Steinzeit-Kannibalismus

Frühmenschen aßen sogar Kleinkinder

In Spanien haben Archäologen einen krassen Fall von Kannibalismus bei unserem Vorfahren entdeckt: Ein kleines Kind, das ihm vor 850.000 Jahren als Nahrung diente.

Mit diesen Beißerchen konnte der Homo antecessor vor 850.000 Jahren kräftig zubeißen – und auch Artgenossen verspeisen.

© Imago/Zoonar

Mit diesen Beißerchen konnte der Homo antecessor vor 850.000 Jahren kräftig zubeißen – und auch Artgenossen verspeisen.

Von Markus Brauer

Wie schmeckt Menschenfleisch? Das wissen – zum Glück – nur wenige Menschen. Und das aus gutem Grund: Wer Menschenfleisch vertilgt, der gilt als Kannibale und Kannibalismus ist strafbar.

Wie schmeckt Menschenfleisch?

Gerüchteweise soll der Homo sapiens dem Geschmack von Hühnerfleisch nicht unähnlich sein. Doch echte Kannibalen sollen zu Protokoll gegeben haben, dass der Geschmack dem von Lamm und Schwein, nicht aber Hühnchen ähnelt.

Wie dem auch immer sei. In den meisten menschlichen Kulturen ist das Verspeisen von Artgenossen ein Tabu. Paläontologische Knochenfunde belegen hingegen, dass unsere frühe Vorfahren da weit weniger zimperlich waren, wenn es darum ging, den Bauch zu füllen.

Menschliche Knochen mit Schnittmarken verraten, dass Neandertaler sowie ältere Frühmenschenarten Menschenfleisch verzehrten. Besonders häufig könnte dies beim Homo antecessor der Fall gewesen sein. Dieser vor rund 850.000 Jahren lebende Frühmensch hat in der berühmten spanischen Fundstätte Atapuerca besonders viele Belege kannibalistischer Speisepläne hinterlassen.

Vor 850.000 Jahren: Kleinkind wurde enthauptet und verspeist

Jetzt belegt ein neuer Fund, dass der Homo antecessor mitunter das Fleisch seiner Kinder verzehrte. Archäologen um Palmira Saladié vom spanischen Institut für menschliche Paläoökologie und Evolution (IPHES) stießen in der Gran-Dolina-Höhle von Atapuerca auf die Knopchen von zehn weiteren Frühmenschen der Spezies Homo antecessor aus der Zeit vor rund 850.000 Jahren. Sie zeigen eindeutige Spuren von Kannibalismus wie Schnittkerben, Bissspuren und zertrümmerte Markknochen.

Unter den Toten war auch ein zwei bis fünf Jahre altes Kind. Es wurde enthauptet und entfleischt, wie die Knochenfunde belegen. „Dieser Fall ist wirklich herausragend, nicht nur wegen des Alters des Kindes, aber auch wegen der Präzision der Schnittspuren“, erklärt Saladié. Die Schnitte an den Halswirbeln liegen an anatomischen Schlüsselstellen für das Entfernen des Kopfes.

Kannibalismus kam offenbar häufiger vor

„Dies ist ein direkter Beleg dafür, dass dieses Frühmenschenkind wie jede andere Beute verarbeitet wurde“, erläutert Saladié. Den Spatenforschern zufolge belegen die Funde, dass dem Homo antecessor auch Artgenossen als Nahrungsquelle dienten – wenn Not am Frühmenschen war. In allen Funden aus der Gran-Dolino-Höhle liegt der Anteil von Skeletten mit deutlichen Kannibalismus-Spuren bei rund einem Drittel.

„Was wir hier dokumentieren, ist auch die Kontinuität dieses kannibalischen Verhaltens: Diese Behandlung der Toten war keine Ausnahme, sondern geschah wiederholt“, konstatiert Saladié. Warum der Homo antecessor zum Kannibalen wurden, ist ein Rästel. Ein Grund könnten Zeiten des Hungers gewesen sein. Möglicherweise ging es auch um das Austragen territorialer Konflikte, wie die Archäologen erklären.

Neue Erkenntnis über Frühmenschen

Nähere Informationen könnten weitere Ausgrabungen in der Gran-Dolino-Höhle liefern. DIe Forscher gehen davon aus, dass die Fundschicht aus der Zeit des Homo antecessor noch weitere unentdeckte Fossilien enthält. „Jedes Jahr entdeckten wir hier neue Funde, die uns zwingen, unsere Vorstellungen davon zu revidieren, wie diese Frühmenschen lebten, starben und wie sie ihre Toten vor fast einer Million Jahren behandelten“, sagt Saladié.

Zum Artikel

Erstellt:
28. Juli 2025, 12:54 Uhr
Aktualisiert:
28. Juli 2025, 13:29 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen