Misstrauensantrag in Straßburg

Europas Demokratie im Krisenmodus

Die Misstrauensanträge gegen Ursula von der Leyen sind gescheitert. Das ist für das Europaparlament aber kein Grund, zur Tagesordnung überzugehen.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die Misstrauensanträge im Parlament überstanden. Das ist für sie allerdings kein Grund zum Aufatmen.

© AFP

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat die Misstrauensanträge im Parlament überstanden. Das ist für sie allerdings kein Grund zum Aufatmen.

Von Knut Krohn

Der Super-Gau ist verhindert. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bleibt im Amt, das Europaparlament hat am Donnerstag in Straßburg mit deutlicher Mehrheit gegen die Misstrauensanträge der extremen Rechten und Linken gestimmt. „Ich bin zutiefst dankbar für die starke Unterstützung, die ich heute erfahren habe“, schrieb die Kommissionspräsidentin nach den neuen Abstimmungen auf der Plattform „X“. Für den Vorstoß der rechten Patrioten-Fraktion votierten 179 Abgeordnete bei 378 Gegenstimmen, für den Antrag aus dem linken Lager 133 bei 383 Gegenstimmen.

Der zweite Warnschuss

Der zweite Warnschuss in drei Monaten

Der zweite Warnschuss in drei Monaten

Für die Parlamentarier gibt es allerdings keinen Grund, nun einfach zum politischen Tagesgeschäft überzugehen. Bereits zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten musste sich Ursula von der Leyen dem Votum der Abgeordneten stellen, das ist nicht nur eine Warnung an Europas mächtigste Frau. Offensichtlich wird, dass die extremen Kräfte im Parlament nicht nur ständig versuchen, Sand ins Getriebe der politischen Abläufe zu streuen. Ihr Ziel ist es, die Demokratie in Misskredit zu bringen – und sie nutzen dafür immer offensiver jene Mittel, die ihnen die Demokratie selbst in die Hand gibt. So ist etwa die Hürde, einen Misstrauensantrag einzubringen ziemlich niedrig. Im aktuell 719 Sitze zählenden Europaparlament sind nur 72 Stimmen vonnöten.

Dieses destruktive Spiel wird vor allem von den extremen Rechten gezielt vorangetrieben, auch weil ihnen die demokratischen Kräfte im Moment sehr viel Angriffsfläche bieten. Seit Monaten tobt ein Grabenkampf zwischen Konservativen und Sozialdemokraten. Grundsätzlich geht es darum, dass die Konservativen den Sozialdemokraten vorwerfen, sie verweigerten sich in der Umweltgesetzgebung und der Migration dem nötigen Politikwechsel. Im Gegenzug halten die Sozialdemokraten den Konservativen ihre taktischen Bündnisse mit den extremen Rechten vor, vor allem mit der Partei Fratelli d’Italia von der postfaschistischen italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni.

Politische Verwerfungen im Europaparlament

Zusätzlich emotionalisiert wird die Auseinandersetzung durch zutiefst menschliche Aspekte, wie der bohrende Schmerz der Linken und Grünen über den Machtverlust nach der Europawahl und, damit zusammenhängend, das bisweilen demonstrativ zur Schau getragene Gefühl einer schier grenzenlosen Machtfülle bei den Konservativen. In diesem Sinne traf Ursula von der Leyen in ihrer Verteidigungsrede vor dem Straßburger Parlament den Nagel auf den Kopf, als sie warnte: „Die Wahrheit ist: Unsere Gegner sind nicht nur bereit, jede Spaltung auszunutzen – sie schüren diese Spaltungen aktiv.“

Wie gefährlich tief die Kluft inzwischen ist, zeigte sich in diesen Tagen bei der erbittert geführten Auseinandersetzung über die Bezeichnung „Veggie-Wurst“ für pflanzliche Produkte. Die im Grunde nebensächliche Abstimmung wurde aufgebauscht und im ideologischen Grabenkampf ausgefochten, in dem sachliche Argumente nur noch Nebensache waren. Selbst von EU-Abgeordneten kam der Hinweis, dass sich das Parlament mit solchen Aktionen lächerlich mache.

Aufgeheizte Gemengelage

Unzufriedenheit über den Führungsstil der Chefin

Diese aufgeheizte Gemengelage im Parlament stellt auch Ursula von der Leyen vor massive Probleme. Zum einen wird die Unzufriedenheit über ihren hierarchischen Führungsstil und die mangelnde Transparenz in der EU-Kommission bei vielen Europaabgeordneten immer größer. Gleichzeitig muss sie versuchen, die Reihen der eng gewordenen proeuropäischen Mehrheit lagerübergreifend zusammenzuhalten, um zentrale Vorhaben umzusetzen. Das Ringen um den mehrjährigen EU-Haushalt, die Gesetze zum Abbau der Bürokratie, der Zollstreit mit den USA, die Unterstützung für die Ukraine und die Umsetzung umstrittener Handelsabkommen wäre schon unter normalen Umständen eine Herkulesarbeit, die größtes politisches Geschick erfordert.

Das deutliche Ergebnis für Ursula von der Leyen am Donnerstag in Straßburg zeigt aber, dass die demokratische Mitte im Zweifel keine institutionelle Krise der EU heraufbeschwört. Allerdings richtete der Chef der Europa-SPD, René Repasi, eine deutliche Mahnung und eine Drohung an die Kommissionschefin: „Von der Leyen steht jetzt in der Bringschuld.“ Und: Wenn sie in Zukunft keine zählbaren Ergebnisse liefere, könne auch die linke S&D-Fraktion einen Misstrauensantrag formulieren.

Zum Artikel

Erstellt:
9. Oktober 2025, 14:14 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen