„GroKo muss Machtkampf beenden“

Backnanger SPD-Abgeordneter Christian Lange zieht Bilanz und übt heftige Kritik an den Berliner Koalitionspartnern

Es ist Tradition: Einmal im Jahr zieht der Backnanger SPD-Bundestagsabgeordnete Christian Lange Bilanz seiner Arbeit. Die Förderungen des Bundes vor Ort können sich sehen lassen: Millionen für die Schulsanierung, für städtebauliche Maßnahmen, für Projekte des Programms „Demokratie leben“ oder für Sprach-Kitas. Noch lieber aber spricht Lange von seiner Arbeit in Berlin.

„Eigentlich hat die SPD nun die Chance, sich zu profilieren, während sich die anderen zerfleischen.“Christian Lange, SPD-Abgeordneter und Staatssekretär

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„Eigentlich hat die SPD nun die Chance, sich zu profilieren, während sich die anderen zerfleischen.“ Christian Lange, SPD-Abgeordneter und Staatssekretär

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Der Abgeordnete lädt die Presse in sein Backnanger Bürgerbüro am Burgplatz ein, um Jahresbilanz zu ziehen. Und welches Thema stellt er an die Spitze seines Vortrags? Nun, Überraschung! Gestern erklärte der parlamentarische Staatssekretär zuerst, er werde Lars Castellucci aus dem Wahlkreis Rhein-Neckar bei der Wahl zum Vorsitzenden der Landes-SPD unterstützen. Lange spricht sich damit offen gegen Amtsinhaberin Leni Breymaier aus und schiebt nach: „Die Unzufriedenheit in Baden-Württemberg ist sehr groß.“ Er erklärt: „Es macht mir Sorge, dass die Linke derzeit so gut abschneidet und auf sieben Prozent kommt.“

Im gleichen Atemzug fordert er von seiner Partei in Berlin, nicht mehr nach hinten zu blicken, sondern die permanente Vergangenheitsbewältigung endlich zu beenden. Die Große Koalition habe große Themen vor sich. Doch zuerst müsse die CDU ihren Machtkampf beenden. Und dann die CSU. Und dann die CDU und CSU ihren internen Machtkampf. Und dann sollten die Genossen endlich all jene Aufgaben erledigen, die im Koalitionsvertrag formuliert sind, und nicht über einen Ausstieg aus der Regierung diskutieren. „Wir haben schließlich eine Mitgliederbefragung gehabt und den Regierungsauftrag erhalten. Eigentlich hat die SPD nun die Chance, sich zu profilieren, während sich die anderen zerfleischen.“

Die bisherigen Erfolge der Koalition würden derzeit viel zu wenig Beachtung finden, glaubt Lange. Er listet neben der Musterfeststellungsklage die Mietpreisbremse auf, mit der verhindert werden soll, dass Mieter „mutwillig aus ihren Wohnungen herausmodernisiert werden“. Dies sei in etlichen Städten derzeit „leider in Mode gekommen“. Relativ zuversichtlich zeigt sich Lange beim Zuwanderungsgesetz. Der Innenminister müsse das neue Gesetz bis Weihnachten auf den Weg bringen. Dass der Innenminister dann noch Horst Seehofer heißt, daran glaubt Lange nicht.

So weit, so gut zu Berlin. Aber wie sieht die lokale Bilanz aus? Lange blickt zurück. Viele Jahre sei es die traditionelle Forderung gewesen, sich für den Weiterbau der B14 einzusetzen. Nun ist es seit zwei Jahren fast so, als wäre dem Wahlkreisabgeordneten die lokale Daseinsberechtigung entzogen worden. Denn das Thema Verkehrsinfrastruktur, das ansonsten die Politik eines jeden Abgeordneten im Wahlkreis Backnang/Schwäbisch Gmünd geprägt hat, ist geradezu weggebrochen. Die politischen Voraussetzungen für den Weiterbau der vierspurigen B14 um Backnang herum sind erbracht – und trotzdem geht es nicht voran. Jetzt hakt es an den fehlenden Planungskapazitäten und an geeigneten Baufirmen. Lange: „Das ist eine neue Situation, es liegt nicht am fehlenden Geld.“

Bliebe noch das zweite Straßenbauthema: der Nordostring um Stuttgart über das Schmidener Feld. „Ich gehe davon aus, dass diese Pläne tot sind“, so der Abgeordnete, „jetzt soll erst einmal beendet werden, was sich bereits im Bau befindet.“

So fördert der Bund derzeit andere Projekte. Lange erwähnt als Erstes die Schulbausanierung. Allein im Rems-Murr-Kreis stellt der Bund fast 11,5 Millionen Euro bereit, damit die Städte und Gemeinden ihre Schulen und öffentlichen Gebäude auf Vordermann bringen können. Konkret listet Lange die Mörikeschule in Backnang auf, sie wird mit 1,23 Millionen Euro von der anteiligen Bundesförderung profitieren.

