Glasfaserausbau im digitalen Outback

Landvermesser favorisieren für die Strecke öffentliche Grundstücke. Im Schwäbischen Wald ist das auch einmal ein alter Schulweg, der zum Beispiel von Eschenstruet quer durch ein Stück Hochwald, eine Christbaumkultur und eine Pferdekoppel bis nach Liemannsklinge führt.

Eugen Kugler ist früher so zur Schule im Hager gelaufen. Farbige Pflöcke zeigen an, wo ein Markstein steht oder stehen sollte. Foto: Ute Gruber

Eugen Kugler ist früher so zur Schule im Hager gelaufen. Farbige Pflöcke zeigen an, wo ein Markstein steht oder stehen sollte. Foto: Ute Gruber

Von Ute Gruber

Sulzbach an der Murr. In den abgelegenen Bergdörfern im Schwäbischen Wald tut sich was: Unlängst war ein Trupp von Landvermessern dort unterwegs und hat an vielen Stellen signalrote und gelbe Stickel in den Boden geklopft. „Wir machen hier die Vortrassierung für die Glasfaserverlegung der Telekom“, erläutert Gerhard Kipf, der Chef des damit beauftragten Bau- und Vermessungsbüros in Oppenweiler. „Wir suchen per GPS die Marksteine, welche laut Karte an diesen Stellen sitzen müssten und die Grenzen der Flurstücke bezeichnen.“ Wird einer gefunden, kommt ein gelber Pflock in den Boden, findet sich auch mit Pickel und Spaten nichts, ist der Pflock rot.

Die roten Pflöcke sind – zumindest hier oben – eindeutig in der Überzahl: Der Verlust des Marksteins kann also später nicht dem Baggerführer in die Schuhe geschoben werden. Wo die Grenze auf der Straße verläuft, werden statt der Pflöcke farbige Kringel auf den Asphalt gemalt.

Da der Glasfaserausbau hier im digitalen Outback eine Sache der öffentlichen Hand ist, lautet der Auftrag, wenn irgend möglich, öffentliche Wege und Flächen zu nutzen. Nur im Notfall soll mit Privatleuten ein Gestattungsvertrag geschlossen werden. Und so verläuft die geplante Trasse von Ort zu Ort meistens entlang öffentlicher Straßen. Auf den ländlichen Höhen des Schwäbischen Walds aber ergibt die Suche nach Flurstücken der Gemeinde ominöse Ergebnisse: Da verläuft zum Beispiel das Flurstück 58 als schmaler Schlauch zwischen dem sogenannten Milchsträßle aus Richtung Eschenstruet kerzengerade quer durch ein Stück Hochwald, eine Christbaumkultur und eine Pferdekoppel. Und wenn es kurz vor dem Ortsanfang von Liemannsklinge nicht einen Knick nach links machen würde, würde es geradewegs durch Familie Kuglers Misthaufen führen.

Generationen von Kindern pilgerten auf diesem Weg in die Volksschule

Ein Gespräch mit den Einheimischen bringt rasch Klarheit: „Ha, so sind wir früher zur Schul’ im Hager gelaufen“, erklärt Eugen Kugler (66), „das war schon immer der offizielle Schulweg – die kürzeste Strecke.“ Damals seien das freilich alles Wiesen gewesen, „da waren keine Zäune“. Im Winter ging Eugen mit wasserfesten Skistiefeln durch Schnee und Matsch – als Erstklässler 1963 ganz allein, weil es in seinem Jahrgang sonst keinen gab im Ort.

Generationen von Schulkindern pilgerten so von Liemannsklinge über Eschenstruet nach Hager in die Volksschule. Bei Wind und Wetter, jeden Tag eine halbe Stunde hin und ebenso zurück, da ging es dann wenigstens bergab. Im Hornrichters Klingle wurde der Bach überquert. „Wenn ganz arg Sauwetter war, hat uns manchmal auch der Milchfahrer mitgenommen“, erinnert sich Ernst Schieber, der noch mal zehn Jahre älter ist und 100 Meter weiter im sogenannten Unteren Hof wohnt. Milchkutscher Hermann Glück aus Sulz-bach – genannt der Küfer-Glück, weil er ansonsten Mostfässer herstellte – klapperte mit seinem Lieferwagen morgens die Dörfer ab und lud die Kannen mit der frisch gemolkenen Milch auf, um sie in Sulzbach an der Sammelstelle abzuliefern. Und manchmal transportierte er eben auch Schulkinder.

Der Schullehrer Alfred Staita ist bei seiner Flucht vor der Kriegsgefangenschaft im Murrtal gelandet

Und dann saß da die versammelte Jugend aus den umliegenden Weilern im einzigen Klassenzimmer zusammen bei Schullehrer Alfred Staita aus Oberschlesien, der als Soldat 1945, nachdem der Krieg verloren war, auf dem Weg in die amerikanische Kriegsgefangenschaft unterwegs im Murrtal klammheimlich aus dem Zug gesprungen war. Im Weiler Bushof blieb er hängen, verdingte sich als Knecht, fand die Frau seines Lebens.

Er ließ sich zum Lehrer ausbilden und war später sogar Rektor der zentralen Schule in Sulzbach. Bis dahin unterrichtete er aber im Hager alle in einer Gruppe, von der ersten bis zur achten Klasse. Wer wollte, bekam zusätzlich Einzelstunden. „Wir Älteren mussten schon zwei Stunden früher da sein“, erzählt Ernst Schieber. So konnten sie schon anspruchsvollere Aufgaben erledigen, bis die Kleinen kamen. Waren diese helle, spitzten sie die Ohren, wenn die Großen etwas Neues erklärt bekamen. Und für weniger helle Leuchten unter den Älteren war es sicher auch kein Manko, zuzuhören, wenn den Kleineren ihr alter Stoff neu erklärt wurde.

1966 war diese Ära dann zu Ende, denn infolge der Schulreform wurden alle Volksschulen geschlossen und es gab nur noch Jahrgangsklassen im neuen Schulhaus in Sulzbach. Und statt des Milchkutschers sammelt seitdem der Schulbus die auswärtigen Schüler ein. Auch der Briefträger nutzte jene öffentlichen Fußwege, wenn er auf seiner stundenlangen Tour von Sulzbach aus unterwegs war.

Alte Verbindungswege werden zur Datenautobahn

Und auf genau diesen gemütlichen alten Verbindungswegen mit einer Standardbreite von vier württembergischen Fuß, was 1,15 Metern entspricht, soll nun die Datenautobahn für die Kommunikation der Zukunft verlegt werden – Glasfaserleitungen, in denen Informationen künftig mit Lichtgeschwindigkeit ausgetauscht werden. Eine sportliche Aufgabe für den Baggerführer.

Wo in abgelegenen Gebieten die Erschließung für Firmen unrentabel ist, darf nach EU-Recht die öffentliche Hand in die Bresche springen. Ländliche Gebiete sollen so davor bewahrt werden, vollends zu verwaisen. Ja, mehr noch: Durch den guten Internetanschluss sollen im Idealfall junge Menschen und digital arbeitende Firmen angelockt werden, digitale Nomaden in den Schwäbischen Wald sozusagen. „Wir sind gehalten, nicht nur alle bestehenden Wohnhäuser anzufahren“, berichtet Kipf, „sondern auch jede größere Scheune.“ Potenzieller Baugrund für künftige Landbewohner. Und so lernt der heimatverbundene Bau- und Vermessungsingenieur mit dem Faible für Historisches, der nach eigenen Worten „schon auf der ganzen Welt unterwegs“ war, jetzt im Alter unweit der Heimat Orte kennen, von denen er noch nie gehört hat: „Hördthofer Mühle – haben sie davon schon mal gehört?! Das liegt im hintersten Winkel vom Murrhardter Wald.“

Karl Kugler aus Liemannsklinge kann übrigens das Phänomen mit dem seltsamen Knick vor seiner Stallanlage klären: „Unser jetziger Stall wurde ja erst in den 70er-Jahren dahin gebaut, da wurde der Schulweg eigentlich schon nicht mehr gebraucht. Man hat ihn trotzdem erhalten und halt ein bisschen umverlegt.“ In weiser Voraussicht: 50 Jahre später besteht nun wieder Bedarf.

