Nach dem Gipfel bei Trump
Europas Schicksalstag
Der Gipfel mit Wladimir Putin hat endgültig gezeigt: Donald Trump steht im Ukraine-Krieg nicht auf der Seite des Westens.

© Kay Nietfeld/dpa
Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, Keir Starmer, Premierminister von Großbritannien, und Donald Tusk, Ministerpräsident von Polen, bei einem Treffen der „Koalition der Willigen“ in Kiew.
Von Karl Doemens
Das Treffen hatte kaum begonnen, da war es schon vorbei. Ein halbes Jahr ist es her, dass Wolodymyr Selenskyj zum ersten Mal von Donald Trump im Weißen Haus empfangen wurde. Der ukrainische Präsident musste sich verhöhnen und beschimpfen lassen. Es kam zum Eklat: Noch vor dem Mittagessen wurde er herausgeworfen. „Sie haben schlechte Karten“, rief ihm der Hausherr hinterher.
Auch bei Trumps Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin in Alaska fiel das Lunch aus. Aber offenbar eher, weil der Gast dem Gastgeber eiskalt lächelnd jegliches Zugeständnis verweigerte. Gleichwohl wurde Putin von US-Soldaten auf der Basis Elmendorf-Richardson buchstäblich der rote Teppich ausgerollt, und Trump hofierte „Wladimir“ wie einen persönlichen Freund. Am Ende kokettierte er sogar mit dem Gedanken, den Kriegsverbrecher in Moskau zu besuchen.
Demütigung für die Opfer
Eine Demütigung für das Opfer der militärischen Aggression, eine Ehrung für den Angreifer – größer könnte der Kontrast nicht sein. Vor dem Hintergrund dieser beiden Szenen kommt Selenskyj an diesem Montag zum zweiten Mal in diesem Jahr nach Washington. Man kann durchaus von einem Schicksalstag sprechen: Nach einem monatelangen Zickzackkurs, in dem er gelegentlich Putin und öfter Selenskyj kritisierte, ohne seinem lautstarken Versprechen, den Krieg in der Ukraine „innerhalb von 24 Stunden“ zu beenden, auch nur einen Schritt näher zu kommen, scheint Trumps Geduld am Ende: Er will einen Erfolg um jeden Preis – eine Trophäe für den „Dealmaker“, eine Empfehlung für seine aberwitzigen Ambitionen auf den Friedensnobelpreis.
Schon die Abfolge der Ereignisse lässt nichts Gutes vermuten: Erst bietet Trump in Alaska dem Mann, der seit dreieinhalb Jahren die Zivilbevölkerung seines Nachbarlandes mit Bomben- und Drohnenangriffen überzieht, die Bühne für einen fernsehgerechten Auftritt. Dann empfängt er den Vertreter der Opfer und die Verbündeten. Unter diesen Umständen muss man froh sein, das sich Trump in Anchorage nicht gleich über eine Landkarte gebeugt und mit seinem Gast die Interessensphären in Europa aufgeteilt hat.
Trump auf beunruhigende Weise von Putin fasziniert
Der amerikanische Präsident ist auf eine beunruhigende Weise von Putin fasziniert. Er beneidet ihn um seine von lästiger demokratischer Kontrolle befreite Macht, die eiskalte Ruchlosigkeit und die enormen Bodenschätze seines Landes. Derweil manipuliert der gelernte KGB-Offizier den instabilen Narzissten meisterhaft. So ist Trump längst nicht mehr der Anführer einer wertegeleiteten westlichen Welt. Im Ukraine-Krieg kann er bestenfalls ein ebenso mächtiger wie unzuverlässiger Vermittler sein, der auf eigene Rechnung arbeitet.
Diese brutale Realität sollten die Europäer besser heute als morgen verinnerlichen. Dass Kanzler Friedrich Merz und andere Regierungschefs den ukrainischen Präsidenten ins Weiße Haus begleiten, ist ein kluger Schachzug. Das verschafft ihnen nach dem Alaska-Spektakel zumindest ein bisschen Sichtbarkeit. Auch können sie gegenüber Trump mit verteilten Rollen auftreten. Tatsächlich hat der US-Präsident ihre zentrale Forderung nach einem Waffenstillstand vor jeglichen Verhandlungen einfach überrollt. Im Kern scheint er mit Putin einig, dass die Ukraine als Preis für ein Ende des Tötens erhebliche Gebiete abtreten muss. Die Gefahr eines Diktatfriedens ohne wirkliche Sicherheit liegt auf der Hand.
Trotz ihrer optisch mutmaßlich eindrucksvollen Präsenz im Oval Office dürfen sich die europäischen Regierungschefs daher keine Illusionen machen: Ein knallharter Machtpoker hat begonnen. Und das Ass hält bislang Wladimir Putin im Ärmel.