Flutkatastrophe: Politiker betonen Ausnahmesituation

dpa Koblenz/Berlin. Haben die Katastrophenschützer in den überfluteten Gebieten angemessen gewarnt? Was haben die Innenminister der Länder getan? Auch wenn erstmal die Hilfe im Vordergrund steht, werden die Fragen bleiben.

Ein Autowrack inmitten von Ästen und Geröll in Marienthal im Ahrtal. Foto: Boris Roessler/dpa

Ein Autowrack inmitten von Ästen und Geröll in Marienthal im Ahrtal. Foto: Boris Roessler/dpa

Je höher die Zahl der Todesopfer steigt, desto bohrender werden die Fragen nach möglichen Versäumnissen vor der großen Flutkatastrophe. Und danach, ob dafür jemand in den betroffenen Bundesländern die politische Verantwortung tragen sollte.

„Es kam alles zusammen, was an ungünstigen Umständen überhaupt zustande kommen konnte, in diesem kleinen Ahrtal“, sagte der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) am Donnerstag in einer Sondersitzung von drei Landtagsausschüssen in Mainz. „Die Situation ist eine solche Ausnahme, die die Bundesrepublik noch nicht erlebt hat.“ Für solche Situationen sei ein völlig neues Warnsystem notwendig.

„Das war außerhalb jeder Vorstellungskraft“, sagte die Bundestagsabgeordnete Mechthild Heil (CDU), deren Wahlkreis in Ahrweiler liegt. Viele Bewohner der Region seien traumatisiert von den Erlebnissen der vergangenen Tage, „einige von ihnen mussten mit ansehen, wie Menschen ertrinken“.

Lewentz war am Mittwoch vergangener Woche während des Starkregens selbst nach Ahrweiler gefahren, wo später die meisten Toten zu beklagen waren. Er sagte, er habe sich selbst ein Bild von der Lage in der Eifel machen wollen. Lewentz sprach damals auch mit dem für den Katastrophenschutz im Kreis verantwortlichen Landrat Jürgen Pföhler. Pföhler hat Fragen zur Warnung der Bevölkerung vor den Fluten bislang unter Verweis auf den Vorrang seiner Arbeit im Krisenstab nicht beantwortet.

Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte am vergangenen Montag gesagt, die Städte und Kreise hätten gut reagiert. Er sagte: „Ich kenne keinen Fall, wo auf Grund zu später Evakuierung Schaden entstanden ist.“ Ein größeres Problem sei vielfach gewesen, dass Menschen Warnungen nicht ernst genommen hätten und ihr Haus nicht verlassen wollten.

Ein Sprecher des NRW-Innenministeriums verwies am Donnerstag darauf, dass alle betroffenen Kommunen am Montag vor der Flutkatastrophe zur gleichen Zeit die Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdienstes erhalten hätten. Landräte und Oberbürgermeister seien nach dem Gesetz für die Organisation der Schadensabwehr bei Großeinsatzlagen und Katastrophen zuständig. Die Regelungen sähen zudem vor, „dass Kommunen Hilfe bekommen, wenn sie Hilfe benötigen“. Das Ministerium habe dann am Mittwoch eine Koordinierungsgruppe eingerichtet.

Tatsächlich hatten die einzelnen Kreise sehr unterschiedlich reagiert. Beispielsweise setzte der Rheinisch-Bergische Kreis am frühen Abend des 14. Juli eine Warnung ab mit dem Titel „Massive Überflutungsgefahr durch Dammbrüche“. Auch der weniger stark betroffene Kreis Vulkaneifel in Rheinland-Pfalz rief am Abend den Katastrophenalarm aus. Der Kreis Ahrweiler hat nicht über die Nina-App des Bundes gewarnt. Stattdessen forderte der Landkreis die Bürgerinnen und Bürger am Abend lediglich über die Katwarn-App auf: „Meiden Sie tieferliegende Gebäudeteile wie Keller oder Tiefgaragen“.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) teilte mit, während der Katastrophe habe es keine technische Störung des Warnsystems des Bundes gegeben. Die Behörde wies darauf hin, dass im Katastrophenfall die regionalen Behörden eine Warnung auslösen und in das Modulare Warnsystem einspeisen müssten. „Wenn dieser Schritt nicht erfolgt, kann die Warn-App Nina keine Warnung an ihre Userinnen und User herausgeben.“ Ob und mit welchem Inhalt über das System eine Warnung ausgelöst und dann über die Warn-App Nina ausgespielt werde, entschieden die Kommunen und Kreise eigenständig. Diese könnten zusätzlich auch eigene vor Ort vorhandene Warnmittel wie Sirenen oder kommerzielle Warn-Apps verwenden. „In der Hochwasserlage hat die Warn-App Nina fehlerfrei funktioniert“, hieß es.

Einige Landes- und Kommunalpolitiker in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hatten nach der Flutkatastrophe mit bisher 175 bestätigten Todesopfern die Frage aufgeworfen, ob fehlende Warnungen an einigen Orten womöglich mit technischen Problemen zusammenhingen.

In einigen Orten seien am Mittwoch vergangener Woche Sirenen zu hören gewesen, der Geräuschpegel der Wassermassen sei nach Aussage von Feuerwehrleuten aber so hoch gewesen, dass diese wahrscheinlich nicht überall wahrgenommen worden seien, sagte Lewentz. Und: „Wir alle denken, wenn die Sirene geht, wird die Feuerwehr alarmiert.“ Das System stamme noch aus der Zeit der „einfachen Fensterverglasung“ und müsse an die Gegenwart angepasst werden.

In Düsseldorf beschloss das Landeskabinett 200 Millionen Euro Soforthilfe für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe. Der Bund habe zugesagt, die Summen der Länderhilfspakete jeweils zu verdoppeln, sagte Ministerpräsident Armin Laschet (CDU). Anträge könnten sofort gestellt werden. Soforthilfen gebe es für vier Gruppen: Privatbürger, Wirtschaft, Landwirte und Kommunen.

Für betroffene Haushalte gibt es in beiden betroffenen Bundesländern eine Soforthilfe bis 3500 Euro. Bedürftigkeits-, Vermögens- und Detailprüfungen werde es nicht geben. „Wir vertrauen hier den Bürgern, dass es keinen Missbrauch gibt“, sagte Laschet für NRW. „Entscheidend ist, dass das Geld jetzt schnell bei den Menschen ankommt.“

„Potenzielle Versicherungsleistungen werden zunächst nicht geprüft“, erklärte der Ministerpräsident. Natürlich sei klar: „Wenn jemand von anderer Seite eine Erstattung bekommt, kann er nicht zusätzlich dieses Geld beantragen.“ Für jede unwettergeschädigte Betriebsstätte könnten Leistungen in Höhe von 5000 Euro abgerufen werden. Für die Kommunen würden insgesamt 65 Millionen Euro bereitgestellt, sagte Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU). Laschet versicherte: „Wir werden soviel Geld aufbringen, wie erforderlich ist.“

Bei der Hochwasserkatastrophe kamen mindestens 175 Menschen ums Leben - in Rheinland-Pfalz nach bisherigen Erkenntnissen 128, in NRW 47. Mehr als 150 Menschen wurden am Donnerstag noch vermisst.

© dpa-infocom, dpa:210722-99-482715/4

Zum Artikel

Erstellt:
22. Juli 2021, 17:24 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen