Großteil der Maskenatteste an Waldorfschule abgelehnt

In der Backnanger Waldorfschule prüft eine Delegation jeden Bescheid zur Maskenbefreiung auf Herz und Nieren. Eltern von 28 Kindern wollen eine Befreiung, nur drei kommen damit durch. Sieben Familien schicken ihre Kinder nicht mehr zur Schule. Die Schule erstattet Anzeige wegen Verletzung der Schulpflicht.

Aufgrund der baulichen Voraussetzungen ist das Querlüften an der Backnanger Waldorfschule leicht zu bewerkstelligen und sehr effizient. Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Aufgrund der baulichen Voraussetzungen ist das Querlüften an der Backnanger Waldorfschule leicht zu bewerkstelligen und sehr effizient. Foto: A. Becher

Von Matthias Nothstein

Backnang. An der Backnanger Freien Waldorfschule sind seit der Wiederaufnahme des Unterrichts nach den Weihnachtsferien bislang nur drei Schüler aufgrund eines akzeptierten ärztlichen Attests von der Pflicht befreit, im Unterricht eine Maske tragen zu müssen. Dies erklärte die Geschäftsführerin der Schule, Katrin Walker, jetzt auf Nachfrage. Eigentlich hatten die Eltern von insgesamt 28 Kindern eine solche Befreiung gefordert, doch eine Coronadelegation, die von der Schulleitung eingesetzt worden war, hatte die Mehrzahl der Atteste nicht anerkannt, da sie den Kriterien nicht entsprochen hatten. Walker: „Wir haben deutlich gemacht, dass wir die Befreiung der Maskenpflicht nur in geprüften Ausnahmefällen zugestehen.“

Eltern wurden schriftlich aufgefordert, ihre Kinder zur Schule zu schicken

Sieben Familien haben nun ihrerseits die Konsequenz gezogen und schicken ihre Kinder nicht mehr zum Unterricht. Und dies mit der Begründung, sie könnten es vor ihrem Gewissen nicht verantworten, dass die Kinder während des Unterrichts Masken tragen müssen. Da durch dieses eigenwillige Handeln die Schulpflicht verletzt wird, hat die Schulleitung diese Familien bei der Bußgeldstelle des Backnanger Rechts- und Ordnungsamts gemeldet. Zuvor hatte die Schulleitung die Familien zweimal schriftlich dazu aufgefordert, die Kinder in die Schule zu schicken.

Katrin Walker macht auf der einen Seite unmissverständlich klar, dass sie die Vorgaben der Coronaverordnung an ihrer Schule inklusive eines Betretungsverbots für Maskenverweigerer durchsetzen wird, immer in der Absprache mit der gesamten Schulleitung. Sie gibt aber auch zu verstehen, dass sie nicht den Stab über den Familien brechen möchte, sondern vielmehr den Kontakt zu den betroffenen Familien halten und Brücken schlagen möchte. „Wir reichen ihnen zu jeder Zeit die Hand. Wir wollen, dass alle Kinder in die Schule kommen.“

Die Schulleitung hatte bereits in den Herbstferien alle Eltern informiert, dass alle seitherigen Befreiungsatteste nur noch übergangsmäßig bis Weihnachten ihre Gültigkeit besitzen. Mit dem Schulstart im neuen Jahr mussten aktuelle und korrekte Atteste vorgelegt werden. Zur Erinnerung: Ein Vater hatte vor zwei Monaten behauptet, an der Freien Waldorfschule Backnang gebe es 68 Schüler, die mittels eines Attests erreichen wollen, von der Maskenpflicht befreit zu werden. Schulchefin Walker hat die extrem hohe Zahl damals zwar nicht bestätigt, allerdings für die Zeit nach dem Jahreswechsel neue Atteste eingefordert.

Eine Coronadelegation aus verschiedenen Mitgliedern der Waldorfschule hat am 7. Januar sämtliche Atteste überprüft und entschieden, welches anerkannt wird und welches nicht, „welche also zurückgewiesen werden, weil sie den Kriterien, die wir an ein korrektes Attest anlegen, nicht entsprechen“, so Walker. Alle außer drei Nachweise wurden als ungenügend abgelehnt. Die Entscheidung wurde den einzelnen Familien am Samstag und Sonntag vor dem Schulstart übermittelt, sodass alle vor dem ersten Schultag am 10. Januar informiert waren. An diesem ersten Schultag hießen die Lehrer und Mitglieder der Schulleitung alle Schüler persönlich willkommen. Dazu standen an allen Eingängen des Schulgeländes jeweils zwei Pädagogen. Sie wünschten den Zöglingen ein gutes neues Jahr und kontrollierten bei dieser Gelegenheit, ob alle Kinder Masken tragen. Dass auch bei diesen Einlasskontrollen und allen anderen konfliktträchtigen Situationen das Wohl der Kinder immer an erster Stelle stand, das verdeutlicht Katrin Walker an einem Beispiel, bei dem ein Kind an der Hand des Vaters ohne Maske und gültiges Attest den Schulhof betreten wollte. Walker erklärte dem Kind, der Vater habe ein Papier zu Hause vergessen, und schickte beide wieder heim. Damit war laut Walker klar, dass nicht das Kind den Fehler gemacht habe. „Wir tragen die Auseinandersetzung nicht auf dem Rücken der Kinder aus.“

