Gemeinsam gegen das Tabu psychischer Krisen

Das Kooperationsprojekt „Verrückt? Na und!“ kommt in die Schulklassen im Rems-Murr-Kreis.

Die Initiatoren der Regionalgruppe des Projekts von „Verrückt? Na und!“ (von links) Klaus Kaiser, Valeria Bieder, Daniel Barschtipan und Matthias Hefker. Foto: Zentrum für Psychiatrie Winnenden

© ZfP

Die Initiatoren der Regionalgruppe des Projekts von „Verrückt? Na und!“ (von links) Klaus Kaiser, Valeria Bieder, Daniel Barschtipan und Matthias Hefker. Foto: Zentrum für Psychiatrie Winnenden

Rems-Murr. Mit einer starken Kooperation bringen das Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Klinikum Schloss Winnenden, der Kreisjugendring und der Kreisdiakonieverband ab sofort ein bundesweit bewährtes Präventionsprogramm an die Schulen im Kreis: „Verrückt? Na und! Seelisch fit in der Schule“. Ziel ist es, Jugendliche frühzeitig für psychische Gesundheit zu sensibilisieren, seelische Krisen zu enttabuisieren – und Hilfe bekannt und zugänglich zu machen.

Seit Juli 2025 sind die drei Institutionen unter Kooperationsleitung des ZfP offizielle Regionalpartner des Vereins „Irrsinnig Menschlich“, der das Programm etabliert hat. In Workshops mit Schülerinnen und Schülern zwischen 13 und 16 Jahren vermitteln gemischte Teams aus Fachkräften sowie Genesungsbegleiterinnen und -begleitern niedrigschwellig und lebensnah, dass psychische Gesundheit kein Tabuthema sein darf. Es handelt sich dabei um Expertinnen und Experten aus Erfahrung, die seelische Krisen selbst durchlebt haben.

Neben der Antistigmaarbeit wird auch das Thema Mobbing bewusst aufgegriffen. Daniel Barschtipan, Projektleiter und Pflegedienstleiter im ZfP, beschreibt: „Das Thema Mobbing nimmt insgesamt zu – in einer Dimension und über Social Media, bei der sich Schülerinnen und Schüler nicht mehr abgrenzen können. Wir wollen bewusst machen, dass seelische Gesundheit durch Mobbing negativ beeinflusst werden kann. Wir erleben tagtäglich, wie junge Erwachsene mit psychischen Belastungen kämpfen – oft unbemerkt, oft sprachlos.“

Auch Matthias Hefker, Fachbereichsleitung Sozialpsychiatrische Hilfen beim Kreisdiakonieverband Rems-Murr, betont die zunehmende Bedeutung frühzeitiger Unterstützung: „Die Menschen, die zu uns kommen, werden immer jünger. Wir möchten früh schauen, dass die Beratungsangebote vor die Krise kommen und die Krise gar nicht erst entsteht. Gemeinsam mit den Schulen kann sensibilisiert werden: für den Umgang miteinander – und dafür, wie zur Entstigmatisierung beigetragen werden kann.“ Auch der Kreisjugendring sieht in dem Projekt einen lang ersehnten Baustein frühzeitiger Unterstützung. Sozialarbeiterin Valeria Bieder berichtet: „Das Thema psychische Gesundheit rückt bei den Jugendlichen, die ich betreue, immer mehr im Fokus. Es sind oft auch multiproblembelastete Menschen.“

In sechs Unterrichtseinheiten (ein Workshoptag) kommen die Themen aus der Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler selbst. Dies können sein: Leistungsdruck, Mobbing, Angst, Depression, Sucht oder Identitätsfragen. Statt Frontalunterricht gibt es Gruppenarbeiten, Dialogrunden und offene Gespräche – bewusst ohne Offenlegung, wer Fachkraft und wer Erfahrungsexpertin oder -experte ist. So entsteht echte Begegnung auf Augenhöhe. Die Workshops sind dabei mehr als reine Aufklärung: Sie wirken präventiv und stärken Jugendliche in Selbstwahrnehmung, Selbstwirksamkeit und gegenseitigem Verständnis.

Im ersten Jahr sind zunächst fünf Projekttage an Schulen im Raum Winnenden geplant – beginnend mit der Geschwister-Scholl-Realschule. Perspektivisch soll das Angebot auf den gesamten Rems-Murr-Kreis ausgeweitet werden. Die Kosten belaufen sich auf rund 90000 Euro. Ermöglicht wird der Projektstart durch eine einjährige Förderung von rund 72000 Euro aus Mitteln des regionalen Europäischen Sozialfonds Plus im Rahmen der Ausschreibung „Soziales Innovationsprojekt“. Die verbleibende Summe wird kofinanziert.

Klaus Kaiser, Pflegedirektor am ZfP, betont die gesellschaftliche Bedeutung: „Seelische Gesundheit betrifft uns alle. Jugendliche sollen wissen, dass es Krisen im Leben gibt. Wenn sie es schaffen, psychische Krisen nicht als Schwäche zu sehen, lernen sie einen anderen Umgang damit. Wenn wir somit früh ansetzen, können wir womöglich verhindern, dass aus einer Belastung eine Krankheit wird.“pm

Infos zum Programm gibt es unter www.irrsinnig-menschlich.de.

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Erstellt:
8. August 2025, 16:30 Uhr

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