Früher Gästeküche, heute steriler Essraum

Neueste Südwest-Jugendherberge steht auf dem Gelände der Bundesgartenschau

Jubiläum - Als das Jugendherbergswerk vor100 Jahren gegründet wurde, ging es darum, die Jugend in die Natur zu bringen. Heute sind die erfolgreichsten Häuser in den großen Städten – so wie die neue Herberge in Heilbronn. Was hat sich an den Unterkünften verändert?

Stuttgart/Heilbronn Mit einer heißen Schokolade in der Hand streben Denise (22) aus Aalen und Patrizia (20) aus Pforzheim durch die Lobby dem Ausgang entgegen. Das Essen schmecke, die Zimmer seien top, und von der Baustelle für die im April beginnende Bundesgartenschau rund um das Haus höre man fast nichts, sagen die beiden – zumindest wenn das Fenster zu sei.

Die Duschen in der Unterkunft sind sauber und ebenerdig begehbar. Massenwaschräume gibt es in dem im vergangenen Oktober eröffneten Haus auf dem Gelände der diesjährigen Bundesgartenschau nicht. Jedes Zimmer hat eine eigene Toilette und ein eigenes Bad. Eine Dachterrasse bietet einen Panoramablick über die Stadt und die Gartenausstellung. Elf Millionen Euro hat das Herbergswerk mit kräftiger Unterstützung der Stadt Heilbronn hier investiert. Die Betten müssten die Gäste noch selber beziehen und natürlich nach dem Essen die Tabletts abräumen. Aber sonst sei es hier „eigentlich fast wie in einem Hotel“, sagt der Herbergsvater Oliver Schulz. Der 51-Jährige muss es wissen. Er ist Hotelbetriebswirt.

Schulz weiß allerdings auch, dass sein Chef Karl Rosner, der Geschäftsführer des Landesverbands in Stuttgart, solche Vergleiche überhaupt nicht hören mag. Denn dann bekommt er Ärger mit dem Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Die Wirte haben die Jugendherbergen schon lange im Verdacht, sie könnten in ihren ureigensten Revieren wildern. 25,90 Euro kosten Übernachtung und Frühstück in der noblen Heilbronner Jugendherberge. Ein Zimmer in einem normalen Hotel ist hingegen kaum unter 80 Euro zu haben.

Um den Hoteliers den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat Rosner vorsorglich einige jugendherbergstypische Erkennungsmerkmale in dem 180-Betten-Haus einbauen lassen. In der großzügigen Lobby liegt statt Deko-Marmor oder edlem Teppich graues PVC. Die Zimmer werden zwar mit Magnetkarte geöffnet, es gibt aber keinen Flachbildschirm und auch kein WLAN. Und auch die Doppelstockbetten sind unvermeidlich, allerdings ließ Rosner keine Dutzendware aus Sperrholz aufstellen, sondern kojenartige Sonderanfertigungen vom örtlichen Schreiner.

Die Gründungsväter der Jugendherbergsbewegung hätten sich über eine solche Luxusherberge wohl ziemlich gewundert. Exakt 100 Jahre ist es her, dass in Gesellschaftszimmer Nummer eins, erster Stock des Weinhauses am See, eines beliebten Lokals im Stuttgarter Stadtgarten, die Landesvereinigung der Schwäbischen Jugendherbergen aus der Taufe gehoben wurde. Taufpaten waren der Schwäbische Albverein und der Württembergische Schwarzwaldverein. „Die bescheidenste Form der Einrichtung besteht in der Bereithaltung von etwa 20 Heulagern“, lautete die damals formulierte Mindestanforderung. Ein Jahr später folgte in der Aula des heutigen Bismarck-Gymnasiums in Karlsruhe die Gründung des „Gau Baden im Deutschen Jugendherbergswerk“. Das Vereinsziel sei die Einrichtung „zweckmäßiger, nahezu kostenloser Unterkunftsstätten, und zwar“, wie betont wurde, „unter tunlichster Vermeidung des Wirtshauses“.

Noch im Jahr 1919 öffneten in Tübingen, Bad Mergentheim und Heilbronn die ersten Jugendherbergen im Südwesten. Es folgten in rascher Folge weitere Häuser, doch der ­Betrieb war bisweilen von kurzer Dauer, wie Annika Hägele-Ziegler, Referentin bei der Stuttgarter Geschäftsstelle, anlässlich des Jubiläums recherchiert hat. „Ehe 1920 das erste deutschlandweite Verzeichnis erschien, waren einige Standorte schon wieder geschlossen“, sagt Annika Hägele-Ziegler. Die Räume wurden anderweitig gebraucht oder wie die erste Jugendherberge in Schwenningen „infolge widerlicher Verhältnisse“, wie es damals hieß, wieder ­aufgegeben.

Den Gründervätern der Jugendherbergsbewegung ging es darum, die Jugend in die Natur zu bringen. Höfe und Burgen wurden so zu beliebten Standorten. Heute sind die erfolgreichsten Häuser diejenigen in den großen Städten. Auch die Heilbronner Herberge erwartet in den nächsten Monaten Bundesgartenschau-bedingt einen riesigen Ansturm. „16 000 Übernachtungen sind schon fix. 40 000 dürften es am Ende werden“, sagt der Herbergsvater Schulz.

Ein Workshop ihres Arbeitgebers hat die jungen Kaufland-Azubis Denise und Patrizia schon jetzt in die Heilbronner Jugendherberge gebracht, und sie sind durchaus angetan vom neuesten Haus des baden-württembergischen Jugendherbergs-Landesverbandes. „In Freiburg waren wir auch schon. Da war es nicht so schön“, erzählt Patrizia, die etwa die dortigen Duschen in keiner guten Erinnerung behalten hat.

Die Investition in Heilbronn soll nicht die letzte des Landesverbandes der Jugendherbergen gewesen sein. Chef Karl Rosner plant schon das nächste Projekt. „Wir müssen unbedingt in Karlsruhe etwas tun“, sagt er.https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.jugendherbergen-sterben-geht-weiter-aus-fuer-idylle-mit-stockbett.bd1d1e0d-a248-4f90-8acc-c72c40591942.html

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Erstellt:
5. Februar 2019, 10:45 Uhr

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