Krieg in Nahost

Geiseln nicht mehr Trumpfkarte im Gaza-Krieg

Neue Kalkulationen der Kriegsgegner gefährden das Überleben der Verschleppten.

Angehörige der Hamas-Geiseln demonstrieren für deren Freilassung.

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Angehörige der Hamas-Geiseln demonstrieren für deren Freilassung.

Von Thomas Seibert

Die Überlebenschancen für die Geiseln der Hamas sinken. Die etwa 20 noch lebenden verschleppten Israelis seien bei den Bemühungen um ein Ende der Kämpfe im Gaza-Streifen „nicht mehr die Trumpfkarte“, schrieb der israelische Journalist Jack Khoury in der Zeitung „Haaretz“. Die Hoffnungen der Geiseln und ihrer Familien ruhen auf den Vermittlern Ägypten und Katar, die neue Gespräche über eine Waffenruhe ansetzen wollen.

Hamas-Terroristen hatten im Oktober 2023 bei ihrem Überfall auf Israel 251 Menschen in den Gaza-Streifen entführt. Mehr als 130 Geiseln kamen in den beiden bisherigen Feuerpausen frei. Die Hamas gab zudem die Leichen vieler toter Geiseln an Israel zurück. Noch werden laut „Haaretz“ 53 Geiseln in Verstecken der Hamas und der verbündeten Terrorgruppe Islamischer Dschihad vermutet, etwa 30 von ihnen sollen tot sein.

Keine Rücksicht auf Verschleppte

Keine Rücksicht auf Verschleppte

Bisher betrachtete die Hamas die Entführten als Druckmittel, um Israel zur Freilassung von Gefangenen und zu Feuerpausen zu zwingen. Anfang des Monats veröffentlichte die Terrorgruppe die Bilder von abgemagerten israelischen Geiseln, um den Druck auf den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zu erhöhen.

Doch jetzt plant Israel einen Großangriff auf Gaza-Stadt, wo sich nach israelischer Einschätzung die wichtigsten Hamas-Kommandeure verschanzt haben. Auch die Geiseln sollen dort in Gefangenschaft sitzen. Bisher war die israelische Armee mit Rücksicht auf die Geiseln nicht in diese Gegend vorgestoßen. Berater Netanjahus sehen nach israelischen Medienberichten das Risiko, dass die überlebenden Geiseln bei dem Angriff von der Hamas oder unabsichtlich von israelischen Soldaten getötet werden.

Für Netanjahu seien die Geiseln nie entscheidend gewesen, sagte der israelische Hamas-Experte und ehemalige Geisel-Unterhändler Gershon Baskin. Äußerungen aus Netanjahus Kabinett verstärken den Eindruck. Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich sagte im April, nicht die Rettung der Geiseln, sondern die Entmachtung der Hamas sei wichtigstes Kriegsziel.

Aus Sicht der Hamas bedeutet das, dass die Geiseln nicht mehr gegen Großangriffe Israels schützen. Die israelische Regierung zeige mit dem Plan für den Angriff auf Gaza-Stadt, dass sie sich auch von der Gefahr für die Geiseln nicht von ihren Vorhaben abbringen lasse, sagt Kristof Kleemann, Projektleiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Jerusalem. „Die klassische Erpressungslogik“ der Hamas verliere damit ihre Wirkung. „Für die Hamas sind die Geiseln kein strategisches Ass mehr“, sagte Kleemann unserer Zeitung.

Menschenleben als taktische Joker

Menschenleben als taktische Joker

Noch hat die Offensive auf Gaza-Stadt nicht begonnen. Der Vorschlag der arabischen Vermittler für die neue Feuerpause sieht vor, dass die Hamas innerhalb von 60 Tagen zehn lebende Geiseln freilässt und die Leichen von 18 weiteren an Israel zurückgibt. In den zwei Monaten der Waffenruhe sollen Gespräche über die Freilassung der restlichen Geiseln und über ein endgültiges Ende des Krieges geführt werden. Netanjahu hat unter dem Druck der Geisel-Familien und der Proteste in Israel gegen die Fortsetzung des Krieges angekündigt, über den ägyptisch-katarischen Vorschlag verhandeln zu wollen.

Israels Premier strebt die Vernichtung der Hamas an. Rechtsextreme Mitglieder seiner Regierung verlangen zudem eine Besetzung des ganzen Gaza-Streifens mit anschließender Annexion. Deshalb plant Netanjahu neben den Verhandlungen auch den Großangriff. Unterstützt wird er von US-Präsident Donald Trump, der jetzt fast beiläufig anmerkte, es gebe wohl nicht mehr 20 lebende Geiseln, sondern „ein paar“ weniger.

„Völlig wertlos sind die Geiseln für die Hamas nicht“, meint Kleemann. Mit gezielten Freilassungen oder angedeuteten Verhandlungen könne die Terrororganisation Zeit gewinnen. „Aus der Trumpfkarte ist ein taktischer Joker geworden - nicht entscheidend, aber immer noch nutzbar, wenn es der Hamas passt.“

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Erstellt:
25. August 2025, 17:24 Uhr

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