Großes Engagement für hohe Sprünge

Für mutige Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die mit ihren Bikes gerne waghalsige Tricks vollführen, ist die Dirtline in Maubach ein magischer Anziehungspunkt. Die Anlage lebt davon, dass sie ihre Nutzer selbst kontinuierlich in Schuss halten und weiterentwickeln.

Andreas Jungert zeigt, was auf der Dirtline in Maubach möglich ist. Der 26-Jährige saust mit einem Affenzahn den Hügel hinauf und schraubt sich dann in luftige Höhen. Fotos: A. Becher

© Alexander Becher

Andreas Jungert zeigt, was auf der Dirtline in Maubach möglich ist. Der 26-Jährige saust mit einem Affenzahn den Hügel hinauf und schraubt sich dann in luftige Höhen. Fotos: A. Becher

Von Steffen Grün

Backnang. Wer sich dem Maubacher Bikepark zum ersten Mal nähert, wird von seinen Dimensionen überrascht sein. Nur etwa 200 Meter Luftlinie vom Wohngebiet und vom Bahnhof entfernt und trotzdem eher versteckt zwischen einem Wäldchen, Wiesen, Feldern und den Bahngleisen gelegen, sind keineswegs nur ein paar wenige kleine Erdhäufchen aufgeschüttet. Die gibt es für die Anfänger zwar durchaus auch, aber ins Auge stechen vielmehr sofort die sehr ausgeprägten Hügel und Rampen, die gewaltige Sprünge erlauben. Nicht umsonst nennt sich die Sportart, die auf der sogenannten Dirtline betrieben wird, auch Dirt Jump. Ins Deutsche übersetzt bedeutet das in etwa so viel wie „Sprung über einen Erdhügel“ – mit einem Mountainbike, einem BMX oder einem speziell dafür ausgelegten Dirt Bike möglichst spektakulär dargeboten.

Ein echter Könner in diesem Metier ist Andreas Jungert. Wer es schon für Radsport hält, wenn er mit seinem E-Bike am Sonntag die Brötchen holt, dem stockt beim Zuschauen der Atem. Der 26-Jährige saust mit einem Affenzahn die Hügel hinauf, um sich dann mit seinem Drahtesel in luftige Höhen zu schrauben und waghalsige Tricks zu vollführen. Mal steht er mit dem Bike im Flug auf dem Kopf, mal nimmt er seine Hände vom Lenker und streckt sie zur Seite weg. Kunststücke, die viel Erfahrung erfordern. Andreas Jungert bringt sie mit, weil er bereits vor rund elf Jahren mit Dirt Jump angefangen hat. Zunächst noch in Erbstetten mit fünf bis zehn Kumpels, aber „die Sprünge waren uns dort schnell zu niedrig“. Dasselbe galt für die Hügelchen in Maubach auf einem Bauplatz, der dann irgendwann sowieso für seinen eigentlichen Zweck benötigt wurde. Etwas Neues musste her, aber wie und wo? Weil Jungert und einige Freunde schon damals in dem Backnanger Stadtteil wohnten und wussten, dass Frank Nopper zu ihren Nachbarn gehört, wandten sie sich direkt an den mittlerweile längst nach Stuttgart abgewanderten Ex-Oberbürgermeister: „Wir sind mit etwa zehn Kids bei ihm vor der Tür gestanden und haben geklingelt.“

Es gibt unterschiedlich schwierige Lines mit jeweils mehreren Sprüngen.

© Alexander Becher

Es gibt unterschiedlich schwierige Lines mit jeweils mehreren Sprüngen.

Dieser Mut zahlte sich aus. „Der Wunsch der Kinder wurde an das Stadtbauamt herangetragen“, erinnert sich Rafael Bidlingmaier. Der 51-Jährige, seit 1999 bei der Stadt und mittlerweile Leiter des Baubetriebshofes, sollte schauen, was möglich ist. Nicht umsonst wurde ihm die Aufgabe übertragen: „Ich komme aus dem BMX-Bereich, habe sogar mal den Landeskader trainiert und in dieser Funktion Strecken für Europameisterschaften gebaut“. Erster Schritt war die Suche nach einem Grundstück in Stadtbesitz: Es sollte möglichst eben sein, um Sprünge einbauen zu können, und im Idealfall nur einen Steinwurf vom Wohngebiet entfernt liegen, um kurze Wege zu haben. Dass man tatsächlich in Maubach fündig wurde, war ein Glücksfall für Jungert und viele Mitstreiter, die seitdem den Heimvorteil genießen.

