Greift die Stadt beim Leerstand durch?
Man gehe allen Hinweisen zu illegalen Leerständen nach, sagt die Stadt. Der Mieterverein kontert: Es passiere zu wenig. Wann ist Leerstand Leerstand, und welche Handhabe gibt es?

© dpa
Plakate, die auf den Leerstand hinweisen, hängen an einem Stuttgarter Haus, das schon einige Zeit leer steht
Von Andrea Jenewein
Stuttgart - Die Wohnungsnot in Stuttgart ist seit Jahren groß: Das Statistische Amt Stuttgart kam zu dem Ergebnis, dass der Bedarf bis 2030 zwischen 13 400 und 22 400 Wohnungen betrage. Dies entspricht einem jährlichen Neubaubedarf von durchschnittlich 1340 bis 2240 Wohnungen.
Das Problem könnte aber auch noch anders zu lösen sein als allein durch Neubau: Eine Analyse zum Wohnungsleerstand (Statisches Monatsheft 12/24), die die Stadt im Juni veröffentlicht hat, zeigt laut Rolf Gaßmann, dem Vorsitzenden des Stuttgarter Mietervereins, das mögliche Potenzial für den Stuttgarter Wohnungsmarkt, sofern die längere Zeit leer stehenden Wohnungen wieder vermietet würden.
Wie viele Wohnungen stehen in Stuttgart leer?
Laut den offiziellen Ergebnissen der Gebäude- und Wohnungszählung standen zum Stichtag 15. Mai 2022 in Stuttgart 11 152 Wohnungen leer, 6100 Wohnungen davon seit mehr als einem halben Jahr. Rolf Gaßmann macht dazu eine Rechnung auf: 6100 Wohnungen entsprächen in Stuttgart der Neubauleistung von sechs Jahren. Insgesamt wurde 2002 ein Wohnungsbestand von 314 429 Wohnungen ermittelt. Die Leerstandsquote in der Landeshauptstadt betrug 3,5 Prozent; im vorherigen Zensus 2011 lag sie bei 3,7 Prozent. Neuere Zahlen liegen nicht vor.
Welche Wohnungen stehen leer?
In Stuttgart stehen laut Aussage der Stadt häufiger Wohnungen in älteren Gebäuden leer, da diese einen höheren Sanierungsbedarf aufweisen. Zudem sind kleine Wohnungen öfter unbewohnt als größere, da es dort eine höhere Fluktuation gibt. Außerdem sind leer stehende Wohnungen, wie der Gesamtwohnungsbestand auch, überwiegend in der Hand von Privatpersonen und Wohneigentümergemeinschaften.
Welche Handhabe hat die Stadt gegen Leerstand?
Das dafür zuständige Baurechtsamt nutzt die Möglichkeiten des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes beziehungsweise der Stuttgarter Zweckentfremdungsverbotssatzung, das seit dem 1. Januar 2016 gilt. Wenn es sich um geschützten Wohnraum handelt, also Wohnraum, der dem Zweckentfremdungsverbot unterliegt, und der Leerstand länger als sechs Monate andauert, kann etwa durch Bußgelder oder Anordnungen darauf hingewirkt werden, dass der Wohnraum wieder den Wohnungsmarkt zugeführt oder eigengenutzt wird. Das Baurechtsamt geht laut Stadt dafür allen Hinweisen auf illegale Leerstände nach.
Was hat das Zweckentfremdungsverbot geändert?
In der neuen Stuttgarter Zweckentfremdungsverbotssatzung (ZwEVS) wurde geregelt, dass die Gemeinde anordnen kann, dass eine nicht genehmigungsfähige Zweckentfremdung beendet und der Wohnraum wieder einem Wohnnutzen zugeführt werden muss. Zudem wurde der Zeitraum, in dem Wohnraum für eine Fremdenbeherbergung genutzt werden darf, auf zehn Wochen pro Jahr begrenzt. Auch eine Registrierungspflicht, die regelt, dass vor dem Anbieten und Bewerben von Wohnraum an wechselnde Nutzer insbesondere auf Internetportalen, eine Registrierungsnummer bei der Gemeinde beantragt werden muss, wurde eingeführt. Die Ordnungswidrigkeiten wurden angepasst und der Bußgeldrahmen auf bis zu 100 000 Euro verdoppelt.
Wann gilt eine Immobilie als leer stehend?
Vom Geltungsbereich des Zweckentfremdungsverbots befreit sind etwa Wohnungen, die dem Wohnungsmarkt nicht generell zur Verfügung stehen (Betriebswohnungen), Wohnungen, bei denen baurechtlich eine Wohnnutzung nicht zulässig ist oder auch solche, bei denen ein dauerhaftes Bewohnen unzumutbar ist. Ob ein illegaler Leerstand tatsächlich gegeben ist, bedarf laut der Stadt also nicht nur der schlichten Feststellung, dass Räume leer sind, die auch bewohnt werden könnten. Jeder Einzelfall muss zusätzlich aufwendig geprüft werden.
Wie viele Verfahren gab es bisher?
Insgesamt wurden mehr als 2500 Verfahren bei der Zweckentfremdung eingeleitet. Hierbei handelt es sich um Genehmigungs- und Eingriffsverfahren. Denn auch Zweckentfremdungen durch Abriss oder Umnutzung müssen genehmigt werden. Beim Genehmigungsverfahren stellen also Hauseigentümer dazu einen Antrag. Wenn der Stadt aber Leerstand oder nicht genehmigte Nutzung gemeldet wird, muss sie dem nachgehen – das ist dann ein Eingriffsverfahren. Die Zahl der eingeleiteten Eingriffsverfahren liegt laut Stadt bei über 950, wobei hier nicht zwischen Leerstand und illegalen Ferienwohnungen unterschieden wird. Bisher konnte eine Nachvermietung von gut 450 Wohneinheiten und zwei kompletten Wohngebäuden erreicht werden. Gaßmann: „2500 Verfahren in neun Jahren seit Einführung sind nicht viel, das ist etwa eine pro Tag.“
Wie viele Mitarbeiter bearbeiten die Leerstände?
Aktuell gibt es für die Bearbeitung des Zweckentfremdungsverbots in Stuttgart fünf Planstellen, die zurzeit alle besetzt sind. Von den fünf Stellen ist eine Stelle eine Teamleitungsstelle, die sich mit einem Umfang von 50 Prozent der Sachbearbeitung widmen kann. Für die Sachbearbeitung stehen somit 4,5 Stellen zur Verfügung. Der Mieterverein indes fordert: „Weil das Beenden von Leerstand für das beauftragte Amt sehr arbeitsintensiv ist, benötigt es dringend eine bessere Personalausstattung.“
Wie kann man Leerstand melden?
Auf der Homepage der Stadt Stuttgart kann man sich grundlegend über das Zweckentfremdungsverbot in Stuttgart informieren (https://www.stuttgart.de/leben/bauen/baurecht/zweckentfremdung). Gaßmann plädiert dafür, dass Oberbürgermeister Frank Nopper und Baubürgermeister Peter Pätzold den Bürgern den Nutzen des Zweckentfremdungsverbots für die städtische Wohnungspolitik erläutern – und vor allem um deren Unterstützung werben: „Wir erwarten, dass die Stadt regelmäßig in ihren Publikationen und Pressemitteilungen auf das existierende Online-Meldeverfahren für Leerstand hinweist und die Bürger um Mithilfe zur Wiedervermietung von leer stehendem und dringend benötigtem Wohnraum bittet!“ Bisher, sagt Gaßmann, werde der Leerstandsmelder von der Stadt leider nicht einmal im Amtsblatt beworben.