Todesfahrt in Berlin

Fahrer in Polizeigewahrsam – Mordkommission ermittelt

Im Herzen Berlins erfasst ein anscheinend psychisch beeinträchtigter Autofahrer eine Schülergruppe. Eine Lehrerin stirbt, viele Menschen werden verletzt. Zum Fahrer gibt es neue Erkenntnisse – doch noch bleiben viele Fragen.

Ein 29-jähriger war am Mittwoch mit seinem Auto in der Nähe der Berliner Gedächtniskirche in eine Schülergruppe aus Hessen gefahren.

© dpa/Fabian Sommer

Ein 29-jähriger war am Mittwoch mit seinem Auto in der Nähe der Berliner Gedächtniskirche in eine Schülergruppe aus Hessen gefahren.

Von red/dpa

Nach der Todesfahrt in Berlin mit einer getöteten Lehrerin und zahlreichen Verletzten ermitteln die Einsatzkräfte weiter intensiv. „Die Ermittlungen werden von der Mordkommission geführt und laufen auf Hochtouren. Die Maßnahmen vor Ort sind abgeschlossen“, sagte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) am Donnerstag im Abgeordnetenhaus, dem Landesparlament Berlins. Der Todesfahrer, ein 29-Jähriger, befinde sich im Polizeigewahrsam und werde am Donnerstag einem Richter vorgeführt, sagte Spranger. Der Richter kann einen Haftbefehl ausstellen, so dass der Mann in Untersuchungshaft kommt.

Am Mittwochvormittag war der Autofahrer an der Gedächtniskirche über Gehwege des Ku’damms und der Tauentzienstraße gerast und hatte eine Menschengruppe erfasst. Noch am Abend hatte die Polizei seine Wohnung durchsucht. Spranger sagte: „Zurzeit wird sowohl das Mobiltelefon als auch der Computer sehr intensiv untersucht.“ Die Staatsanwaltschaft kündigte für den frühen Nachmittag (14.30 Uhr) eine Stellungnahme im Landgericht an.

Nach jüngstem Kenntnisstand habe der 29-Jährige in der Vergangenheit psychische Probleme gehabt, führte Spranger aus. „Die genauen Umstände müssen im Rahmen der laufenden Ermittlungen noch geklärt werden.“ Der Mann sei 2015 eingebürgert worden. Polizeilich sei er öfter aufgefallen, es habe Ermittlungen gegeben wegen Körperverletzung, Hausfriedensbruchs und Beleidigung.

Kein Bekennerschreiben im Auto

Über politische und extremistische Taten sei aber nichts bekannt. „Auch im Zusammenhang mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen ist der Tatverdächtige bisher nicht aufgefallen.“ Im Auto sei kein Bekennerschreiben gefunden worden, so Spranger. „Im Auto wurden Plakate gefunden. Ob und inwieweit diese im Zusammenhang mit der Tat stehen, ist auch Gegenstand der Ermittlungen.“ Spranger betonte: „Deshalb bewerte ich nach derzeitigem Stand das gestrige Geschehen als einen Amoklauf einer psychisch beeinträchtigten Person.“

Auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) sprach inzwischen von einer Amokfahrt eines psychisch gestörten Menschen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte sich am Mittwochabend via Twitter geäußert: „Die grausame Amoktat an der Tauentzienstraße macht mich tief betroffen.“ Die Polizei nutzte den Begriff „Amoktat“ zunächst bewusst nicht. „Es gibt Tendenzen in diese Richtung, wir legen uns da aber noch nicht fest“, hieß es dazu am Donnerstag.

Die grausame Amoktat an der #Tauentzienstraße macht mich tief betroffen. Die Reise einer hessischen Schulklasse nach Berlin endet im Alptraum. Wir denken an die Angehörigen der Toten und an die Verletzten, darunter viele Kinder. Ihnen allen wünsche ich eine schnelle Genesung. — Bundeskanzler Olaf Scholz (@Bundeskanzler) June 8, 2022

Spurensicherung auch am Tag danach im Einsatz

Am Tatort am Ku’damm und der Tauentzienstraße arbeitete auch am Tag nach dem Vorfall erneut die Spurensicherung der Kriminalpolizei. Auch das sichergestellte Auto sollte noch einmal „intensiv durchsucht“ werden. Die Polizei bat Zeugen, sich zu melden und auch mögliche Videos und Fotos der Tat an eine Internetseite der Polizei zu schicken.

