Größere Sorgen als steigende Löhne durch den neuen Mindestlohn

Ab Oktober gilt in Deutschland ein neuer Mindestlohn von 12 Euro die Stunde. Das betrifft auch viele tarifgebundenen Branchen. Doch angesichts Personalknappheit, Lieferschwierigkeiten und Inflation scheinen die nun steigenden Personalkosten eher Hintergrundmusik zu sein.

Wer putzt, streicht mehr Geld ein: Ab Oktober gilt ein höherer Mindestlohn. Auch die Minijobgrenze beträgt dann 520 statt 450 Euro. Archivfoto: Ch.-L. Hütter

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Wer putzt, streicht mehr Geld ein: Ab Oktober gilt ein höherer Mindestlohn. Auch die Minijobgrenze beträgt dann 520 statt 450 Euro. Archivfoto: Ch.-L. Hütter

Von Anja La Roche

Rems-Murr. „Ein armutsfester Mindestlohn ist eine Frage der Leistungsgerechtigkeit und des Respekts vor ehrlicher Arbeit“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im Juni zu dem Beschluss, den Mindestlohn von zuletzt 10,45 auf 12 Euro die Stunde anzuheben. Er gilt ab dem 1. Oktober und auch die Minijobgrenze beträgt dann 520 statt 450 Euro. Diese gesetzliche Erhöhung soll Geringverdienern zu mehr Lohn verhelfen. Damit weicht die Bundesregierung einmalig vom vereinbarten Vorgehen ab. Kommendes Jahr soll wie üblich wieder die Mindestlohnkommission derartige Anpassungen erörtern und veranlassen. Dieser Eingriff der Bundesregierung in den Arbeitsmarkt ist vor allem bei Arbeitgebern und Tarifpartnern unbeliebt.

Es gibt auch kritische Stimmen zur Erhöhung des Mindestlohn

Auch im Rems-Murr-Kreis bewerten Akteure die Erhöhung des Mindestlohns als kritisch. Doch angesichts der Inflation fällt der Lohnzuwachs geringer aus und zudem scheinen die Sorgen in Anbetracht des Fachkräftemangels sowie der hohen Energie- und Gaspreise derzeit an anderer Stelle zu liegen.

Zu den betroffenen Branchen zählen beispielsweise die der Hotels und Gaststätten. Dort arbeiten viele Geringverdiener und Aushilfskräfte auf Minijobbasis. Michael Matzke, erster Vorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), Kreisstelle Rems-Murr, hat von den Hotelbesitzern und Gastronomen durchaus Beschwerden über die Mindestlohnerhöhung zu Ohren bekommen. Doch „gemeckert ist schnell“, merkt er an. Insgesamt sei die Stimmung bezüglich der Erhöhung nicht allzu betrübt. „Sie sehen eben auch, dass sie sich an andere Wirtschaftszweige anpassen müssen“, so Matzke. Die viel wichtigere Frage in der Branche sei derzeit, wie mehr Mitarbeiter gefunden werden können. Ob die Erhöhung des Mindestlohns dabei helfen kann? Matzke verweist darauf, dass das Gehalt nicht die einzige Stellschraube in Sachen Personalmangel ist. Und um bei den aktuellen Engpässen gutes Personal zu bekommen, würden sowieso schon viele Arbeitgeber in den Hotels und Gaststätten mehr als 12 Euro die Stunde bezahlen.

Michael Matzke hat größere Sorgen als die Erhöhung des Mindestlohns

Außerdem seien steigende Personalkosten zu dieser Zeit das kleinere Übel. Andere Kosten wie die Energie- und Gaspreise würden ihm viel größere Sorgen bereiten, so der Kreisvorsitzende der Dehoga. Kritisch sieht er die Erhöhung des Mindestlohns dennoch. „Welcher Verband freut sich schon, wenn es durch den Gesetzgeber zu Lohnerhöhungen kommt“, so Matzke. Das sei eben Sache der Tarifpartner. „Man freut sich nicht, aber man sieht auch die Notwendigkeit“, so Matzke.

Vom gesetzlichen Mindestlohn nicht tangiert sind Glas- und Fassadenreiniger. Ihr tariflicher Mindestlohn steigt im Oktober von 14,81 auf 16,20 Euro pro Stunde. Foto: BM Gebäudereinigung

Vom gesetzlichen Mindestlohn nicht tangiert sind Glas- und Fassadenreiniger. Ihr tariflicher Mindestlohn steigt im Oktober von 14,81 auf 16,20 Euro pro Stunde. Foto: BM Gebäudereinigung

Inflationsbedingt sind die realen Löhne des Mindestlohns allerdings sowieso reduziert. Der große Sprung von 10,45 auf 12 Euro pro Stunde ab Oktober ist daher kleiner, als er zunächst scheint. Einen noch höheren Mindestlohn lehnt Matzke allerdings ab. Anders sieht es der Geschäftsführer des Hotels Gerberhof in Backnang, Hendrik Wahl: „Wegen mir kann der Lohn auf 13 oder 14 Euro hochgehen.“ Der Gerberhof beschäftigt neben drei Teilzeitkräften auch mehrere Minijobber als Hotelgehilfen in den Bereichen Housekeeping und Frühstücksservice, alle Angestellten sind Frauen. Auf den gestiegenen Personalkosten würde Wahl mit seiner Geschäftshotellerie nicht sitzen bleiben, denn die Zimmerpreise könne er problemlos erhöhen. „Schämen soll sich dieser Staat“, so der Geschäftsführer. Viel früher schon hätte dieser seiner Meinung nach den Geringverdienern mit einer Erhöhung entgegenkommen müssen – und auch längst die Minijobgrenze erhöhen sollen.

