Lesetipps für Kinder und Jugendliche
Gefangen in der Hölle des Digitalen
Die digitale Welt ist voller Verlockungen. Doch was, wenn sie zum Horrortrip wird? Zwei Thriller von Andreas Langer und Colin Hadler und ein Bilderbuch werben für echtes Miteinander.

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Zu viel online? Eine Gruppe junger Mädchen schaut aufs Handy.
Von Andrea Kachelrieß
Mobbing ausbremsen, das soziale Miteinander verbessern, Konzentration fördern: derzeit wird viel über die positiven Effekte eines Handyverbots an Schulen und einer Altersbeschränkung für soziale Medien gesprochen. Die Auswirkungen eines ungebremsten Konsums sind klar - von Hasskommentaren über Cyberstalking bis hin zur frühen Konfrontation mit problematischen Inhalten.
Auch in Kinder- und Jugendbüchern schlägt sich die Diskussion nieder. So hat der in Krumbach lebende Autor Andreas Langer für seinen Roman „They Are Everywhere“ (Ueberreuter, 352 Seiten, 18 Euro, ab 14) mit der 16-jährigen Hannah eine Heldin erfunden, die sich lieber in virtuellen Welten aufhält als in der realen. Im Cyberspace hat sie ihre Erscheinung perfektioniert, im Alltag leidet sie unter ihren vermeintlichen Makeln.
Auch wenn Langers Near-Future-Thriller im Sommer 2055 und in einer Zeit spielt, in der Autos selber fahren und Roboter die Arbeit machen, ist die Verbindung zu unserer Gegenwart manifest. Hannahs Eltern setzen ihre Tochter auf VR-Detox und verordnen ihr analoge Ferien auf einer Farm in Ohio. Doch kaum dort angekommen, laufen die Maschinen Amok und werden zu Killern. Hannah landet hart in der Realität. Die Flucht an der Seite des Ferienjobbers Jarrett gelingt ihr nur, weil sie psychisch wie physisch an Stärke gewinnt und lernt, ohne digitale Hilfestellung klarzukommen.
Andreas Langer hat auf diesem atemlosen Überlebenstrip fast zu viele Horrorfallen eingebaut, sogar die Idylle einer Amish-Farm entpuppt sich als solche. Trotzdem bleibt den Teenagern bis zum Happy End Zeit, sich in Gesprächen ihren Ängsten zu stellen und einander näherzukommen.
Auch der österreichische Jungautor Colin Hadler setzt auf die USA als Handlungsort für sein nunmehr fünftes Buch. „Seven Ways to tell a Lie“ (Planet!, 368 Seiten, 16 Euro, ab 13) spielt in der idyllischen Kleinstadt Wane im Highschool-Milieu und bietet damit die perfekte Bühne für aktuelle Themen wie Deepfakes, Social Media und Mobbing.
Nicht nur das finstere Rätsel um die Clique von Jonah, die nach dem Verschwinden einer Freundin plötzlich auseinanderbrach, macht das Buch zum Pageturner. So wie Wane selbst zwei Seiten hat, wo es einen alten Teil mit einer stillgelegten Mine gibt, so hütet auch jeder der sechs zurückgebliebenen Freunde ein dunkles Geheimnis.
Gefakte Videos, die viral gehen, zerren Verborgenes ans Licht und stellen Menschen wegen ungewöhnlicher Sexpraktiken, wegen Lügen und Unterlassungen an den Pranger. Jonah sucht mit seiner neuen Freundin Thea verzweifelt nach den Urhebern der Deepfakes. Und auch wenn Colin Hadler der Spannung zuliebe Banales stellenweise zu dramatisch einfärbt, reißt sein Plot mit durch die Nähe zu dem, was jungen Lesenden in sozialen Netzwerken selbst widerfahren könnte. Um Freundschaft, Vertrauen und Verrat geht es. „Durch das Internet ist unser Leben so schnell geworden, so oberflächlich, so vernetzt, so wirr“, regt Hadlers Held zum Nachdenken an. „Wir haben gar keine Zeit und Kraft mehr, Dinge anzuzweifeln. Wir hören und wir sehen – und dann glauben wir.“
Sich anderen zuzuwenden und das Handy mal steckenzulassen: daran appelliert auch das Bilderbuch „Ein Tiger im Zug“ (Jumbo-Verlag. 40 Seiten, 16 Euro, ab 3). Was man beim starren Blick aufs Display alles verpassen kann, erzählen Mariesa Dulak mit erstaunlicher Geduld und Rebecca Cobb mit kraftvollen, detailreichen Bildern.
Nicht nur der titelgebende Tiger betritt das Abteil des Zugs, in dem ein Junge mit seinem Vater ans Meer fährt: Krokodile mit Sandschaufeln, Nilpferde mit Picknickkoffern und eine Rotte turbulenter Schweine steigen zu. Doch der handyfixierte Vater bekommt gar nicht mit, wie tierisch gut sein Sohn sich amüsiert - bis der Tiger mit einer radikalen Erziehungsmaßnahme einschreitet und für ein Happy End am Strand sorgt. Mehr Tiger in die Züge, das wünscht man nicht nur diesem Daddel-Daddy.