Haftstrafe in historischem Prozess um Staatsfolter in Syrien

dpa Koblenz. In dem Prozess am Koblenzer Oberlandesgericht geht es um brutale Folter. Nun gibt es ein erstes Urteil. Experten erhoffen sich eine internationale Signalwirkung.

Der Angeklagte Eyad A. wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Foto: Thomas Lohnes/AFP/Pool/dpa

Der Angeklagte Eyad A. wurde zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Foto: Thomas Lohnes/AFP/Pool/dpa

In dem laut Bundesanwaltschaft weltweit ersten Strafprozess wegen Staatsfolter in Syrien hat das Oberlandesgericht Koblenz einen der zwei Angeklagten zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt.

Der Syrer Eyad A. hatte sich nach Überzeugung der Richter der Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht (Az. 1 StE 9/19). Der nach Deutschland geflohene und hier festgenommene 44-Jährige war Agent des staatlichen Allgemeinen Geheimdienstes in Syrien gewesen. Nach Überzeugung des Gerichts hatte er Beihilfe zu Verbrechen in Form von Folter und schwerwiegender Freiheitsberaubung geleistet. Gegen den syrischen Hauptangeklagten Anwar R. (58) soll der im April 2020 begonnene Prozess weiterlaufen.

Die Bundesanwaltschaft hatte gegen den nun verurteilten Eyad A. fünfeinhalb Jahre Haft gefordert, die Verteidigung Freispruch wegen eines entschuldigenden Notstands: Bei Befehlsverweigerung hätte dem Agenten Lebensgefahr gedroht. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der Verteidiger von Eyad A., Hannes Linke, kündigte Revision an.

Oberstaatsanwalt Jasper Klinge von der Bundesanwaltschaft sagte, das weltweit erste derartige Urteil sei ein Signal an Täter, die Menschenrechte mit den Füßen träten, dass sie dauerhaft mit der Ahndung ihrer Verbrechen rechnen müssten - womöglich auch in Deutschland. Das erlaubt das Weltrechtsprinzip im Völkerstrafrecht. Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) sprach auf Twitter von einem historischen Urteil, das zumindest ein wenig Gerechtigkeit schaffe: „Die Entscheidung hat für viele Menschen nicht nur in Syrien eine hohe symbolische Bedeutung.“

Die Vorsitzende Richterin Anne Kerber sagte in der Urteilsbegründung, der Syrer Eyad A. habe im Herbst 2011 als Mitarbeiter des staatlichen Allgemeinen Geheimdienstes dazu beigetragen, 30 Demonstranten des Arabischen Frühlings in ein Foltergefängnis in der syrischen Hauptstadt Damaskus zu bringen. Der später nach Deutschland geflohene und hier festgenommene 44-Jährige habe im Wissen um den systematischen Angriff des syrischen Regimes von Präsident Baschar al-Assad auf die Zivilbevölkerung des Bürgerkriegslandes gehandelt.

Genauso bekannt sei ihm die brutale Folter in den Haftzellen seiner Geheimdienststelle gewesen - mit Schlägen, Aufhängen an Handgelenken und Stromschlägen bei katastrophalen Haftbedingungen mit zu wenig Essen, mangelnder Hygiene und fehlendem Platz zum Schlafen. Tag und Nacht seien Schreie anderer Folteropfer zu hören gewesen. Die Vorsitzende Richterin Kerber sprach von Massengräbern für gestorbene Häftlinge und verwies auch auf die sogenannten Caesar-Fotos von syrischen Todesopfern: „Diese Bilder werde ich nie vergessen.“

Die Juristin hielt Eyad A. zugute, trotz eines Schießbefehls nicht auf Demonstranten geschossen zu haben. Bereits Anfang 2012 habe er sich vom Assad-Regime abgewandt. Im Prozess habe der Syrer zwar zu den Vorwürfen gegen ihn geschwiegen, sie aber 2018 bei einer polizeilichen Vernehmung in Deutschland eingeräumt. Damals habe er auch Angaben gemacht, die zur Anklage gegen den Hauptangeklagten Anwar R. beigetragen hätten.

Die Bundesanwaltschaft wirft diesem mutmaßlichen Vernehmungschef im selben Foltergefängnis Verbrechen gegen die Menschlichkeit 2011 und 2012 vor. Sie legt ihm 58-fachen Mord und die Verantwortung für die Folter von mindestens 4000 Menschen zur Last. Zu Prozessbeginn stritt der einstige Oberst diese Vorwürfe zunächst ab.

Zu Lasten des verurteilten Eyad A. wertete der zuständige Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Koblenz, dass er freiwillig jahrelang im repressiven Sicherheitsapparat gearbeitet habe. Bei der Demonstration 2011 hätte er als einer von sehr vielen eingesetzten Sicherheitskräften beispielsweise auch eine Verletzung vortäuschen und sich zurückziehen können.

Der syrische Nebenkläger Wassim Mukdad sagte nach dem Urteil laut der Menschenrechtsorganisation „European Center for Constitutional and Human Rights“ (ECCHR): „Eyad A. ist nur ein kleines Rad im riesigen syrischen Folterapparat. Es ist wichtig, dass es dieses Urteil gibt, doch ich wünsche mir, dass es dazu dient, Licht auf die ganzen Verbrechen des Assad-Regimes zu werfen.“ ECCHR-Anwalt Patrick Kroker erklärte, die Zeugenaussagen etwa von Folterüberlebenden sowie die Caesar-Fotos hätten eine Bedeutung weit über den Prozess hinaus.

Der Deutsche Richterbund (DRB) betonte: „Die Arbeit der deutschen Justiz im Bereich des Völkerstrafrechts gilt international als vorbildlich. Das Koblenzer Urteil sendet einmal mehr das klare Signal: Kriegsverbrecher finden in Deutschland keinen Unterschlupf.“ Bereits in den vergangenen Jahren habe es eine zweistellige Zahl von Verurteilungen nach dem Völkerstrafrecht in Deutschland gegeben. Die Bundesanwaltschaft führe rund 100 Ermittlungsverfahren wegen Straftaten gegen das Völkerrecht in zahlreichen Ländern.

Die Grünen-Bundestagsfraktion wertete das Koblenzer Urteil als einen internationalen Meilenstein gegen Straflosigkeit von Kriegsverbrechen. Langfristig müsse es das Ziel sein, auch hochrangige Funktionäre von Assads Geheimdienst vor Gericht zu bringen. Die SPD-Bundestagsfraktion betonte, dank des Weltrechtsprinzips „muss jeder Menschenrechtsverbrecher befürchten, für seine Taten zur Verantwortung gezogen zu werden“. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International sprach von einem wichtigen Signal in Koblenz: Die internationale Gemeinschaft ziehe Täter mit Verbrechen in Syrien zur Verantwortung.

© dpa-infocom, dpa:210224-99-577336/2

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Erstellt:
24. Februar 2021, 17:08 Uhr

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