Physik-Nobelpreisträgerin Anne L‘Huillier
Exzellenz und Bescheidenheit in Person
Keine zwei Wochen ist es her, da hat Anne L’Huillier, jetzt mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet, in Ditzingen den Zukunftspreis der Berthold-Leibinger-Stiftung erhalten. Es war ein denkwürdiger Abend.

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Anne L‘Huillier bei der Ehrung mit dem Zukunftspreis der Berthold-Leibinger-Stiftung
Von Jan Sellner
Groß ist die Freude am Max-Planck-Institut für Quantenoptik in Garching bei München über den Physik-Nobelpreis für seinen Direktor, den österreichisch-ungarischen Forscher Ferenc Krausz. Nicht weniger groß ist die Freude bei der in Hochdorf ansässigen Berthold-Leibinger-Stiftung darüber, dass die Französin Anne L‘Huillier neben Ferenc Krausz und dem fanzösisch-amerikanischen Forscher Pierre Augostini bei der Preisvergabe ebenfalls berücksichtigt wurde. Denn eben erst hat die Grundlagenforscherin in Ditzingen den hoch angesehenen und mit 50 000 Euro dotierten Zukunftspreis der Berthold-Leibinger-Stiftung erhalten, der im Zwei-Jahres-Rhythmus vergeben wird. Ein treffsicheres Votum der Jury, wie sich jetzt bestätigt.
Auf dem Trumpf-Campus in Ditzingen erlebten die rund 400 Gästen aus Wissenschaft, Industrie und Gesellschaft an jenem Abend den Auftritt einer leidenschaftlichen Forscherin, die in klaren, eindringlichen Worten darüber sprach, welche Glücksgefühle sich einstellen können, wenn man neues, unbekanntes Terrain betritt. Das war bei Anne L’Huillier erstmals in den 1980er Jahren der Fall, als sie im Labor eher zufällig eine grundlegende Entdeckung machte. Die 1958 geborene Französin stieß auf einen Effekt, der sich beim Beschuss von Gasen mit kurzen Laserimpulsen einstellt: auf sogenannte hohe Harmonische. Damit verbunden ist die Erzeugung von Attosekunden-Lichtpulsen, die unvorstellbar kurz sind: ein Milliardenstel von einer Milliardenstel-Sekunde.
Faszination Attosekunde
Mit Hilfe von Attosekunden, so übersetzt und veranschaulicht es die Leibinger-Stiftung, „können Wissenschaftler die Dynamik von Elektronen in Atomen und Molekülen besser verstehen und eines Tages vielleicht auch kontrollieren“. Weiter schreibt die Stiftung: „Um so kurze Pulse erzeugen zu können, benötigt es einen speziellen Effekt, der auftritt, wenn Atome in Gasen mit Laserpulsen angeregt werden. Ist die Anregungsleistung stark genug, werden die Atome nicht nur ionisiert, also ein Elektron weggeschossen, sondern das Elektron schwingt mit dem Lichtfeld immer wieder vom Atomkern weg und wieder zurück.“ Bei dieser Schwingung sende das Elektron selbst eine Vielzahl von Lichtwellen aus, die wie die Oberschwingungen einer Saite eines Musikinstruments das Vielfache einer Grundschwingung sind: „Lassen sich diese Schwingungen so kontrollieren, dass sie sich ideal überlagern, formt sich daraus ein einzelner, extrem kurzer Lichtpuls“.
So bahnbrechend ihre Erkenntnisse, so unprätentiös ihr Auftreten. Anne L‘Huillier, eine weißhaarige Dame in blauem Kostüm, machte kein Aufhebens von ihrer Person, dafür umso mehr von ihrer Sache: der Physik, für die sie am Rednerpult mit funkelnden Augen warb. Sie sprach vom Glück des Forscherinnendaseins und warb eindringlich für mehr Frauen in den Naturwissenschaften. „Es gibt zu wenig Physikerinnen“, sagte sie und schloss ihren von viel Beifall begleiteten Appell mit den Worten: „Versucht es einfach!“
Starke Persönlichkeit
In ihrem Fall war die Entscheidung, sich mit Physik im Allgemeinen und mit der Erforschung der Elektronendynamik in Materie im Speziellen zu beschäftigen, die goldrichtige. Anne L‘Huillier, die Mitglied mehrerer nationaler Akademien der Wissenschaften ist, und selbst bereits Mitglied des Physik-Nobelpreiskomitees war, hinterließ bei dem „Fest der Wissenschaft“ in Ditzingen auch als Persönlichkeit einen starken Eindruck. Den Eindruck von Exzellenz und Bescheidenheit in Person.
Heimat im schwedischen Lund
Bei aller Forschungsleidenschaft hat Anne L’Huillier es offenbar auch verstanden, Beruf und Familie zu vereinbaren. Die Tatsache, dass die Professorin seit bald 30 Jahren in der kleinen schwedischen Universitätsstadt Lund forscht, lehrt und lebt, so verriet sie mit einem Lächeln, habe nicht nur mit den hervorragenden Forschungsbedingungen dort zu tun, sondern auch mit ihrem Mann.