Auch die Minijobgrenze beträgt dann 520 statt 450 Euro

Eine höhere Minijobschwelle, wie sie sich zunächst einmal viele Menschen wünschen, kann allerdings nicht nur Vorteile in der Armutsbekämpfung mit sich bringen. So könnte ein höheres pro Monat erlaubtes Einkommen bei steuerlichen Vorteilen – eben gemäß der Minijobregelung – dazu führen, dass sozialversicherungspflichtige Beschäftigung verdrängt wird, so verlautet das Institut für Arbeitsmarkt- und Betriebsforschung (IAB). Bei dem Institut handelt es sich um eine Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit. Bei kleineren Betrieben, vor allem im Gastgewerbe und Einzelhandel, konnte dieser Effekt bereits bestätigt werden.

Das IAB kommt daher zu dem Schluss, dass eine umfassendere Reform hilfreicher in Sachen Armutsbekämpfung wäre. „Die steuerliche Privilegierung von Einkünften aus Minijobs ist nicht sinnvoll.“ Künftige Reformen sollten darauf zielen, dass sich die geringfügige Beschäftigung auf diejenigen konzentriert, denen eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ohnehin vergleichsweise geringe Vorteile bringen würde, wie Schüler, Studierende und Rentner. Um einer Zunahme an Minijobs entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung allerdings einen weiteren Schritt beschlossen. So ist ab Oktober auch eine Senkung der Sozialversicherungsbeiträge von Midijobbern vorgesehen und die Midijobobergrenze soll von derzeit 1300 auf 1600 Euro angehoben werden. Das soll auch Arbeitnehmer mit geringem Einkommen, die aber sozialversicherungspflichtig angestellt sind, entlasten.

Beim Geflügelzuchtbetrieb ist die Bilanz nicht wegen der Personalkosten schlecht

Auch in der Landwirtschaft sind viele Geringverdiener angestellt. Der Geflügelhof Müller in Aspach beispielsweise beschäftigt neben der Familie eine Vollzeitkraft und zwei Minijobber im landwirtschaftlichen Betrieb, weitere Personen sind im Gewerbebetrieb zwecks Eierhandel angestellt. Mehr als 12 Euro pro Stunde zahlt der Geflügelzuchtbetrieb laut Angelika Müller-Schwarz allerdings schon länger. „Der Mindestlohn belastet uns nicht zusätzlich“, sagt sie. Viel schwieriger sei die finanzielle Situation gerade aufgrund der steigenden Preise und der schlechten Ernte.

Die Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns hat logischerweise auch Auswirkungen auf Branchen, die bislang einen tarifgebundenen Mindestlohn haben, der unter den 12 Euro liegt. Dazu zählen beispielsweise Angestellte der Abfallwirtschaft oder ungelernte Maler und Lackierer. Auch das Backnanger Unternehmen BM Gebäudereinigung (50 Angestellte) muss künftig höhere Personalkosten einkalkulieren. Der branchenübliche Mindestlohn bei der Gebäudereinigung lag bislang bei 11,55 Euro pro Stunde. Die Tarifpartner sind schon frühzeitig in Verhandlung gegangen und haben sich auf 13 Euro ab Oktober und 13,50 Euro ab Januar geeinigt.

Vermutlich können vor allem Frauen vom neuen Mindestlohn profitieren

„Wir kalkulieren die Kosten gerade noch durch“, erklärt Juniorchef Tihomir Beganovic. Er weiß aber sicher, dass die steigenden Personalkosten seinen Betrieb nicht in Bedrängnis bringen werden. Das liege auch daran, dass er seine Mitarbeiter bislang schon über dem Mindestlohn entlohnt habe. Um in der wirtschaftlich angespannten Zeit künftig zu sparen, versuche er zunächst, die Spritkosten des Fuhrparks zu senken, sagt Beganovic. Stellenabbau komme für ihn nicht infrage, insbesondere weil viele Angestellte schon jahrelang im Betrieb seien.

Ein hohes Beschäftigungsrisiko aufgrund von Stellenabbau sieht auch das Forschungsinstitut IAB bei der aktuellen Mindestlohnerhöhung nicht. „Mögliche Beschäftigungsrisiken durch die Mindestlohnerhöhung dürften sich zudem durch die aktuell hohe Inflation reduzieren, weil sich durch höhere Preissteigerungen die reale Höhe des Mindestlohns reduziert“, so lautet es in der Stellungnahme.

Schlussendlich können viele Arbeitnehmer ab Oktober ein höheres Einkommen erwarten. Wie auch bei der Geschäftshotellerie Gerberhof dürften davon verhältnismäßig viele Frauen profitieren, die zum Beispiel im Gastgewerbe arbeiten. Somit kann der gesetzliche Mindestlohn auch ein Beitrag dazu sein, Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen zu mildern.

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Erstellt:
19. August 2022, 06:00 Uhr

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