Mehrere Kinder, die bislang ein Attest hatten, tragen jetzt Maske

Aufgrund der konstruktiven Kommunikation haben sich viele Eltern einsichtig gezeigt. So sind im neuen Jahr mehrere Kinder mit Maske zur Schule gekommen, die bislang ohne Mundschutz den Unterricht verfolgt hatten. Die Schulleitung ist den Eltern auch auf vielerlei Ebenen entgegengekommen. So wurden zum Beispiel zwischen den Kindern und den Lehrern Fingerzeichen vereinbart. Wenn Kinder die Maske nicht mehr aushalten, können sie diese Zeichen machen und das Klassenzimmer für kurze Zeit verlassen, um vor der Tür ohne Maske durchzuschnaufen. Zudem erinnert Walker daran, dass alle 20 Minuten sowie in allen Pausen quergelüftet werde. Und sie betont, dass dies in der Backnanger Waldorfschule sehr effizient möglich ist – der speziellen Bauart sei Dank.

Walker bestätigt ferner, dass die Schulleitung einen Brief erhalten hat, der von etwa 30 Familien unterschrieben worden ist. In ihm werden sehr kritische Fragen gestellt zum Thema Maskenpflicht. Doch Walker verweist darauf, dass die Waldorfschule diese Verordnung nicht erstellt habe, sondern lediglich für deren Umsetzung verantwortlich ist. Gleichzeitig bedauert sie die Vorgänge rund um das Thema: „Die Beantwortung der Fragen, die Überwachung der Vorschriften und die zusätzliche Kommunikation samt seitenlangen Erklärungen mit den Eltern und Gremien ziehen von all den Lehrern und Mitarbeitern der Schule sehr viele Kräfte ab, die wir für den eigentlichen Schulbetrieb dringend bräuchten. All das belastet uns sehr.“

Erich Apperger ist ein Mitglied des sechsköpfigen Vorstands der Waldorfschule. Er verweist darauf, dass die Waldorfschule in freier Trägerschaft einen Mix an Mitgliedern hat, der dem Mix der gesamten Gesellschaft ähnelt, „deshalb erleben wir die derzeitige Radikalisierung auch“. Apperger betont zwar, alles zu unternehmen, um den Spagat zwischen den Strömungen zu schaffen, „aber wir stoßen an unsere Grenzen“. Er persönlich würde sich eine klarere Positionierung der Behörden und der Politik wünschen. „Wir befinden uns in einem Dreiecksverhältnis mit Eltern, Schule und Behörden. Wir versuchen das Thema so gut wie möglich zu bewältigen, aber es ist extrem herausfordernd.“

Kopfschmerzen, Schwindel und Müdigkeit reichen als Befreiungsgrund nicht aus

Coronadelegation Insgesamt setzt sich das Gremium aus zehn Mitgliedern zusammen. Sechs sind Mitglieder der Schulführungskonferenz, darunter zwei Mitglieder des Vorstands des Schulvereins, zwei Pädagogen und zwei Elternvertreter. Komplettiert wird die Delegation durch zwei Mitarbeiter der Schulverwaltung, einen Arzt und Geschäftsführerin Katrin Walker. Die Delegation tagt regelmäßig und wendet sich in Zweifelsfällen auch an die Experten des Regierungspräsidiums.

Atteste Damit ein Kind von der Maskenpflicht befreit werden kann, muss ein Attest vorliegen. Dieses muss bestimmte Kriterien erfüllen und aktuell sein. Es muss von einem Arzt mit einer gültigen Approbation erstellt worden sein. Die Symptome, die darin aufgelistet sind, müssen über das hinausgehen, was bei jedem Menschen eintritt, wenn er eine Maske trägt. Katrin Walker konkretisiert: „Kopfschmerzen oder Schwindel oder müde sein – das reicht als Grund für eine Befreiung nicht aus.“

Prüfung Alle Atteste wurden von der Coronadelegation der Schule geprüft. Dazu wurden von der Verwaltung im Vorfeld der Prüfung alle Namen der Schüler geschwärzt, sodass daraus nicht hervorging, um welches Kind es sich handelte. So konnte die Delegation unvoreingenommen urteilen und der Datenschutz blieb gewährleistet. Die Schule hatte sich juristisch beraten lassen. Deshalb wurde bei allen abgelehnten Attesten den Familien zugestanden, die Nachweise nachzubessern.

Meldung Verstöße gegen die Schulpflicht werden anhand einer Eskalationsleiter geahndet. Maßnahmen, die der Staat trifft, müssen verhältnismäßig sein. Vonseiten der Schule wird zunächst das Gespräch gesucht. Führt dieses nicht zur Einsicht, sind weitere Maßnahmen möglich. In der Verwaltungsgemeinschaft Backnang werden aktuell an drei Schulen Kinder von ihren Eltern vom Unterricht ferngehalten. Der älteste dieser Fälle wird am 7. Februar vor dem Backnanger Amtsgericht verhandelt.

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Erstellt:
18. Januar 2022, 06:00 Uhr

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