Aufrüstung in Europa
Europa geht in Sachen Verteidigung auf Einkaufstour
Die Europäische Union legt ein Kreditprogramm zur Beschaffung von Verteidigungsgütern auf. Das Interesse bei den Mitgliedsstaaten ist groß.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa
Der Eurofighter ist ein Rüstungsprojekt mehrerer europäischer Staaten.
Von Knut Krohn
Europa rüstet auf. 18 EU-Länder haben inzwischen im Rahmen eines Kreditprogramms der Europäischen Union Geld für Investitionen in Verteidigung, Infrastruktur und Cyberfähigkeiten beantragt. In diesen Tagen lief die erste Frist für diesen Teil des sogenannten Safe-Programms aus. Nach Angaben der EU-Kommission gingen bisher Anfragen über mindestens 127 Milliarden Euro ein. Die EU-Kommission werde die Mittelbeschaffung auf den Kapitalmärkten vorbereiten, teilte die Kommission mit. „Wir sind weiterhin entschlossen, die EU-Länder bei ihren Bemühungen um die Verbesserung der europäischen Sicherheit zu unterstützen“, erklärte EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius.
Die USA sind inzwischen ein Unsicherheitsfaktor
Die verstärkten Rüstungsanstrengungen haben zwei Gründe: zum einen wird durch den Überfall Russlands auf die Ukraine direkt der Frieden im Rest von Europa bedroht. Zum anderen sind die USA inzwischen zu einem Unsicherheitsfaktor in der Nato geworden. In den Hauptstädten der EU ist die Überzeugung gereift, dass Europa so weit wie möglich selbst für die eigene Sicherheit sorgen muss.
Die größte Fördersumme aus dem EU-Programm hat mit 45 Milliarden Euro bis zu diesem Zeitpunkt Polen beantragt. Auf der Nachrichtenplattform „X“ schreibt Verteidigungsminister Wladyslaw Kosiniak-Kamysz: „Wir wollen die Mittel aus diesem Programm zur Stärkung der Schlüsselfähigkeiten der polnischen Streitkräfte und unserer Sicherheitsprogramme verwenden, darunter auch das Programm ‚Östlicher Schutzschild‘.“ Polen ist eines der Länder, die nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine die Ausgaben für die Verteidigung drastisch in die Höhe geschraubt haben. Betrugen die Investitionen Warschaus im Jahr 2022 noch 2,7 Prozent des BIP, stiegen sie 2024 auf 4,2 Prozent und werden in diesem Jahr wahrscheinlich fast 5 Prozent erreichen. Das ist der höchste Wert aller Nato-Staaten – weit vor den USA.
Als Orientierung dient ein Weißbuch
Im Rahmen des Safe-Programmes sollen in den kommenden Jahren bis zu 800 Milliarden Euro für die europäische Verteidigung mobilisiert werden. Als Orientierung dient bei der Beschaffung ein sogenanntes Weißbuch, das in diesem Frühjahr vorgestellt wurde. Darin wird betont, dass vor allem die militärischen Fähigkeitslücken in sieben zentralen Bereichen geschlossen werden. Dazu zählen etwa Luftverteidigung und Raketenabwehr, aber auch Artilleriesysteme, Drohnen und militärische Transportkapazitäten.
Bisher ist der Verteidigungsbereich in Europa überaus fragmentiert, weshalb in Brüssel darauf gedrängt wird, bei der Beschaffung der Militärgüter eng zusammenzuarbeiten. Mindestens 40 Prozent der „Verbrauchsgüter“ wie Munition, Raketen und Drohnen sollen gemeinsam eingekauft werden, heißt es in dem Strategiepapier. Auch wird Gerät aus europäischer Produktion deutlich bevorzugt.
Günstige Kredite für klamme Länder
Die im Safe-Programm vorgesehenen zinsgünstigen Kredite sind vor allem für finanziell klamme Länder wie Frankreich interessant. Insgesamt sollen auf diese Weise 150 Milliarden Euro zusammenkommen. Zwar ist die erste Bewerbungsfrist nun verstrichen, formal können aber noch bis zum 30. November 2025 Anträge eingereicht werden. EU-Kommissar Andrius Kubilius hat deshalb in Aussicht gestellt, dass der Betrag noch einmal erhöht werden könnte. Deutschland hat bereits zugesagt, sich an den Safe-Beschaffungsprojekten zu beteiligen, diese aber aus dem eigenen Haushalt finanzieren zu wollen.
Berlin hat in diesem Fall ganz andere finanzielle Spielräume als die meisten anderen EU-Länder. Deutschlands Schuldenstand im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag im ersten Quartal des Jahres bei 62,3 Prozent. Frankreichs Quote erreichte 114,1 Prozent und lag damit weit über dem in den EU-Vorschriften festgelegten Wert von 60 Prozent. Angesichts dieser Ausgangslage forderte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron von der EU-Kommission „innovative“ Finanzierungsoptionen für die Verteidigung zu entwickeln. Im Klartext: Paris will gemeinsame Schulden für die Verteidigung aufnehmen. Das wird aber von Deutschland vehement abgelehnt.
Die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern im großen Stil ist auch für Verbündete außerhalb der EU attraktiv. So zeigen etwa Kanada und Großbritannien großes Interesse, da sie damit ebenfalls die Kosten für ihre eigene Verteidigung senken könnten. In Brüssel wird bereits daran gearbeitet, wie ein bilateraler Vertrag aussehen könnte, Drittländer in das Safe-Programm beim Kauf von Luftverteidigung, Raketenabwehr oder auch Drohnen einzubinden.