Ferner hat das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg den Städten und Gemeinden im Land insgesamt rund 245 Millionen Euro für 370 städtebauliche Erneuerungsmaßnahmen im Jahr 2018 bewilligt. Lange legt Wert drauf, dass fast die Hälfte dieser Summe, nämlich über 100 Millionen Euro, Mittel des Bundes sind. Gemeinsam mit den Ländern unterstützt der Bund Städte und Gemeinden dabei, sich an die demografischen, ökonomischen und ökologischen Veränderungen städtebaulich anzupassen und eine Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land zu schaffen und zu sichern. „Genau diese Investitionen sind unbedingt und dringend notwendig, um den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft langfristig zu stärken“, so Lange. Acht Städte und Kommunen aus dem Wahlkreis profitieren von fast 5 Millionen Euro aus der Erneuerungsmaßnahme.

Ebenso wird im Rems-Murr-Kreis die Schaffung von Wohnraum durch städtebauliche Neuordnung einzelner Quartiersbereiche gefördert. Hier profitiert in Aspach das Erneuerungsgebiet „Am Klöpferbach“ mit 600000 Euro und Backnang mit 1,4 Millionen Euro. In Oppenweiler wird der Ersatzneubau Kindergarten Burgblick mit 594000 Euro unterstützt sowie in Weissach im Tal der Neubau eines Kindergartens mit 542000 Euro. Lange freut sich des Weiteren, dass sowohl der Landkreis als auch der Zusammenschluss der Gemeinden Weissach im Tal, Allmersbach im Tal, Auenwald und Althütte mit jeweils 100000 Euro sich als lokale Partner für Demokratie erfolgreich für das Programm beworben haben und jetzt mit dieser Fördersumme beim Aufbau lokaler Demokratie-Bündnisse vom Bund unterstützt werden. Lange: „Zahlreiche Initiativen, Vereine und engagierte Bürger in ganz Deutschland setzen sich tagtäglich für ein vielfältiges, gewaltfreies und demokratisches Miteinander ein. Bei dieser wichtigen Arbeit erhalten sie Unterstützung durch das Bundesprogramm „Demokratie leben“.

Mit dem Bundesprogramm Sprach-Kitas unterstützt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die alltagsintegrierte sprachliche Bildung in Kindertageseinrichtungen, die speziellen Sprachförderbedarf haben. Auch in Backnang profitieren seit 2017 fünf Kindertagesstätten mit insgesamt 400000 Euro. Die Fachkräfte arbeiten direkt in den Kindertagesstätten und unterstützten, beraten und begleiten die Kita-Teams bei der Weiterentwicklung der alltagsintegrierten sprachlichen Bildung.

Ganz nah vor Ort zeigt sich Lange jedes Jahr bei seiner traditionellen Sommertour. Unter anderem besuchte er die Firma Holz Automation in Backnang und führte Gespräche mit den Bürgermeistern Christoph Jäger (Großerlach) und Bernhard Bühler (Oppenweiler) über aktuelle Entwicklungen und künftige Projekte. Ferner ermöglicht Lange jedes Jahr einem Jugendlichen aus dem Wahlkreis einen USA-Aufenthalt im Rahmen des parlamentarischen Patenschaftsprogramms zwischen dem Deutschen Bundestag und dem US-Kongress. Zuletzt verbrachte Michelle Miller aus Ruppertshofen ein Jahr in Arizona.

Im vergangenen begrüßte der Abgeordnete 830 Besucher aus dem Wahlkreis in Berlin, darunter 680 Schüler und 150 engagierte Bürger.

Wie jedes Jahr legte der Abgeordnete bei der Pressekonferenz auch seine Einkünfte offen. Als Abgeordneter und parlamentarischer Staatssekretär erzielte er im vergangenen Jahr Einnahmen von insgesamt rund 249400 Euro. Dem stehen Aufwendungen und Beiträge in Höhe von etwa 50000 Euro gegenüber. Nebeneinkünfte hat Christian Lange nicht.

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Erstellt:
6. November 2018, 06:00 Uhr

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