Exoskelette sollen Schwerstarbeit erleichtern

dpa/lsw Stuttgart. Exoskelette machen aus Mitarbeitern keine Supermänner, aber sie können dazu beitragen, dass die Arbeit den Körper weniger belastet. Am Flughafen Stuttgart kommen die neuartigen Stützkonstruktionen nun zum Einsatz. Die Lösung gegen Rückenleiden im Job?

Ein Mitarbeiter des Stuttgarter Flughafens hebt mit Unterstützung eines Exoskeletts einen Koffer auf einen Gepäckwagen. Foto: Marijan Murat/dpa

Ein Mitarbeiter des Stuttgarter Flughafens hebt mit Unterstützung eines Exoskeletts einen Koffer auf einen Gepäckwagen. Foto: Marijan Murat/dpa

Auf den ersten Blick sieht das Exoskelett auf dem Rücken von Sebastian Bethge wie ein roter Rucksack aus. Doch wer dem Flughafenmitarbeiter bei der Arbeit zuschaut, entdeckt, dass vom Rücken bis zu den Oberschenkeln futuristisch anmutende Streben reichen. Wenn Bethge einen 25 Kilogramm schweren Koffer hochhebt, fühlt sich die Last für ihn federleicht an, denn das Exoskelett verteilt das Gewicht auf den oberen Rücken und die Beine. Einziger Nachteil: Unter der Konstruktion wird es so warm, dass Bethge schwitzt. „Aber Shirts kann man leichter austauschen als Bandscheiben.“

Bethge ist einer vor vier Mitarbeitern am Flughafen Stuttgart, die das neuartige Gerät testen. Der Flughafen hat zwei Exoskelette für je ein Jahr geleast und am Freitag vorgestellt. Die Kraftanzüge sollen den Mitarbeitern beim Gepäck-Handling helfen, indem sie die Bewegungen der Träger unterstützen oder stärken. „Wenn sie sich bewähren, werden wir weitere bestellen“, sagt Daniel Schmidt von der Stuttgart Airport Ground Handling.

Rückenschmerzen und ähnliche Leiden sind nach Angaben einer Studie der DAK weiterhin der häufigste Grund für Fehlzeiten im Job. 2019 entfielen darauf 21,2 Prozent aller Krankschreiben, wie die DAK bei der Auswertung der Daten von rund 2,4 Millionen erwerbstätigen Versicherten ermittelt hat.

Ein Wundermittel für gesündere Beschäftigte insgesamt seien Exoskelette jedoch nicht, gibt Urs Schneider vom Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) zu bedenken. Er rät Unternehmen, vor dem Einsatz der Anzüge erst einmal das „TOP-Prinzip“ anzuwenden: „Erst technologisch umrüsten, dann die Organisation umbauen und erst dann an die Personen, an die Mitarbeiter gehen.“

Es gebe jedoch auch Ausnahmen, sagt Schneider. „Im Falle sehr hoher körperlicher Beanspruchung sind Exoskelette wahrscheinlich ein kluges Mittel.“ Auch bei stundenlangem Über-Kopf-Arbeiten, etwa beim Malern, Bohren oder Schrauben, könnten sie gute Dienste leisten. Denn: „Robotisch funktionieren diese Aufgaben nicht, das müssen Menschen machen.“

Mögliche Probleme oder Nebenwirkungen durch Exoskelette schätzt Schneider als gering ein. Manch einer habe Angst, dass die Muskeln degenerieren oder es zu Fehlhaltungen kommen könnte. „Wenn man den Körper immer stützt, hat er keine Lust mehr.“ Da die Unterstützungsleistung passiver und aktiver Exoskelette aber begrenzt bleibe, sei auch das Risiko begrenzt, sagt der Experte. Die Forschung stecke diesbezüglich noch in den Kinderschuhen: „Wir sind hier in der Pionierzeit.“

Am Flughafen wurden bereits andere Lösungsmöglichkeiten geprüft - aber den Menschen könne man nicht ersetzen, sagt Manfred Grempels, Betriebsleiter für die Gepäck- und Transportdienste. „Koffer haben verschiedene Formen, und es gibt immer was, was maschinell gar nicht zu machen ist.“ Eine vollständige Automatisierung der Gepäcksortierung, wie es sie etwa in Stockholm gebe, sei am Stuttgarter Flughafen ebenfalls nicht möglich. „Da müsste man die komplette Infrastruktur ändern.“

Der Hersteller - ein Augsburger Unternehmen - produziert sogenannte aktive Exoskelette, die im Gegensatz zu mechanischen Exoskeletten elektrisch angetrieben werden. Ziel sei es, Rückenverletzungen und Bandscheibenvorfälle deutlich zu verringern, erklärt Produktmanagerin Norma Hoeft. „Jeder weiß natürlich, wie man vernünftig hebt.“ In der Praxis wären viele Mitarbeiter jedoch gezwungen, Objekte auf eine ungesunde Art zu wuchten. Da soll das Exoskelett unterstützen, bevor es zu Körperschäden kommt. „Manche können in ihrem Beruf gar nicht weiterarbeiten. Das ist dann auch für den Arbeitgeber schwierig, weil man die Fachkräfte ersetzen muss.“

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Erstellt:
21. Februar 2020, 15:04 Uhr

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