Fehlendes Geld durch Grundsteuer
Finanzministerium erhöht mögliche Hebesätze – Palmer will noch höher gehen
Tübingen will als offenbar einzige Stadt im Südwesten den Hebesatz für die Grundsteuer rückwirkend erhöhen. OB Palmer strebt einen höheren Wert als den Maximalwert des Ministeriums an.

© dpa/Bernd Weißbrod, Horst Haas
Das Haus von Finanzminister Danyal Bayaz (li., Grüne) hat den Hebesatz-Korridor bei der Grundsteuer B für Tübingen erhöht. OB Boris Palmer (parteilos) sieht einen höheren Wert als aufkommensneutral an.
Von Florian Dürr
Rund zwei Millionen Euro sind viel Geld in einer schwierigen Haushaltslage. Auf Einnahmen in dieser Höhe kann die Stadt Tübingen nicht verzichten – und will deshalb als offenbar einzige Kommune in Baden-Württemberg den Hebesatz bei der Grundsteuer B rückwirkend zum 1. Januar erhöhen. Hintergrund der Maßnahme ist ein im vergangenen Jahr zu niedrig angesetzter Wert: Mit einem Hebesatz von 270 Prozent wird für das Jahr 2025 eben jene Summe von rund zwei Millionen Euro in der Stadtkasse fehlen. Geld, das Tübingen eigentlich mit der Steuer einnehmen wollte.
Finanzministerium überprüfte die möglichen Hebesätze für Tübingen
Die Stadt hatte sich am sogenannten Transparenzregister des baden-württembergischen Finanzministeriums orientiert. Ein Instrument für Bürgerinnen und Bürger, um die möglichen aufkommensneutralen Hebesätze für eine bestimmte Stadt oder Gemeinde abzurufen. „Aufkommensneutral“ soll heißen: Der Hebesatz sollte so gewählt werden, dass die jeweilige Kommune durch die Grundsteuerreform im Jahr 2025 in etwa so viel Geld einnimmt wie vor der Reform. Doch „der vom Finanzministerium vorgegebene Hebesatzkorridor, der als Basis für die Festsetzung diente“, war „nicht realistisch“, hieß es in einer Vorlage für eine Sitzung des Tübinger Verwaltungsausschusses Ende März.
Daraufhin überprüfte das Haus von Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) noch einmal den Hebesatz-Korridor für Tübingen. Zwischen 257 und 284 Prozent lagen die möglichen Hebesatzwerte für die Unistadt. Mit 270 Prozent hatte Tübingen also die Mitte gewählt. Jetzt hat das Ministerium die möglichen aufkommensneutralen Hebesätze für die Stadt korrigiert: auf 269 bis 297 Prozent.
Nicht nur für Tübingen musste das Ministerium den Korridor anpassen
Doch dieses Mal wird Tübingen nicht die Mitte wählen, sondern einen Wert, der über dem Maximalwert des Ministeriums liegt, wie OB Boris Palmer (parteilos) gegenüber unserer Zeitung mitteilt: „Wir sehen 300 Prozent als neutralen Wert an.“ Der Rathauschef wundert sich über die korrigierten Werte: „Ein so breiter Korridor ein halbes Jahr nach dem Umstellungstermin ist doch ziemlich merkwürdig und zeigt wohl eher an, dass die Finanzämter immer noch nicht alle Bescheide erstellt haben.“
Laut einem Ministeriumssprecher spielen bei der Erhöhung der Hebesatz-Werte mehrere Faktoren eine Rolle: „Die laufende Fall- und Einspruchsbearbeitung in den Finanzämtern, Änderungen von Bodenrichtwerten durch die Gutachterausschüsse und Auswertung von Gutachten können sich auf die Bandbreite auswirken“, heißt es. Nicht nur für Tübingen musste das Finanzministerium den Hebesatz-Korridor anpassen: Für rund sechs Prozent der 1101 Kommunen in Baden-Württemberg, insgesamt 64 Städte und Gemeinden, gab es seit der Veröffentlichung des Transparenzregisters im Oktober 2024 Änderungen.
Tübinger Gemeinderat muss vor dem 30. Juni neuen Hebesatz beschließen
Bislang seien dem Ministerium aber keine weiteren Kommunen bekannt, die ihren Hebesatz wie Tübingen rückwirkend erhöhen wollen. Der Sprecher stellt klar, dass die Angaben im Transparenzregister unverbindlich seien und den „Bürgerinnen und Bürgern sowie der kommunalen Verwaltung lediglich als Anhaltspunkt dienen“ sollen.
Bis zum 30. Juni hat Tübingen noch Zeit, den Hebesatz rückwirkend zum 1. Januar zu erhöhen. Der Gemeinderat soll vier Tage vorher in seiner Sitzung am 26. Juni über die Anpassung entscheiden. Die daraus resultierenden Einnahmen verschaffen der Stadt etwas Luft auf dem Weg zu einem genehmigungsfähigen Haushalt.
Kritik am Transparenzregister des Finanzministeriums
AblehnungDer Gemeindetag Baden-Württemberg hat das Transparenzregister „von Anfang an abgelehnt“, wie ein Sprecher gegenüber unserer Zeitung bereits Ende April mitteilte. Denn Städte und Gemeinden könnten „in unbegründete Erklärungsnöte geraten“, wenn der „tatsächlich aufkommensneutrale Hebesatz vor Ort in manchen Fällen legitimer Weise oberhalb des Hebesatzkorridors liegen könnte“, hieß es.
Aufkommensneutral48 von 179 Gemeinden in der Region Stuttgart liegen beim Hebesatz der Grundsteuer B über der vom Finanzministerium empfohlenen Obergrenze. Das ergab eine Recherche unserer Zeitung, für die wir die neuen Hebesätze mit dem im Transparenzregister festgelegten Korridor abgeglichen haben. Das legt den Verdacht nahe, dass ein starkes Viertel der Kommunen in der Region die Grundsteuerreform anders als vom Gesetzgeber gewünscht nicht aufkommensneutral umsetzt, sondern insgesamt mehr Grundsteuer von ihren Bürgern einzieht.