Gemeinden müssen zehn Prozent der Kosten selber tragen

Weiße Flecken Mit weniger als 30 Mbit pro Sekunde Internet-Leistung im Download schlecht an das Internet angeschlossen sind bisher vor allem abgelegene Dörfer und Höfe, da die weiten Leitungswege für Baufirmen unwirtschaftlich und damit uninteressant sind. Die Erschließung dieser Entwicklungsgebiete, der sogenannten Weißen Flecken, finanziert mit EU-Genehmigung daher die öffentliche Hand. Zur Überbrückung der sogenannten Wirtschaftlichkeitslücke gibt es Fördermittel vom Bund (50 Prozent) und Land (40 Prozent). Zehn Prozent müssen die Gemeinden selber stemmen.

Kooperation Vor sechs Jahren haben sich Murrhardt, Sulzbach, Großerlach und Althütte in einer Interkommunalen Zusammenarbeit (IKZ) zusammengeschlossen. Die Stadt Murrhardt als größte der vier Gemeinden fungiert als Koordinierungsstelle. Insgesamt sollen in den vier Gemeinden 3700 Haushalte, 570 Unternehmen und die Klassen von 14 Schulen an das Glasfasernetz angeschlossen werden, Tarife bis zu 1000 Mbit pro Sekunde können gebucht werden. Es wird mit 1011 Kilometern Glasfaserleitungen gerechnet.

Im Herbst fertig Mit der Fertigstellung wurde die Telekom Deutschland beauftragt, die Wirtschaftlichkeitslücke beträgt laut Telekom 24,5 Millionen Euro. 22,1 Millionen sind durch Fördergelder abgedeckt, 2,4 Millionen müssen die vier Kommunen anteilig bestreiten. Die Anschlüsse sollen bis Herbst 2023 gelegt sein.

Backbones In den Haupttrassen, den sogenannten Backbones, überwinden die Glasfasern gebündelt weite Strecken, um dann in Nähe der Zielgebäude über Verteilerkästen in die einzelnen Hausanschlüsse aufgedröselt zu werden. Pro Verteilerkasten kann die Telekom 22 Adressen ansteuern.

Lichtimpulse Der Datentransfer geschieht durch Laserlichtimpulse in einer feinen Glasfaser, welche zur Stabilisierung und Identifizierung jeweils mit verschiedenfarbigem Plastik ummantelt ist, benötigt als passive Technik keinen Strom und produziert auch keine Abwärme. Im Gegensatz zur aufwendigen Erstanlage ist der Betrieb später wartungsarm. Erst am Router werden die Lichtimpulse wieder in elektrische umgewandelt. Da jeder Anschluss seine eigene Leitung hat, kann es nicht zum Leistungsabfall durch gleichzeitige Nutzung vieler kommen.

Genaue Dokumentation Die Glasfaserbündel werden mit Luftdruck in die Leerrohre geschossen, die Reparatur einer solchen Glasleitung, sollte sie beschädigt werden, ist viel schwieriger und teurer als bei den bisherigen Kupfertelefonleitungen: Es muss die komplette Leitung ausgetauscht werden. Wo die Leitung letztlich verlegt wird, hängt von vielen Gegebenheiten ab und wird genau dokumentiert. Da später weder Glas noch Plastik geortet werden können, werden an neuralgischen Punkten Kugeln mit einer Metallfüllung mit eingegraben.

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Erstellt:
12. April 2023, 11:00 Uhr

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