Gott muss ein Seemann sein

Shantys, Folklore und Schlagerpop: Santiano vereinen in Ludwigsburg Fans aus unterschiedlichen Lagern

Konzert - Shantys, Folklore und Schlagerpop: Santiano vereinen in Ludwigsburg Fans aus unterschiedlichen Lagern.

Stuttgart Das Shanty ist ein ergiebiges, dankbares Genre. Erzählerisch gesehen funktioniert es im Idealfall als Blues des Seemanns, stilistisch ist es äußerst offen und nach vielen Seiten belastbar. Wohin das führen kann, zeigt seit 2012 die Flensburger BandSantiano. Bei der weltgrößten Hardrock-Sause in Wacken spielt das Septett um seinen kahlschädeligen Kapitän Björn Both inzwischen genauso wie im ZDF-„Fernsehgarten“ – wobei sich diese beiden Events stimmungsmäßig ohnehin mehr und mehr annähern und gefühlt nur noch durch die Art und Menge der ausgeschenkten Getränke unterscheiden.

Mit grobschlächtigem Rock bringen Santiano das Shanty also ebenso in Berührung wie mit Elementen des Schlagers und ziehen mit dieser Mischung auch fern der Heimat ein breit gefächertes Publikum an – gut dreitausend Besucher zwischen acht und achtzig Jahren sind am Montagabend in die Ludwigsburger MHP-Arena gekommen, um sich in maritime Gefilde entführen zu lassen. Und der gut zweistündige Auftritt hält, was sein Motto – „Im Auge des Sturmes“ – ­verspricht.

Dem Deck eines U-Boots ist das Bühnenbild nachempfunden, mit dicken Rohrleitungen und einer Reling, die auf einen nachgebildeten Ausguck hinaufführt. Ein Sehrohr wird dort irgendwann ausgefahren; eine darin installierte Kamera fängt dann Impressionen aus der wie schon im März beim Gastspiel in Stuttgart nahezu aus­verkauften Halle ein. Diverse Feuerschalen und mehrere Flammenwerfer erzielen ­Pyrotechnikeffekte auf bewährtem Branchenniveau, die Band selbst begnügt sich ­indes mit eher schmucklosen schwarzen Einheitsklamotten.

Klaus Doldingers Titelmusik aus „Das Boot“ eröffnet dann ein Konzert, das nicht mit inszenierter Dramatik geizt. „Könnt ihr mich hören? Folgt meinem Ruf durch kalte Fluten!“, lockt Björn Both das Publikum, feiert den Freibeuter „Liekedeeler“ als Robin Hood der Nordmeere, schwört die Santiano-Fans – „Wir für euch und ihr für uns!“ – auf maritimen Mannschaftsgeist ein und besingt in „Gott muss ein Seemann sein“ rau-romantisch die Seefahrerklischees längst vergangener Zeiten.

Immer wieder ist es zunächst der routinierte Alleskönner Pete Sage, der mit ­Fiddle und Akkordeon für tänzerische Momente sorgt und Evergreens wie „The Irish Rover“ oder „Land of Green“ durchaus authentisch nach Irland und angelsächsischer Folklore klingen lässt. Doch schnell wandelt sich das Seemannslied bei Santiano zu lupenreiner Stimmungsmusik. Bis zu drei E-Gitarren lotsen die Musik mit sägenden Riffs in ein ­rockiges Fahrwasser in Schlagdistanz zu Kollegen wie Unheilig; ausgiebige „Hey ho“-Chöre, deren manchmal dünne Melodien auch dann nicht nach mehr klingen, wenn sie von fünf, sechs kräftigen Kehlen geschmettert werden, laden zum Schunkeln und Feiern, ein fluffiger Reggae-Beat klingt an.

Mit der Gastsängerin Sarah Jane Scott und dem Balladenduett „Im Auge des Sturms“ läuft der Abend endgültig in seichtere Gewässer ein, und im Zugabenblock weht mit Gassenhauern wie „Auf nach Californio“ oder „Wasser“ schließlich endgültig ein kräftiger Hauch von „Carmen Nebel Show“ durch die MHP-Arena.

Hart am Wind segeln Santiano also zwischen grobschlächtigem Rock, klischeebeladener Seemannsromantik und lupenreinem Kitsch, inszenieren als routinierte Stimmungskapelle eine Erlebniswelt, auf die sich Hörer aus verschiedenen musikalischen Lagern problemlos verständigen können – auch das muss man erst einmal hinbekommen.https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.popkonzert-in-stuttgart-santiano-geht-in-der-porsche-arena-auf-grosse-fahrt.617f2164-aed5-4cc1-b232-012e11176e24.html

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Erstellt:
12. Dezember 2018, 03:14 Uhr

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