SPD riskiert Zerreißprobe in Koalition

dpa Berlin. Die SPD will mit ihrer neuen Spitze in eine „neue Zeit“. Die Position: klar links. Jetzt geht's weiter am Verhandlungstisch mit der Union. Spannend wird, wie sich Esken und Walter-Borjans da behaupten.

Heiko Maas spricht beim SPD-Bundesparteitag. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Heiko Maas spricht beim SPD-Bundesparteitag. Foto: Kay Nietfeld/dpa

Die SPD rückt nach links und riskiert eine Zerreißprobe in der großen Koalition. Auf ihrem Parteitag forderten die Sozialdemokraten in Berlin die perspektivische Überwindung der Schuldenbremse und die Wiedereinführung der Vermögensteuer.

Außerdem beschlossen sie eine Abkehr von der Sozialagenda 2010 ihres früheren Kanzlers Gerhard Schröder und von Hartz IV. „Wir sind Aufbruch, wir gehen in Richtung der neuen Zeit“, sagte die neue Parteichefin Saskia Esken am Sonntag vor den Delegierten. Die Union lehnte zentrale Forderungen der SPD unmittelbar ab.

In den nächsten Tagen wollen Esken und Norbert Walter-Borjans, die frisch gewählte SPD-Spitze, den Koalitionspartner zum Kennenlernen treffen. Auch die Verhandlungen über Nachbesserungen am Kurs der großen Koalition sollen rasch beginnen. „Bei der SPD ist neu, dass wir uns klar zu den Positionen der Sozialdemokratie bekannt haben, über eine Denkweise aus einer Koalition hinaus“, sagte Walter-Borjans. Notfalls wollen die neuen SPD-Chefs die Koalition mittelfristig verlassen.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak warnte die SPD nach ihrem Linksruck vor weiterer Selbstbeschäftigung. „Wir haben eine Grundlage für unsere Zusammenarbeit geschaffen, nämlich den Koalitionsvertrag. An dieser Grundlage hat sich nichts verändert“, sagte er am Sonntagabend. „Es muss jetzt um Deutschland gehen und nicht um die SPD.“ Die Sozialdemokraten hätten sich auf ihrem Kongress aber vor allem mit Vergangenheitsthemen beschäftigt, kritisierte Ziemiak. Er geht davon aus, dass es noch vor Weihnachten einen Koalitionsausschuss gibt.

Walter-Borjans warb indessen dafür, „dass wir die Schuldenbremse überwinden müssen“. Staatliche Investitionen müssten möglich sein. „Das muss man auch mit Krediten machen können.“ Die Delegierten beschlossen die Forderung einer „perspektivischen“ Überwindung. Außerdem sollen alle, die mehr als zwei Millionen Euro Nettovermögen haben, eine Vermögensteuer von ein bis zwei Prozent zahlen.

Nach monatelangen Vorbereitungen gab sich die SPD auf ihrem dreitägigen Parteitag zudem einmütig ein Konzept für einen „neuen Sozialstaat“. „Wir wollen Hartz IV hinter uns lassen“, sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Arbeitslosengeld soll länger gewährt werden - statt höchstens 24 künftig bis zu 36 Monate. Statt Hartz IV soll es ein Bürgergeld mit weniger Sanktionsmöglichkeiten geben. Die Jobcenter sollen die monatlichen Leistungen nicht stärker als um 30 Prozent kürzen dürfen, das Existenzminium soll dabei gewahrt bleiben.

Arbeitsminister Hubertus Heil kündigte für Anfang 2020 ein Gesetz zur Abmilderung der Hartz-Sanktionen an. Er erinnerte daran, dass die SPD unter ihrer früheren Chefin Andrea Nahles die Arbeit am neuen Sozialkurs begonnen habe: „Das ist ihr Vermächtnis.“ Die SPD fordert zudem eine Kindergrundsicherung von mindestens 250 Euro für jedes Kind pro Monat, eine Bürgerversicherung in der Pflege und die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro. 

Heftige Auseinandersetzungen in der Koalition sind programmiert. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer lehnte mehrere Forderungen der SPD sogleich ab. An der Schuldenbremse im Grundgesetz solle nicht gerüttelt werden, sagte sie der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ („F.A.S.“). „Es hat keinen Sinn, neue Schulden zu machen.“ Vorhandene Gelder flössen zu langsam ab. Der SPD-Forderung nach einem Mindestlohn von 12 Euro setzte sie entgegen, dass weiter eine unabhängige Expertenkommission zuständig sein solle.

Zu geforderten Nachbesserungen am Klimapaket verwies die CDU-Chefin in der „Bild am Sonntag“ auf die Einigung in der Koalition. „Jetzt läuft das Vermittlungsverfahren mit dem Bundesrat. Wir können nicht wieder bei Null anfangen.“ Kramp-Karrenbauer betonte: „Ich hätte mir ein wirklich klares Signal des SPD-Parteitags zur Fortsetzung der großen Koalition gewünscht.“

Esken rechnet mit ersten Gesprächen mit der Union noch vor Weihnachten. Der neue SPD-Vize und Juso-Bundeschef Kevin Kühnert forderte einen klar definierten Anfang und ein Ende der Verhandlungen - sie dürften nicht länger dauern als die ursprünglichen Koalitionsgespräche. Die eigentlichen Verhandlungsgespräche von Union und SPD Anfang 2018 hatten nicht einmal zwei Wochen gedauert. Walter-Borjans sagte: „Wir werden natürlich möglicherweise auch vor die Bevölkerung treten müssen und sagen müssen: [...] Das ist mit diesem Koalitionspartner nicht zu machen.“

Der CDU-Vizevorsitzende Armin Laschet sagte der „Welt am Sonntag“ dennoch: „Nach dem Parteitag der SPD bin ich zuversichtlicher als zuvor, dass die Koalition hält.“ Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident zeigte sich bereit, über einen höheren CO2-Preis zu sprechen. „Darüber reden wir sowieso mit den Grünen“, sagte er.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt betonte in der „F.A.S.“: „Dass die SPD sich für ein Signal der Vernunft entschieden hat und damit für den Verbleib in der Regierungsverantwortung, halte ich für eine kluge Entscheidung.“ Die Linksbewegungen könnten aber zu Belastungen in der Koalition führen. Der frühere Unionsfraktionschef Friedrich Merz attestierte der SPD, „in der letzten suizidalen Phase ihrer Existenz als Volkspartei“ zu sein.

Die Grünen zeigten sich enttäuscht. Er sehe bei der SPD nur ein „Weiter so“, sagte der Parteivorsitzende Robert Habeck der „F.A.S“. „Ich hätte mir gewünscht, dass vom SPD-Parteitag eine klare Entscheidung ausgeht: Regieren mit voller Energie oder eben nicht. Diese Klarheit braucht das Land.“ Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger lobte die SPD auf Twitter für ihren Linksschwenk: „Besser spät als nie! (...) Wir sind gespannt, wie sie das jetzt umsetzen wollen!“ Im RTL/n-tv-„Trendbarometer“ sank die SPD nach der Stichwahl für Esken und Walter-Borjans gegenüber der Vorwoche um drei Punkte auf 11 Prozent.

Die neue Spitze der SPD: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Die neue Spitze der SPD: Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

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Erstellt:
8. Dezember 2019, 09:23 Uhr

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