt bekommen. Dass sie eine besondere Beziehung zu einer „Kraft“ hat, die sie Abba Adonai betitelt, wird im Gespräch immer wieder deutlich. Mit ihm bespreche sie alles, aus dem Glaube ziehe sie Energie, es sei ihre Art von Abhängigkeit.

Aktiv, das war Editha Humburg von jeher. „Ich habe irre getanzt, 40 Jahre stand ich auf dem Eis“, schwelgt sie in Erinnerungen und ist kaum zu bremsen: „20 Tänze hatte ich gut drauf. Gesellschaftstänze versteht sich, nicht dieses Herumschleudern wie heutzutage.“ Mächtig Tempo habe sie gehabt. Mit zunehmendem Alter seien aber auch die Wehwehchen mehr geworden. „Nunmehr gehe ich viel spazieren, genieße die Natur. Es geht nur alles etwas langsamer und man braucht im Alter so entsetzlich viel Schlaf“, all das erzählt Editha Humburg bei aller Ernsthaftigkeit mit einer deftigen Prise Humor.

Umso verwunderlicher reagierte ihr Umfeld, als sie den Entschluss fasste, auf dem Jakobsweg zu wandern. Eigentlich sei das aus reinem Zufall geschehen. „Es hat eine Vorgeschichte“, denn Editha Humburg hatte eigentlich nie was mit dem Pilgerweg am Hut, wie sie selbst sagt. Das Auto sei kaputtgegangen, von da an sei sie viel gelaufen und von Ort zu Ort gewandert. „Das Problem war nur: Ich habe mich immer verlaufen“, erzählt die 96-Jährige und lacht herzhaft. „Dann hörte ich, dass der Jakobsweg hervorragend ausgeschildert sei. Also das Richtige für mich.“ Mühsam wird es werden, dessen war sich die ältere Dame bewusst, aber dies war nicht abschreckend genug.

In unansehnlichen Wanderklamotten losgezogen

Die Motivation war groß. „Ich wollte loslassen lernen, unscheinbar wollte ich sein. In meinem Leben war ich lange genug eine kleine graue Maus gewesen.“ Erst in späteren Jahren stand sie jahrelang mit ihren Theaterstücken im Rampenlicht und somit im Mittelpunkt. „Es war wie eine Droge“, erzählt Humburg und der Zuhörer ist geneigt, an ihren Lippen zu hängen. Als Pilgerin wollte sie in Spanien „mal ganz unscheinbar unterwegs sein“.

Sie brach deshalb absichtlich in „uralten und unansehnlichen“ Wanderklamotten auf. „Ich sah scheußlich aus – weiße Malerkappe, schwarzes T-Shirt, dunkelblaue Hose, geflickte Stiefel, ein alter Rucksack und alte Teleskopstöcke. Aber was ich dann bei der Ankunft in der Pilgersammelstelle Saint-Jean-Pied-de-Port sah...“, Editha Humburg verdreht die Augen, nimmt die Hände vor den Mund und schmunzelt. „Da waren nur gestylte Figuren mit Pilgerhut, Pilgercape, Pilgersandalen, Haselnusswanderstäbe – alles vom Feinsten.“ Die 96-Jährige schüttelt mit dem Kopf: „Das wäre mir alles zu viel gewesen, braucht kein Mensch.“

Sie erinnert sich genau an den 2. Mai 2003. Da war es so weit: Bahnabfahrt von Stuttgart: Straßburg – Paris. „Sechs Wochen waren mein Plan. Warum? Ich hatte zwischen dem 50. Geburtstag meines Sohnes und meinem 80. leider nur sechs Wochen Zeit.“ Die Familie hatte sich Sorgen gemacht ob ihrer Entscheidung. „Ich machte mir keine“, wieder lacht die rüstige Dame. Den Verwandten musste sie nur ein Versprechen abgeben: rechtzeitig zu ihrem 80. Geburtstag wieder zurück zu sein. „Ich habe mich gründlich vorbereitet, ließ mir von ehemaligen Pilgerinnen ausführlich ihre Erlebnisse erzählen, notierte alles, was in meinen Rucksack musste, und las viele Berichte.“

Ein Handy sollte mitgenommen werden, darauf bestand die Familie. „Aber das habe ich von unterwegs wieder zurückgeschickt“, sagt Humburg und lässt wissen warum: Der „Camino“ präsentierte sich an den ersten Tagen sehr wirr. Als sie die Pyrenäen durchquerte, tobten Unwetter und Sturm, und es goss in Strömen. „Mir war kalt, ich hatte geschwollene blaurote Finger. Der Weg war ein Fluss“, so die betagte Pilgerin.

