EU-Parlament will Milliardenpaket rasch nachbessern

dpa Brüssel. Unter großen Mühen haben die EU-Staaten ein riesiges Krisen- und Haushaltspaket geschnürt. Aber das ist noch nicht das letzte Wort: Das Tauziehen geht in die nächste Runde.

Parlamentspräsident Sassoli begrüßte die Gipfelbeschlüsse grundsätzlich. Foto: Daina Le Lardic/European Parliament/dpa

Parlamentspräsident Sassoli begrüßte die Gipfelbeschlüsse grundsätzlich. Foto: Daina Le Lardic/European Parliament/dpa

Das Europaparlament will das beim EU-Gipfel vereinbarte Haushalts- und Konjunkturpaket im Umfang von 1,8 Billionen Euro rasch nachbessern. Dies kündigte Parlamentspräsident David Sassoli an.

Kürzungen bei Forschung, Klimaschutz und Migrationspolitik müssten korrigiert werden. Zudem wolle man die Klausel nachschärfen, die EU-Gelder künftig an die Einhaltung von Rechtsstaatlichkeit koppeln soll. Die EU-Kommission räumte ein, dass der Gipfelbeschluss in diesem Punkt Fragen aufwirft.

Die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitglieder hatten am Dienstagmorgen ein 750 Milliarden Euro schweres Konjunkturpaket gegen die Corona-Krise sowie einen Haushaltsrahmen im Umfang von 1074 Milliarden Euro für die nächsten sieben Jahre vereinbart. Die Rechtsstaatsklausel war einer der umstrittensten Punkte. Sie soll dafür sorgen, dass Geld gekürzt werden kann, wenn Staaten Grundwerte wie Freiheit der Justiz oder der Medien beschränken.

Im Visier sind Staaten wie Ungarn und Polen, denen Kritiker solche Verstöße vorwerfen. Ungarns Regierungschef Viktor Orban bestritt dies in „Bild“ zwar noch einmal ausdrücklich. Mit Polen wollte er auf dem Gipfel die Rechtsstaatsklausel aber unbedingt verhindern. Letztlich wurde sie so formuliert, dass beide Staaten damit leben konnten. Diese interpretieren sie jetzt so, dass es eine Koppelung von EU-Geldern an Rechtsstaatlichkeit auch künftig nicht gibt.

Die EU-Kommission versichert jedoch, dass das letztlich so sein wird. Wie genau dies geschehen soll, ist offen. Noch sei nicht klar, ob man dazu einen neuen Vorschlag machen werde, sagte ein ranghoher Beamter in Brüssel. Im Rat der EU-Staaten liegt bereits ein Vorschlag der Kommission von 2018, der aber nie vorankam. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft teilte mit, sie wolle auf Basis dieses Vorschlags jetzt weiterarbeiten und ihn im Lichte der Gipfelbeschlüsse anpassen.

Der Punkt wird auch in den anstehenden Verhandlungen mit dem EU-Parlament eine wichtige Rolle spielen. Das Parlament muss den Haushalt letztlich billigen und kann in einem Vermittlungsverfahren Änderungen herausholen. Bei einer Sondersitzung am Donnerstag wollen die Abgeordneten ihre Forderungen aufstellen. Im Entwurf einer Resolution heißt es, man bedauere sehr, dass der Gipfelbeschluss den Rechtsstaatsmechanismus geschwächt habe.

Darüber hinaus will das Parlament im Haushalt mehr Geld für Zukunftsaufgaben wie Forschung und Klimaschutz und die rasche Einführung neuer eigener Geldquellen für die EU-Ebene. Im Gespräch sind eine Abgabe auf nicht recycelte Plastikabfälle, eine Digitalsteuer, eine Ausweitung des Emissionshandels und ein Klimazoll auf umweltschädlich hergestellte Importwaren.

Parlamentspräsident Sassoli begrüßte die Gipfelbeschlüsse aber grundsätzlich. Vor allem sei es sehr wichtig gewesen, das geplante Programm gegen die Corona-Wirtschaftskrise bei 750 Milliarden Euro zu halten. Die gemeinsame Aufnahme von Schulden für das Programm - vor wenigen Monaten noch ein Tabu - stelle heute niemand mehr in Frage.

Auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz sieht die Beschlüsse als sehr grundsätzlich. „Mit dieser Entscheidung übernimmt Europa für sein Schicksal gemeinsam Verantwortung“, sagte der SPD-Politiker der „Zeit“ (Donnerstag). „Um die Schulden zurückzuzahlen, wird die EU perspektivisch mit eigenen Einnahmen ausgestattet. Das verändert die politische Statik auf eine dramatische Weise.“ Damit erreiche man eine neue Dimension der Gemeinsamkeit.

Deutschland muss nun jährlich rund zehn Milliarden Euro mehr in den europäischen Haushalt zahlen - künftig etwa 40 Milliarden Euro. Unter dem Strich profitiere Deutschland aber, sagte Scholz. Eine langjährige Stagnation in den Nachbarstaaten wäre „das Schlimmste, was uns passieren kann“.

© dpa-infocom, dpa:200722-99-887583/3

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Erstellt:
22. Juli 2020, 16:45 Uhr

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