Neue Energiequelle?
Forscher der Uni Gießen stellen extrem energiereiche Substanz her
Es handelt sich um eine ganz besondere chemische Verbindung: Der an der Universität Gießen entwickelte Hexastickstoff könnte der weltweit effizienteste Energiespeicher werden.

© Peter R. Schreiner
Hexastickstoff ist extrem energiereich und zerfällt rückstandslos zu Stickstoff, einem Bestandteil unserer Atemluft.
Von Markus Brauer
Es ist eine ungewöhnliche, extrem energiereiche Substanz: Drei Chemiker der Justus-Liebig-Universität Gießen (JLU)aus Gießen haben Hexastickstoff (N6) produziert, der aus einer Kette von sechs Stickstoffatomen besteht.
Energiereichstes Molekül aller Zeiten
„Dies ist das energiereichste Molekül, das jemals hergestellt wurde“, sagt Studienleiter Peter Schreiner von der Universität Gießen. Zudem sei es zuvor weltweit nicht gelungen, eine isolierbare, neutrale Verbindung aus reinem Stickstoff zu produzieren, die mehr als zwei Atome hat. Das Team präsentiert seine Arbeit im Fachjournal „Nature“.
Conjugated Nanobelts Based on N-Hetero[(6.)m8]ncyclacene https://t.co/WAZQG2nYh8#chemistry#openaccess#science#chemtwitterpic.twitter.com/yzqt5R3zWs — CCS Chemistry (@CCSChemistry) June 20, 2025
Bei dieser bislang nur theoretisch vorhergesagten Form von reinem Stickstoff handelt es sich um die energiereichste Substanz, die jemals gebildet wurde. Das Molekül besteht aus sechs Stickstoffatomen in einer Kette und speichert enorme Mengen an Energie, die durch den rückstandslosen Zerfall zu N2 („normaler“ Stickstoff, der 78 Prozent unserer Luft ausmacht) wieder zurückgewonnen werden kann. Das macht eine künftige Anwendung als umweltfreundlicher Energiespeicher denkbar.
Wie die Produktion von Hexastickstoff gelang
Zur Herstellung von N6 ließen die Forscher um den Chemiker Peter R. Schreiner Chlorgas (Cl2) oder Brom (Br2) mit Silberazid (AgN2) reagieren. Die entstehenden Reaktionsprodukte wurden bei sehr tiefen Temperaturen (minus 263 Grad Celsius) in einer Argon-Eismatrix eingefangen, um sie zu stabilisieren und N6 zu nachzuweisen.
Außerdem gelang es, N6 in Reinform als dünnen Film bei minus 196 Grad Celsius (Temperatur von flüssigem Stickstoff) herzustellen. Die Forscher gehen davon aus, dass Hexastickstoff in diesem Zustand über 100 Jahre stabil bleibt.
Das Team, zu dem außer Schreiner noch Artur Mardyukov und Weiyu Qian vom Institut für Organische Chemie der JLU gehören, konnte Hexastickstoff mit verschiedenen Spezialmethoden nachweisen.
Lebensdauer von rund 35 Millisekunden
Bei Raumtemperatur hat die Substanz eine Lebensdauer von rund 35 Millisekunden. „Das reicht aus, um es einzufangen und es zu untersuchen – ein riesiger Fortschritt in der Stickstoffchemie“, betont Schreiner.
Bei der Zerlegung von N6 in normalen Luftstickstoff (N2) wird mehr als zwei Mal so viel Energie pro Gramm freigesetzt wie bei TNT (Trinitrotoluol, einem Sprengstoff) – und das ganz ohne umweltschädliche Nebenprodukte.
„Effizientester Energiespeicher“
„In der Tat wäre Hexastickstoff damit der effizienteste Energiespeicher“, erklärt Schreiner, für den die Entdeckung ein echter Durchbruch ist. „Es ist das erste Mal, dass ein isolierbares, neutrales Stickstoffmolekül mit mehr als zwei Atomen im Labor hergestellt wurde. Das öffnet die Tür für die gezielte Entwicklung neuer und sauberer Hochenergiematerialien.“
Der Chemiker weiß, dass mit der Entdeckung auch Herausforderungen verbunden sind. „Die Handhabung sehr energiereicher Verbindungen ist immer mit Risiken verbunden, wenn deren Zersetzung unkontrolliert passiert und alle Energie auf einmal freigesetzt wird“, erläutert er.
Neben der Erforschung weiterer Polystickstoffe werde es daher künftig auch um die sichere Herstellung und Handhabung von Hexastickstoff gehen, um die kontrollierte Umwandlung in Stickstoff (N2) und darum, die Ergebnisse aus dem Labor in größere Maßstäbe zu übertragen.