Unvergesslich ist ihr der reißende Bach geblieben, in den sich der Pilgerweg verwandelte. Schwindlig sei ihr gewesen: „Es schoss immer mehr Wasser hinunter, ich wusste nicht mehr, wo ich hintreten sollte.“ Sie sagte sich: Nur nicht das Gleichgewicht verlieren und in den Graben fallen. Dann der Gedanke: „Wenn ich da unten liege, hilft mir auch das Handy nicht mehr.“ Deshalb habe sie das „sinnlose Teil“ dann mit anderem Überfluss nach Hause geschickt. Diese Erledigung scheint sie heute noch zu amüsieren.

Von Puente la Reina sei sie noch heute begeistert, ebenso wie von Santiago de Compostela mit all den Begegnungen. „Für jede einzelne bin ich dankbar.“ Im Büchlein ist von der geschwätzigen europäischen Buddhistin, die überall schon Humburgs Kommen ankündigt, die Rede. Da ist die überforderte „Lazarettgruppe“, die sich auf dem Weg Verletzungen und Erkrankungen zugezogen hat, und ein verbitterter Sinnsucher mit einem Totenkopftattoo, der Humburg ein Stück des Weges begleitet und bei ihr für kurze Zeit Halt findet. Aufgeben sei nie eine Option gewesen. „Ich schmeiße nichts so schnell hin“, sagt die 96-Jährige. Der Antrieb, diese Reise angetreten zu haben, habe sie immer weiter vorangebracht. Jede Begegnung sei eine Bereicherung, eine Horizonterweiterung für sie, sagt die lebensfrohe Frau. „Ich habe das Alleinsein mit Gott gesucht und gefunden“, ist ihr Fazit. Ob sie etwas vermisst habe? Stille. Stirnrunzeln. „Da müsste ich lange nachdenken. Materielles wird so unwichtig.“ Doch dann nickt sie: „Na, ein gutes Bett und angenehme Waschgelegenheiten – das hat mir hin und wieder gefehlt.“

Zum Schluss sei erwähnt: Editha Humburg hatte ihren Abstand gewonnen, erlebte viel Nähe, und – darauf ist sie heute noch stolz – verlaufen hat sie sich kein einziges Mal, gestürzt sei sie nie und sie hatte viel Zeit, über ihr Leben nachzudenken: „Ich bin glücklich, dass ich das geschafft habe. Es war ein großer seelischer Einkauf.“ Und den Wunsch ihrer Familie konnte sie auch erfüllen: Zu ihrem 80. Geburtstag ist Editha Humburg rechtzeitig zurückgekehrt: „Ich war braun gebrannt und fand mich zünftig.“ Jetzt, gut 16 Jahre später, scheint sie fitter denn je: „Keine Zeit für Langeweile. Ich habe noch so viele Themen.“

Info
Die Lesung

Eine Masseurin, zu der Editha Humburg nach ihrer Pilgerreise ging, sei hin und weg gewesen von dem Erzählten, wollte Bilder sehen, alles über dieses Abenteuer erfahren und bat darum, dass Editha Humburg einer kleinen Frauengruppe beim Tee von ihren Erlebnissen berichtet. Nur – Editha Humburg hatte keine Bilder. Sie zeichnete daraufhin 22 Bilder und wurde kurz vor dem Frauentreffen von ihrer Enkelin Silke auf die Idee gebracht, dazu auch die passenden Texte zu verfassen. So entstand das etwa 50-seitige Büchlein „Mit 80 auf dem Jakobsweg“, aus dem die 96-Jährige am kommenden Samstag, 19. Oktober, um 16 Uhr im ehemaligen Löwen in Cottenweiler, Ringstraße 43, vorlesen wird.

Weitere Infos zu den Editha-Geschichten gibt es unter www.editha-geschichten.de.

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Erstellt:
16. Oktober 2019, 16:00 Uhr

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