Die Polizei sah weiterhin keinen politisch-extremistischen Hintergrund der Tat. Der Polizei zufolge stehen die gefundenen Plakate mit Äußerungen zur Türkei „inhaltlich nicht im Zusammenhang mit der Tat“. Unklar war auch, wem sie gehören. Besitzerin des Autos ist die Schwester des Fahrers.

Neue Informationen gab es zur Zahl der Verletzten: Neben der getöteten Lehrerin aus Hessen wurden nach aktuellem Stand 29 Menschen verletzt, 6 von ihnen lebensgefährlich und 3 schwer. Unter den Verletzten waren viele Schüler einer 10. Klasse aus Hessen, mit der die Lehrerin unterwegs gewesen war.

Bundesinnenministerin verschafft sich vor Ort Eindruck

Am Mittag verschaffte sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Ku’damm einen Eindruck von der Situation. Mit Polizeipräsidentin Barbara Slowik besuchte sie das Areal am Breitscheidplatz und sprach mit Polizeibeamten.

Hessens Ministerpräsident Boris Rhein und Kultusminister Alexander Lorz (beide CDU) besuchten derweil im nordhessischen Bad Arolsen die Schule der betroffenen Abschlussklasse. „Es ist für uns ein ganz schwerer Tag, und wir haben ganz schwere Herzen“, sagte Rhein.

Der tödliche Vorfall entfachte auch eine neue Debatte über Sicherheitsmaßnahmen in Innenstädten. Zu möglichen Schutzmaßnahmen durch Poller an Straßen sagte Giffey im RBB-Inforadio, zur Wahrheit gehöre auch, „dass wir nicht die ganze Stadt abpollern können und auch nicht den ganzen Ku’damm abpollern können“. Es werde aber von den Behörden untersucht, was zur Sicherheit zusätzlich möglich sei. Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), einen hundertprozentigen Schutz vor derartige Amokfahrten, bei denen Autos als Waffe eingesetzt werden, könne es nicht geben.

Ein Mensch ist laut Polizeiangaben gestorben.

© AFP/ODD ANDERSEN

Ein Mensch ist laut Polizeiangaben gestorben.

Zahlreiche weitere Personen wurden verletzt.

© AFP/ODD ANDERSEN

Zahlreiche weitere Personen wurden verletzt.

Der tödliche Vorfall sorgte für Bestürzung.

© dpa/Fabian Sommer

Der tödliche Vorfall sorgte für Bestürzung.

Mutmaßlich das Auto, das in die Menschenmenge fuhr, in einer Schaufensterscheibe

© dpa/Paul Zinken

Mutmaßlich das Auto, das in die Menschenmenge fuhr, in einer Schaufensterscheibe

Die Polizei sperrte den Bereich weitläufig ab.

© dpa/Fabian Sommer

Die Polizei sperrte den Bereich weitläufig ab.

Der tödliche Vorfall wird von der Bundes- und Landesregierung als Amoktat eingestuft.

© dpa/Fabian Sommer

Der tödliche Vorfall wird von der Bundes- und Landesregierung als Amoktat eingestuft.

Das Auto hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

© dpa/Fabian Sommer

Das Auto hat eine Spur der Verwüstung hinterlassen.

Am Tag danach erinnern noch das Absperrband ...

© dpa/Fabian Sommer

Am Tag danach erinnern noch das Absperrband ...

... und zahlreiche Markierungen an die Todesfahrt.

© dpa/Fabian Sommer

... und zahlreiche Markierungen an die Todesfahrt.

Passanten haben Kerzen und einen Blumenstrauß niedergelegt.

© dpa/Fabian Sommer

Passanten haben Kerzen und einen Blumenstrauß niedergelegt.

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Erstellt:
9. Juni 2022, 11:52 Uhr
Aktualisiert:
9. Juni 2022, 14:44 Uhr

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