Zeitalter der Atombomben
Folgen von US-Nuklearbomben-Tests im Pazifik sind bis heute spürbar
Von Waffen ist derzeit viel die Rede. Wie viel Leid allein hinter deren Entwicklung steckt, zeigt eine jetzt von Greenpeace veröffentlichte Studie – mit beunruhigenden Ergebnissen.

© Imago/Photo12
Detonation einer thermonuklearen Bombe mit 150 Megatonnen Sprengkraft im März 1954 auf dem Bikini Atoll.
Von Markus Brauer/KNA
Die Folgen der US-Atombombentests im Pazifik sind laut einer Studie bis heute spürbar und wiegen weit schwerer als offiziell anerkannt. Das belegt eine vom amerikanischen Institute for Energy and Environmental Research im Auftrag von Greenpeace durchgeführte Studie. Die Umweltschutzorganisation veröffentlichte die 52 Seiten umfassende Untersuchung am Donnerstag (21. Mai).
„Nur 3 der 24 heute bewohnten Atolle erhielten medizinische Hilfe“
Durch die zwischen 1946 und 1958 durchgeführten Versuche wurden demnach alle bewohnten Atolle der Marshallinseln radioaktiv kontaminiert. „Nur 3 der 24 heute bewohnten Atolle erhielten medizinische Hilfe“, heißt es in der Studie.
Selbst die Menschen auf den gering belasteten Atollen waren demzufolge einer deutlich höheren Strahlenbelastung ausgesetzt als die evakuierte Bevölkerung von Pripjat nach der Reaktorkatastrophe 1986 im sowjetischen Tschernobyl (heute Ukraine).
Menschen als Versuchsobjekte
Als besonders erschütternd bezeichnet Greenpeace den Umstand, dass US-Wissenschaftler die gesundheitlichen Folgen bei den Betroffenen beobachteten, ohne sie angemessen zu behandeln. „Die Menschen wurden ohne ihr Wissen und ihre Zustimmung zu medizinischen Versuchsobjekten gemacht.“ Eine „gerechte Entschädigung und eine Entschuldigung durch die USA“ sei längst überfällig.
Die Studie zitiert beispielhaft aus dem Protokoll einer Sitzung des beratenden Ausschusses für Biologie und Medizin der US- Atomenergiekommission von 1956, der sich für Untersuchungen von in den verseuchten Gebieten lebenden Einwohnern der Marshallinseln aussprach. „Obwohl diese Menschen nicht so leben, wie es die Menschen im Westen tun, zivilisierte Menschen, ist es dennoch auch wahr, dass diese Menschen uns ähnlicher sind als Mäuse.“ Mäuse werden bis heute für Experimente zur Strahlenbelastung eingesetzt.
67 Atomtests auf den Marshallinseln
Insgesamt führten die USA 67 Tests auf den Marshallinseln durch. Die gezündete Sprengkraft betrug 108 Megatonnen. Das entspricht dem Abwurf einer Hiroshima-Bombe an jedem einzelnen Tag über 20 Jahre hinweg.
Die Tests hätten nicht nur Folgen im Pazifik, heißt es. Ihr radioaktiver Niederschlag habe sich weltweit verteilt und werde bis zu 100.000 zusätzliche Krebstote verursachen. Rund ein Viertel der gesamten Strahlenbelastung aus allen oberirdischen Atomtests weltweit gehe auf die Testreihe auf den Marshallinseln zurück.
1300-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe
Vor 40 Jahren, am 17. Mai 1985, evakuierte Greenpeace die Bevölkerung der Insel Rongelap, die besonders unter den Folgen der US-Atombombentests litt. Auf dem etwa 160 Kilometer weiter westlich gelegenen Bikini-Atoll hatten die USA im Jahr 1954 die „Castle Bravo“-Bombe gezündet. Sie hatte die 1300-fache Sprengkraft der Hiroshima-Bombe.
Die Wasserstoffbombe wurde im Rahmen der „Operation Castle getestet. „Bravo“ und „Yankee“ dieser Serie sind bis heute die stärksten je durchgeführten Kernwaffentests der Vereinigten Staaten. „Bravo“ hatte infolge falscher Berechnungen im Los Alamos National Laboratory fast dreimal so viel Sprengkraft wie erwartet.
Wie H-Bomben funktionieren
Die erste Wasserstoffbombe, auch H-Bombe (englisch für Hydrogen Bomb) genannt, wurde in den USA entwickelt und im Jahr 1952 auf dem Bikini-Atoll im Pazifik gezündet. Ihre Sprengkraft ging weit über die von Atombomben hinaus.
Während diese ihre Zerstörungskraft aus der Spaltung von Uran- oder Plutoniumkernen beziehen, beruht das Prinzip der Wasserstoffbombe auf der Verschmelzung von Kernen des Elements Wasserstoff zu Helium – vergleichbar mit den physikalischen Prozessen auf der Sonne. Weil zur Zündung einer H-Bombe extrem hohe Temperaturen nötig sind, kommt eine Atombombe als Zünder zum Einsatz.