Rafael Bidlingmaier betont explizit, dass die 2011/2012 entstandene Dirtline nicht von der Stadt gebaut wurde. Man habe neben der Platzsuche nur Unterstützung geboten und etwa die Erde beschafft oder Maschinen bereitgestellt. „Er hat die Strecke geplant und gezeichnet“, verrät der Baubetriebshofleiter und deutet auf Jungert: „Er bringt immer wieder neue Ideen ein.“ Es ist allerdings auch keine One-Man-Show, viele Biker bringen sich ein. „Das Projekt steht und fällt mit dem Engagement der Kinder und Jugendlichen“, sagt Bidlingmaier. „Es muss kontinuierlich daran gearbeitet werden, um die Anlage in Schuss zu halten.“ Vor allem dann, wenn es wie zuletzt häufig regnet.

Die Hände zum Himmel: Wer beim Dirt Jump zuschaut, dem stockt manchmal der Atem.

© Alexander Becher

Die Hände zum Himmel: Wer beim Dirt Jump zuschaut, dem stockt manchmal der Atem.

Immer wieder kamen neue Lines hinzu, die wiederum aus mehreren Sprüngen bestehen und unterschiedliche Schwierigkeitsgrade haben. Anfänger, Fortgeschrittene und echte Könner kommen allesamt auf ihre Kosten. Rund 30 Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Alter von etwa 8 bis 30 Jahren zählen zu den Stammgästen, denen es laut Jungert nicht nur ums Sprungtraining geht, „sondern um den ganzen Dirt-Jump-Lifestyle“. Der beinhaltet, viel Zeit auf der Anlage zu verbringen, sie zu hegen und zu pflegen – und sich mit Vokabeln zu unterhalten, die Laien kaum oder gar nicht verstehen. „Es ist eine eigene Sprache“, sagt Biker Tobias Richter und lacht. Es gibt die gefährlicheren Doubles und die für Anfänger geeigneten Tables, die sich aus Sprungschanze, Mittelstück und Landehang zusammensetzen, womit ein zu kurz geratener Sprung eher ohne gravierende Folgen bleibt. Beim Step-Up liegt der Punkt für die Landung viel höher als der Absprung, beim Step-Down ist es genau umgekehrt. Die unzähligen Tricks haben Namen wie Motowhip oder Tabletop, Onehander oder Backflip, Tuck Nohander oder Frontflip – diese Liste ließe sich noch eine Weile fortsetzen.

„Das macht voll Bock“, meint der elfjährige Oskar zum Training auf der Dirtline. Der gleichaltrige Sven nickt, nach längerer Pause ist er unlängst wieder eingestiegen. Zwei Stimmen, die ahnen lassen, dass Jungert mit seiner neuen Idee einen Nerv treffen könnte: „Ich habe die TSG gefragt, ob ich ein wöchentliches Training anbieten kann.“ Der Verein hat Interesse, weshalb es schon bald unter seinem Dach losgehen könnte.

Großes Engagement für hohe Sprünge

© Alexander Becher

„Das Projekt steht und fällt mit dem Engagement der Kinder und Jugendlichen.“

Rafael Bidlingmaier, Leiter des Baubetriebshofes

Noch ein ähnliches Projekt

Kinder und Jugendliche, denen die Dirtline in Maubach noch zu anspruchsvoll ist oder die ein Angebot in der Kernstadt suchen, sind am Dresdener Ring richtig. Auch beim dortigen Wasserturm gibt’s einen Bikepark, aber in kleinerer Dimension. „Das ist etwas ganz anderes, was die Art der Hindernisse betrifft“, sagt Baubetriebshofleiter Rafael Bidlingmaier.

Ein ähnliches Projekt ist es insofern, dass auch hier die Nutzer die Anlage in Schuss halten und weiterentwickeln und vom städtischen Baubetriebshof nur mit Maschinen und Material unterstützt werden. Erst kürzlich waren die Kinder wieder am Werk, sehr zur Freude von Rafael Bidlingmaier: „Mir geht das Herz auf, wenn sie mit roten Köpfen im Erdreich graben.“

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Erstellt:
14. Juli 2021, 06:00 Uhr

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