Europa sucht den Kampfmodus
Die EU blockiert sich oft selbst. In Sachen Israel prescht die Chefin der Kommission nun vor.
Von Knut Krohn
Ursula von der Leyen hat in Straßburg keine Rede zum Wohlfühlen gehalten. Europa befinde sich in einem existenziellen Kampf, warnte die EU-Kommissionspräsidentin mit reichlich Pathos vor dem EU-Parlament. Diese Analyse ist nicht nur schonungslos, sondern auch richtig. In einer Welt mit Großmachtfantasien und imperialistischen Kriegen sind Frieden und Freiheit auf unserem Kontinent bedroht.
Doch Ursula von der Leyen belässt es nicht bei dieser aufrüttelnden Beschreibung des Ist-Zustandes. Sie will den Europäern Mut machen, gemeinsam den Kampf gegen die vielen Bedrohungen aufzunehmen. Doch an ihr nagen offensichtlich grundsätzliche Zweifel. Zu Recht stellt sie die Frage, ob die Union tatsächlich die nötige Geschlossenheit, den politischen Willen und das diplomatische Geschick aufbringt, sich erfolgreich den fundamentalen Herausforderungen zu stellen. Zu häufig sind in der Vergangenheit groß angekündigte Pläne an der Uneinigkeit der EU gescheitert.
So wird seit Jahrzehnten über die dringend notwendige Vertiefung des Binnenmarkts in den Branchen Energie und Finanzen diskutiert. Doch passiert ist herzlich wenig. Dieser Stillstand liegt allerdings auch an der Kommissionschefin selbst. Immer wieder kündigte von der Leyen in den vergangenen Jahren Vorhaben an, deren Umsetzung im Sande verliefen.
Wie massiv diese Selbstblockade der Union selbst bei existenziellen Themen ist, zeigt sich in der aktuellen Krise. Angesichts des Überfalls Russlands auf die Ukraine müsste Europa im Eiltempo die eigene Verteidigungsfähigkeit erhöhen – auch weil die USA als verlässlicher Partner ausfallen. Doch die EU ist seit drei Jahren nicht in der Lage, sich zu einigen und gemeinsam die notwendigen Waffensysteme zu beschaffen. Jede Regierung stellt im Zweifel die nationalen Interessen voran und bestellt die Militärtechnik nur bei heimischen Firmen.
Durch diesen Stillstand macht sich die wirtschaftlich mächtige EU zum geopolitischen Zwerg. Dieser Zustand wird auch von der Machtpolitikerin Ursula von der Leyen seit Jahren beklagt. Wohl auch deshalb hat sie beschlossen, einen Alleingang der Europäischen Kommission zu wagen. In ihrer Rede kündigte sie an, dass die Brüsseler Behörde Strafmaßnahmen gegen Israel einleiten werde. Unter anderem wegen des Widerstandes der deutschen Bundesregierung kann sich die Union bislang nicht auf Sanktionen wegen des brutalen Vorgehens Israels im Gazastreifen einigen. So kommt es zu der bizarren Situation, dass die EU zwar ein wichtiger Waffenlieferant und Wirtschaftspartner Israels ist, im Ringen um eine Lösung in dem Konflikt aber keinerlei Rolle spielt.
Seit Monaten versucht von der Leyen, die 27 EU-Mitgliedsländer auf eine gemeinsame Linie zu bringen. In einem alarmierenden Bericht stellte die Kommission sogar fest, Israel verletze im Gazastreifen die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht – doch die 27 Länder haben in dieser Frage 27 verschiedene politische Kulturen, die Gräben ziehen sich quer durch die Institutionen. Europa bleibt wieder einmal auf den eigenen moralischen Ansprüchen sitzen.
Mit ihrem Vorpreschen gegen Israel bringt von der Leyen sogar viele der eigenen Parteifreunde aus der CDU gegen sich auf. Doch sie denkt längst nicht mehr in nationalen Grenzen. Sie hat in Straßburg ein deutliches Zeichen gesendet, dass sie ihre Rolle nicht als Verwalterin einer gelähmten EU sieht. Von der Leyen nutzt die Uneinigkeit der Staaten und des EU-Parlaments konsequent zum Ausbau der eigenen Machtbasis. Dass sie die Zügel straffer in die Hand nimmt, muss nicht zum Nachteil Europas sein.