Atomtests in der Atmosphäre und Erde
Ein Abkommen, das oberirdische Kernwaffenversuche verbietet, gibt es schon seit 1963, unterzeichnet von den USA, Großbritannien und der Sowjetunion. Das Moskauer Atomteststoppabkommen sollte Tests in der Atmosphäre, im Weltraum oder unter Wasser verhindern, um Mensch und Umwelt vor radioaktiver Verseuchung zu schützen. Doch längst nicht alle Staaten sind ihm beigetreten, darunter Nordkorea.
Ein umfassendes Verbot auch unterirdischer Tests sieht der 1996 verabschiedete Atomteststopp-Vertrag CTBT vor. Er kann aber erst in Kraft treten, wenn ihn alle Staaten ratifiziert haben, die über Atomtechnologie verfügen. Das haben mehr als 40 bisher nicht getan.
Welche Auswirkungen hätte eine H-Bomben-Test?
Alle bisherigen Nukleartests in der Atmosphäre hätten zusammen so viel Energie freigesetzt wie 29.000 Hiroshima-Bomben, zählt die Organisation für die Überwachung des Atomteststopp-Vertrages CTBTO. Neben den geopolitischen Konsequenzen wären von einem Test über dem Pazifik auch Mensch und Natur betroffen. Radioaktivität kann zu Zellmutationen und damit zu Krebs führen. Im Meer werden Fische und andere Lebewesen kontaminiert. Radioaktivität könnte so in die Nahrungskette gelangen.
Gibt es Zahlen zu Opfern von Nuklear-Tests?
Keine genauen. Laut CTBTO ist es schwierig, genaue Todeszahlen wegen radioaktiver Kontaminierung zu erheben. In einer Studie von 1991 schätzt die Anti-Atomwaffen-Organisation IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges), dass die Zahl der Krebstoten wegen Verstrahlung nach Nukleartests bis zum Jahr 2000 bei 430.000 liegen und in den Jahren danach noch auf bis zu 2,4 Millionen steigen könnte.
Wie viele Atomtests hat es seit 1945 gegeben?
Seit 1945 mehr als 2000, überwiegend durch die USA und Russland. Beide stoppten ihre Tests – so wie Großbritannien – zu Beginn der 1990er Jahre. Frankreich und China schlossen sich 1996 an, Indien und Pakistan folgten 1998. Alle jüngeren Atomtests gehen auf das Konto des Regimes in Nordkorea.
Info: Das A-Bomben-Zeitalter
Trinity Am 16. Juli 1945, 5:29:45 Uhr Ortszeit, begann mit dem Trinity-Test das Zeitalter der Atomwaffen. In der Wüste des amerikanischen Bundesstaates New Mexico, auf dem weiträumig abgesperrten Gelände von Alamogordo, zündeten die Amerikaner die erste Atombombe. Trinity (englisch für Trinität – Dreifaltigkeit) war der Codename des US-Militärs für diese erste jemals erfolgte Kernwaffenexplosion. Der Codename der Waffe war The Gadget („Das Gerät“).
Fehlzündung oder Weltkatastrophe Bis zur letzten Sekunde konnte niemand wissen, ob alle Berechnungen stimmten, ob das Ganze in einer lächerlichen Fehlzündung, oder in einer gigantischen Weltkatastrophe enden würde. 1945, nach Hiroshima und Nagasaki, bekannte der amerikanische Präsident Harry Truman: „Wir haben zwei Milliarden Dollar für das größte wissenschaftliche Spiel in der Geschichte gewagt, und wir haben gewonnen.“
Manhattan Project Unter dem Decknamen „Manhattan Project“ forcierten die USA in den 1940er Jahren die geheime Entwicklung einer eigenen nuklearen Bombe. Damit wollten die Amerikaner Nazi-Deutschland zuvorkommen und den Zweiten Weltkrieg so rasch wie möglich siegreich beenden. Den Beschluss zum Bau der Bombe fasste Präsident Franklin D. Roosevelt im Dezember 1941. Damit kam das Waffenprojekt richtig in Gang.
Los Alamos Wichtige Vorleistungen waren bereits an der Columbia University im New Yorker Stadtteil Manhattan und anderswo erbracht worden. Im November 1942 wurde das Zentrum der Forschungen nach Los Alamos im US-Wüstenstaat New Mexico verlegt, wo Tausende Wissenschaftler und Techniker arbeiteten. Militärischer Chef war General Leslie R. Groves. Als „Vater der Atombombe“ gilt J. Robert Oppenheimer, Physiker und Forschungsdirektor von Los Alamos.
Hiroshima und Nagasaki Die erste Testbombe explodierte am 16. Juli auf einem stählernen Turm in der Wüste. Drei Wochen danach warfen US-Flugzeuge Bomben auf japanische Städte – „Little Boy“ am 6. August 1945 auf Hiroshima und „Fat Man“ am 9. August 1945 auf Nagasaki. Unter dem Eindruck der Zerstörungen distanzierte sich Oppenheimer von Atomwaffen. Theoretische Grundlagen hatte Albert Einstein Jahrzehnte vorher gelegt. Er empfahl 1941 den Bau der Waffe, nahm aber an den Arbeiten nicht teil und sagte später, seine Empfehlung sei ein „großer Fehler seines Lebens“ gewesen.