Verbraucherschutz
EU-Streit um Verringerung der Rechte für Fluggäste
Bei Verspätungen könnte in Zukunft ein großer Teil der betroffenen Passagiere leer ausgehen. Dagegen regt sich Widerstand – auch im EU-Parlament.

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Die Rechte von Fluggästen könnten von Brüssel empfindlich eingeschränkt werden. Deswegen gibt es in der EU nun heftigen Streit.
Von Knut Krohn
Die EU-Verordnung Nr. 261 ist schon etwas in die Jahre gekommen. Seit 2004 regelt sie die Rechte von Fluggästen. Festgeschrieben ist darin etwa, dass Passagiere, die mindestens drei Stunden verspätet an ihrem Ziel ankommen, unter bestimmten Bedingungen Anspruch auf Entschädigungszahlungen geltend machen können. Allerdings musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits mehrfach die Anwendung der ursprünglichen Regelungen konkretisieren, weshalb sich in der EU alle einig sind, dass der Gesetzestext reformiert werden sollte. Doch genau darüber ist nun ein heftiger Streit entbrannt.
Die neue Regelung wäre zum Nachteil der Fluggäste
Der Grund: die Vorschläge der amtierenden polnische Ratspräsidentschaft sind zum Nachteil der Passagiere und gehen den Kritikern viel zu weit. Denn in Zukunft sollen Fluggäste erst ab einer Verspätung von fünf Stunden entschädigt werden. Geplant ist auch, die Airlines von der Zahlungspflicht zu befreien, wenn etwa Streiks oder kurzfristig erkranktes Personal der Grund für die Probleme sind. Nach Angaben von Verbraucherschützern müssten nach der von Polen vorgeschlagenen Reform mehr als 80 Prozent der von Verspätung betroffenen Passagiere künftig nicht mehr von den Fluggesellschaften entschädigt werden.
Geplant ist, dass am Donnerstag die EU-Verkehrsminister über die geplante Reform beraten und abstimmen. Das steht nun aber in Frage. Am Mittwoch kam bei einer vorbereitenden Sitzung von Vertretern der 27 EU-Mitgliedsstaaten keine Einigung zustande. Auch die Bundesregierung steht dem polnischen Vorschlag kritisch gegenüber und hat deswegen nach Angaben von Diplomaten in Brüssel einen Gegenvorschlag präsentiert. Demnach soll die Schwelle weiter bei drei Stunden liegen, die Entschädigung aber pauschal 300 Euro betragen und damit im Schnitt geringer ausfallen.
Deutschland will sich für Passagiere einsetzen
Stefanie Hubig (SPD), zuständige Ministerin für Justiz und Verbraucherschutz, versprach im Vorfeld, sich für die Rechte von Flugreisenden einzusetzen. „Verbraucherrechte sind kein Luxus, den man in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten einfach abschaffen kann“, erklärte sie. „Deutschland kann in Brüssel keiner Regelung zustimmen, die einseitig an den Interessen der Airlines ausgerichtet ist.“
Das sehen die Fluggesellschaften natürlich anders. Sie betonen, dass die finanziellen Belastungen durch die aktuelle Gesetzeslage zu groß seien. Allein im Jahr 2023 beliefen sich die von europäischen Luftverkehrsunternehmen geleisteten Entschädigungszahlungen auf weit über 500 Millionen Euro. Besonders deutlich wird Michael O’Leary, der Chef von Ryanair, der die Regelung als „verdammten Betrug“ bezeichnet. Er bezieht sich damit auch auf die Tatsache, dass es etwa möglich ist, ein Ticket für 100 Euro zu kaufen und bei einer Verspätung die mehrfache Summe als Entschädigung zu kassieren.
Die Airlines betonen die Vorteile der Regelung
Auch führt der Branchenverbandes A4E (Air for Europe) an, dass eine höhere Schwelle bei den Entschädigungen auch zum Vorteil der Verbraucher sei, weil dann weniger Flüge ausfallen würden. Der Grund: Sei die Verspätung so groß, dass eine Entschädigung fällig würde, strichen die Fluggesellschaften den Flug häufig ganz. Eine höhere Schwelle gebe den Unternehmen zudem mehr Zeit, Ersatzmaschinen bereitzustellen.
Verkompliziert wird die Lösungsfindung inzwischen auch dadurch, dass sich die Sache zu einer Art Kraftprobe zwischen den EU-Institutionen entwickelt hat. Denn der umstrittene Vorschlag soll nach dem Willen der polnischen Ratspräsidentschaft bereits am Donnerstag in erster Lesung beschlossen werden. Das würde bedeuten, dass das EU-Parlament nur drei Monate Zeit hat, darauf zu reagieren. Zudem bräuchten die Abgeordneten nicht nur eine einfache, sondern eine absolute Mehrheit, wollten sie den Rat überstimmen.
Viele EU-Parlamentarier sind empört und sprechen von einem „Erpressungsversuch“. Jens Gieseke, Berichterstatter der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, lehnt den Vorschlag ab. „Da machen wir nicht mit“, erklärt der CDU-Politiker. Das Parlament stehe seit über zehn Jahren bereit, „zügig über faire Regeln für alle Seiten zu verhandeln“. Das Vorgehen der polnischen Ratspräsidentschaft hält er für nicht akzeptabel.
Bisherige Regelung:
Ab einer Verspätung von drei Stunden können Passagiere eine pauschale Entschädigung beantragen, sofern die Fluggesellschaft die Wartezeit verschuldet hat. Für Flüge bis 1500 Kilometer gilt ein Anspruch in Höhe von 250 Euro, für Flüge bis 3500 Kilometer bekommen Passagiere 400 Euro und für Langstreckenflüge mit mehr als 3500 Kilometern 600 Euro. Bei „außergewöhnlichen Umständen“ wie Naturkatastrophen gilt das nicht.
Geplante Regelung:
Eine Entschädigung von 250 Euro soll es erst ab fünf Stunden Verspätung und für Flüge bis 3500 Kilometer geben. Ab neun Stunden Verspätung gäbe es 400 Euro, wenn die Flugstrecke mehr als 3500 Kilometer innerhalb der EU oder mehr als 6000 Kilometer außerhalb der EU beträgt. Der höchste Betrag von 600 Euro würde nur für Flüge mit mehr als 6000 Kilometern und mehr als zwölf Stunden Verspätung fällig.