Schlagabtausch um Corona-Beschränkungen im Bundestag

dpa Berlin. Um die rasante Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen, greifen gerade wieder starke Beschränkungen. Dass Bund und Länder so tiefe Eingriffe beschließen, sorgt für Zweifel und Proteste - auch im Parlament.

Es seien „die massivsten Grundrechtseinschränkungen seit Bestehen des Landes“, findet Wolfgang Kubicki. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Es seien „die massivsten Grundrechtseinschränkungen seit Bestehen des Landes“, findet Wolfgang Kubicki. Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Angesichts eines Höchststands der Neuinfektionen in der bisherigen Corona-Pandemie sind die Krisenmaßnahmen von Bund und Ländern im Bundestag scharf attackiert worden.

Redner der Opposition kritisierten mangelnde parlamentarische Mitsprache bei den Alltagsbeschränkungen im November. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte diese „bittere Medizin“, die Härten und Verzicht für Hunderttausende Bürger bedeute. Wie im Frühjahr gelte es aber wieder, die Infektionskurve abzuflachen und das Gesundheitssystem zu schützen. Die große Koalition brachte Gesetzespläne ein, die eine genauere Rechtsgrundlage für solche Beschränkungen schaffen sollen. Zudem sollen unter anderem neue Regeln zu Verdienstausfällen kommen.

Spahn sagte: „Die Lage ist ernst.“ Wenn Intensivstationen überfüllt seien, sei es zu spät. Erstmals wurden in Deutschland nun mehr als 20.000 Neuinfektionen innerhalb eines einzigen Tages registriert. Die Gesundheitsämter meldeten 21.506 Fälle, wie das Robert Koch-Institut (RKI) am Freitag bekannt gab. Am Freitag vor einer Woche waren es 18.681 gewesen. Spahn betonte, beim geplanten neuen Corona-Gesetz blieben Mitsprache- und Entscheidungsrechte von Bundestag und Bundesrat gewahrt. Das Parlament könnte die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ als Basis von Krisenmaßnahmen selbst aufheben.

FDP-Chef Christian Lindner unterstützte das Ziel einer Eindämmung der hohen Infektionszahlen, kritisierte aber pauschale Schließungen im laufenden Teil-Lockdown. Es drohe ein „Jojo-Effekt“ mit einer Abfolge drastischer Einschränkungen, nach denen man wieder zum ursprünglichen Zustand zurückkehre. Die Koalitionspläne für erweiterte gesetzliche Verankerungen seien ein „rechtspolitisches Feigenblatt“ und sollten nur bereits getroffene Entscheidungen nachträglich legitimieren. „Das geht hart an die Grenze der Missachtung des Parlaments“.

Konkret sollen nach den Plänen von Union und SPD bisherige allgemeine Formulierungen im Infektionsschutzgesetz präzisiert werden. Welche Schritte nötig sein könnten, soll einzeln aufgelistet werden - etwa Kontaktbeschränkungen und Abstandsgebote oder die Maskenpflicht im öffentlichen Raum. Genannt werden auch Untersagungen, Beschränkungen oder Schließungen von Geschäften und Veranstaltungen. Festgelegt werden soll, dass sich dies auf die Dauer beziehen soll, für die der Bundestag wie geschehen eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ festgestellt hat.

Linke-Fraktionsvize Susanne Ferschl forderte: „Die Krise ist nicht die Stunde der Exekutive, sie ist die Stunde der Parlamente.“ Die Runden von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den Ministerpräsidenten seien „absurdes Theater“ mit den Parlamenten als Zuschauern. Die Grünen-Abgeordnete Manuela Rottmann sagte, es komme auf schnelle Reaktion an, das Parlament müsse aber die Sache in die Hand nehmen. Nötig sei eine auch für Gerichte nachvollziehbare Verknüpfung von Infektionsgeschehen und Rechtsfolgen. Detlev Spangenberg (AfD) monierte, die Wirkung des Teil-Lockdowns stehe mit „verursachten Schäden bezüglich Rechtsstaatlichkeit, Gesundheitsversorgung und Wirtschaftsleben in keinem zu rechtfertigenden Verhältnis“.

SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas verteidigte das Vorgehen. Der jüngste Anstieg der Neuinfektionen zeige, „dass Handlungsbedarf dringend gegeben war“. Es sei richtig, dass mit geplanten generellen Gesetzesänderungen auch die Länder mehr Rechtssicherheit bekämen. Spahn betonte mit Blick auf geplante praktische Regelungen in dem Gesetz, es sei wichtig, weiterhin schnell reagieren zu können.

Vorgesehen sind unter anderem neue Regeln bei Verdienstausfällen. So sollen Entschädigungsansprüche für Eltern bis März 2021 verlängert und erweitert werden, die wegen einer Kinder-Betreuung nicht arbeiten können. Wer eine „vermeidbare Reise“ in ausländische Risikogebiete macht, soll dagegen für eine nach Rückkehr nötige Quarantäne keine Entschädigung für Verdienstausfall bekommen. Der Bund soll regeln können, dass auch Nichtversicherte Anspruch auf Schutzimpfungen und Tests haben. Bei Bedarf sollen auch Kapazitäten tiermedizinischer Labore für die Auswertung von Corona-Tests genutzt werden können.

Auch der Bundesrat debattierte parallel über den Corona-Kurs. Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) warb für eine rasche Konkretisierung des Infektionsschutzgesetzes. Die Pandemie werde noch andauern, und es sei nötig, das Vertrauen der Bevölkerung aufrecht zu erhalten. Aus Sicht von Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) hat sich die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern in der Pandemie bewährt. „Auch in der Corona-Krise ist der Föderalismus für dieses Land ein großes Glück.“ Wer glaube, in einem zentralistischen Staat sei die Bekämpfung des Virus einfacher, der irre.

© dpa-infocom, dpa:201106-99-231711/5

„Das geht hart an die Grenze der Missachtung des Parlaments“: FDP-Chef Christian Lindner. Foto: Kay Nietfeld/dpa

„Das geht hart an die Grenze der Missachtung des Parlaments“: FDP-Chef Christian Lindner. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Zum Artikel

Erstellt:
6. November 2020, 07:21 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen