Gaffer und Pöbler stören Lebensretter
Am Bahnhof von Bad Cannstatt kommt es am Montagabend zu erschütternden Szenen. Bei einem Herzinfarkt helfen die einen, die anderen stören. Das ist kein Einzelfall.

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Der Vorfall ereignete sich am Bahnhof in Bad Cannstatt.
Von Jürgen Bock
Stuttgart - Es ist kurz nach 21 Uhr am Montagabend, als die Situation in einem Regionalzug in Stuttgart plötzlich dramatisch wird. Ein Mann bricht zusammen, hat mutmaßlich einen Herzinfarkt. Der Zug bleibt am Bahnhof Bad Cannstatt stehen. Der Begleiter des Mannes und weitere Reisende bringen ihn auf den Bahnsteig, leisten Erste Hilfe und verständigen den Rettungsdienst. „Wegen der Einsehbarkeit der Situation und der notwendigen Treppennutzung durch die Rettungskräfte haben wir beschlossen, den Zug und den Bahnsteig mit den Gleisen sechs und sieben zu räumen“, sagt Samuel Rosenberger von der Bundespolizei. Von 21.11 bis 21.48 Uhr dauert die Sperrung. Zahlreiche Fahrgäste müssen den Bereich verlassen. Es kommt zu Einschränkungen im Bahnbetrieb.
Was Polizei, Rettungsdienst und Helfer in dieser Zeit erleben, ist erschütternd – und doch inzwischen trauriger Alltag. „Hierbei verhielten sich einzelne Reisende unkooperativ und äußerten ihren Unmut über die Maßnahme“, heißt es bei der Bundespolizei. Doch nicht nur das. Diverse Unbeteiligte zücken ihre Handys und filmen die Rettungsmaßnahmen. Dass da ein Mensch um sein Leben kämpft, ist ihnen gleichgültig. Die Polizei greift durch. „Wir mussten mehrere Platzverweise erteilen“, sagt Rosenberger. Die Leute, die Videos gemacht haben, werden aufgefordert, die Aufnahmen zu löschen. Dem seien sie unter Aufsicht der Polizei nachgekommen. Nur deshalb und weil sie die Retter nicht direkt behindert hatten, wird auf Anzeigen verzichtet.
Nun ist es nachvollziehbar, dass Menschen, die ihren Zug verlassen müssen oder nicht einsteigen können, nicht erfreut darüber sind. Doch Pöbeleien, Störung oder gar Behinderung der Einsatzkräfte, gerne in Kombination mit Gaffen und Handyaufnahmen, sind noch einmal etwas anderes.
Allerdings keine Seltenheit. Die Polizei kämpft bereits seit Langem mit Anfeindungen oder gar Angriffen bei Einsätzen. Zunehmend geraten jedoch auch Helfer von Feuerwehr oder Rettungsdienst ins Visier von Uneinsichtigen.
Anwohner parken Rettungswagen um
Das muss nicht immer so heftig passieren wie etwa das Beschießen von Einsatzkräften mit Raketen und Böllern an Silvester in Berlin. Es gibt Fälle, in denen der bei einem Einsatz abgestellte Rettungswagen von Anwohnern umgeparkt wird, damit sie aus ihrer Garage kommen. Oder in denen sich Umstehende aggressiv einmischen, weil sie glauben, besser zu wissen, welche Behandlung notwendig ist.
Immer wieder müssen die Retter die Polizei zu Hilfe holen, um ihre Arbeit machen zu können. Beim Deutschen Roten Kreuz und anderen Organisationen gibt es deshalb Schulungen in Deeskalation. Das Thema nimmt inzwischen auch bei der Ausbildung viel Raum ein. Bei Eigengefährdung sollen sich die Einsatzkräfte lieber zurückziehen – was für Patienten fatale Folgen haben kann.
„Respektlosigkeiten sind mittlerweile an der Tagesordnung, das nimmt zu“, sagt der Stuttgarter Feuerwehrsprecher Daniel Anand. Das gelte sowohl für die Feuerwehr als auch für den Rettungsdienst. Manchmal herrsche völliges Unverständnis für die Arbeit der Einsatzkräfte. „Zum Glück sind wenigstens körperliche Übergriffe in Stuttgart bisher sehr selten – anders als in einigen anderen Städten“, so Anand.
Keine Rechtfertigung für Filmen oder Stören
Eine genaue Statistik für Stuttgart hat die Polizei nicht. Zu vieles liegt im Graubereich. Zwar ermuntern alle beteiligten Organisationen ihre Leute, solche Fälle anzuzeigen, doch oft genug bleibt dafür im Alltag gar keine Zeit. Manche haben sich auch ein dickes Fell zugelegt. „Es kommt immer auch darauf an, wo der Einsatz stattfindet, wann und wer da vor Ort ist“, sagt Polizeisprecher Stephan Widmann. Natürlich seien immer Unbeteiligte von Maßnahmen betroffen und genervt, das rechtfertige aber nicht das Filmen oder Stören. „Das ist äußerst schwierig für die Leute, die am arbeiten sind. Es ist unfassbar, wie da manchmal die Rettungskräfte behindert werden.“
Der Patient vom Cannstatter Bahnhof konnte nach der Erstversorgung vor Ort in ein Krankenhaus gebracht werden. Immerhin. Aber das war erst möglich , nachdem die Bundespolizei am Bahnsteig für Ordnung gesorgt hatte.