Freispruch nach Sex auf dem Backnanger Stadtfriedhof
Der Richter glaubt dem Angeklagten, dass es keine Vergewaltigung war. Das vermeintliche Opfer ist bei der Polizei nicht unbekannt.

© Jörg Fiedler
Der etwas ungewöhnliche Ort für das romantische Treffen: der Stadtfriedhof. Archivfoto: Edgar Layher
Von Lorena Greppo
Backnang. Die Vorwürfe wogen schwer: Im September 2022 soll der Angeklagte auf dem Stadtfriedhof in Backnang eine Frau vergewaltigt haben. Die Anklage vor dem Amtsgericht Backnang lautete deshalb auf Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung. Am Ende sagte aber auch der Staatsanwalt: „Man kann nur zu einem Ergebnis kommen, nämlich Freispruch.“ Dieser Empfehlung folgte dann auch Richter Marco Sievert. Schon im Vorfeld der Verhandlung habe vieles dafür gesprochen, dass der Prozess diesen Ausgang nimmt.
Durch seine Verteidiger lässt der Angeklagte zu Beginn der Verhandlung eine Erklärung verlesen. Darin schildert er, was sich aus seiner Sicht an jenem 26. September 2022 zugetragen hat. Kennengelernt habe er die besagte Frau Monate vorher im Supermarkt. Beim Bezahlen ihres Einkaufs habe ihr ein Centbetrag gefehlt, den er dann für sie übernommen habe. Man sei danach ins Gespräch gekommen. Offenbar sind beide regelmäßige Konsumenten von Marihuana. Die Frau bekundete Interesse daran, Drogen von ihm zu kaufen und gab dem heute 33-Jährigen ihre Handynummer.
Drogen im Austausch für Sex vorgeschlagen
In der Folge chatteten die beiden unregelmäßig, meistens ging es um Belanglosigkeiten. In Backnang liefen sich beide immer wieder über den Weg – unter anderem auf dem Straßenfest. Im Nachgang fragte die Frau erneut, ob sie Marihuana von ihm kaufen könne, fügte aber hinzu, dass sie kein Geld habe. Er antwortete, dass man ja stattdessen zusammen „chillen“ könne. Seiner Auffassung nach habe er dadurch klar kommuniziert: Im Austausch für die Drogen solle es zum Sex kommen.
Im September wurde ein Treffen nahe des Stadtfriedhofs vereinbart. Um ungestört zu sein, hätten sich beide auf das Friedhofsgelände zurückgezogen, dort gemeinsam gekifft und schließlich auch Sex gehabt – einvernehmlich, wie der Angeklagte von seinen Verteidigern betonen lässt. Man sei im Guten auseinandergegangen.
Ganz anders fiel die Schilderung der Frau wenige Tage später in einer polizeilichen Vernehmung aus. Sie selbst gab diese vor Gericht nicht wieder, sondern machte von ihrem Recht Gebrauch, das Zeugnis zu verweigern. Stattdessen sagte eine Polizistin dazu aus. Laut Angaben der Frau habe der Angeklagte sie gewaltsam auf den Friedhof gezerrt, dagegen habe sie sich verbal und körperlich gewehrt. Er habe sie geschubst und getreten und als sie am Boden lag, habe er ihre Leggins runtergezogen und sie vergewaltigt. Nach der Tat sei er davongegangen und habe sie verletzt am Boden liegengelassen. Sie sei nach Hause gegangen und habe geduscht. Erst Tage später habe sie sich einer Freundin anvertraut, die sie dann überredete, die Polizei zu verständigen. In der Folge wurde der vermeintliche Täter in Untersuchungshaft genommen.
Angebliches Opfer sagt widersprüchlich aus
Im Laufe der Ermittlungen ergaben sich jedoch einige Widersprüche in der Schilderung des angeblichen Opfers. So gab die Frau beispielsweise an, den 33-Jährigen auf dem Straßenfest kennengelernt zu haben. Chatverläufe belegen aber, dass schon vorher Kontakt bestand. Auch behauptete sie, der Backnanger habe ihr mehrfach vor der Wohnung aufgelauert – zu diesem Zeitpunkt befand dieser sich allerdings bereits in Untersuchungshaft. Diese und weitere Ungereimtheiten weckten Zweifel bei den Ermittlern. Wie der Eindruck der Frau war, fragte der Richter die Polizistin. „Schwierig“, sagte diese. Einen Durchbruch in der Wahrheitsfindung brachte im Januar eine Meldung des Landeskriminalamts. Dieses teilte mit, dass die Frau weitere Anzeigen wegen ähnlicher Sachverhalte gegen andere Männer erstattet hatte. Der Staatsanwalt berichtete darüber hinaus, die Frau sei in einer mäßigen Verfassung, was ihre geistige Gesundheit angehe.
Dass das Urteil auf einen Freispruch hinauslaufen muss, war folglich für alle Verfahrensbeteiligten eindeutig. Wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz ließ der Staatsanwaltschaft zwar ein Verfahren anlegen, dieses werde jedoch eingestellt. „Sie sind schon genug gestraft“, befand auch Richter Sievert angesichts der langen Untersuchungshaft von fast vier Monaten. Der 33-Jährige erklärte sich im Gegenzug bereit dazu, auf eine Haftentschädigung zu verzichten.