Menschenrechtsgericht urteilt
Frankreich wegen mangelndem Schutz von Vergewaltigungsopfer verurteilt
Straßburger Richter sehen gravierende Lücken im französischen Recht: Eine Frau sei im Prozess erneut zur Schuldigen gemacht worden. Frankreich muss ihr 20.000 Euro zahlen.

© David-Wolfgang Ebener/dpa
Das Europäische Menschenrechtsgericht hat Frankreich am Donnerstag verurteilt. (Symbolbild)
Von red/afp
Das Europäische Menschenrechtsgericht hat Frankreich am Donnerstag verurteilt, weil es ein mutmaßliches Vergewaltigungsopfer nicht ausreichend geschützt hatte. Die französische Justiz sei nicht ausreichend gewappnet, „um gegen sexuelle Akte ohne Zustimmung vorzugehen“, urteilten die Straßburger Richter.
Geklagt hatte eine Apothekenhelferin, die mit ihrem 16 Jahre älteren Vorgesetzten eine Sado-Maso-Beziehung eingegangen war. Sie hatte ihn später wegen Vergewaltigung und Folter verklagt. Das Berufungsgericht in Nancy hatte den Mann freigesprochen und auf die Sado-Maso-Beziehung der beiden verwiesen.
Richter kritisieren Gesetzeslücken und sekundäre Viktimisierung
Das Menschenrechtsgericht prangert nun „Lücken“ in der französischen Gesetzgebung an. Konkret kritisierten die Richter die Art und Weise, wie die französische Justiz eingeschätzt habe, ob die Frau ihre Zustimmung gegeben habe. Die Frau sei während des Gerichtsverfahrens zudem erneut zum Opfer geworden, da sie durch unangebrachte Fragen in die Rolle der Schuldigen gedrängt worden sei.
Die Straßburger Richter verurteilten Frankreich zu einer Entschädigungszahlung in Höhe von 20.000 Euro an die Betroffene.
Debatte über neues Gesetz
Eine Lobbygruppe gegen Gewalt gegen Frauen am Arbeitsplatz begrüßte das Urteil. „Hier geht es eindeutig um die Definition von Vergewaltigung“, betonte die Juristin Nina Bonhomme Janotto. „Das Urteil sollte die französische Regierung bewegen, ein Gesetz zu verabschieden, das Frauen besser schützt“, sagte Marjolaine Vignola, die Anwältin der Klägerin.
In Frankreich wird derzeit ein Gesetz debattiert, das eine Vergewaltigung als sexuellen Akt ohne Zustimmung neu definiert. Demnach gelten Schweigen oder eine fehlende Reaktion nicht als Zustimmung zu einem sexuellen Akt. Es brauche vielmehr ein ausdrückliches Ja.
Wegen kleinerer Änderungen muss das Gesetz noch in den Vermittlungsausschuss, doch über das Hauptanliegen herrscht Konsens: „Die Zustimmung muss freiwillig und bewusst geschehen“, heißt es in dem Text.
„Zustimmen bedeutet nicht, nicht Nein zu sagen, sondern ausdrücklich Ja zu sagen“, betonte Gleichstellungsministerin Aurore Bergé. Auch Norwegen, Dänemark, Griechenland und Spanien definieren Vergewaltigung bereits nach dem Prinzip „Nur Ja heißt Ja“.