Nahost-Konflikt
Hat Israel einen Exit-Plan?
In der Eskalation sind bis zum Montagmittag 24 Menschen in Israel durch iranische Angriffe gestorben. Dennoch befürworten viele Israelis den Militärschlag gegen den Iran.

© Ariel Schalit/AP/dpa
Ein Mann holt in der israelischen Hafenstadt Habseligkeiten aus einer Wohnung, die nach dem Einschlag einer iranischen Rakete beschädigt wurde.
Von Mareike Enghusen
Am Montagmorgen erwachten die Menschen in Israel erneut zu bedrückenden Nachrichten – sofern sie in der Nacht zwischen den iranischen Raketensalven Iran überhaupt Schlaf gefunden hatten. Mindestens acht Menschen hatten feindliche Geschosse in der Nacht aus dem Leben gerissen, die meisten davon in Tel Aviv und umliegenden Städten. Knapp hundert weitere wurden verletzt, darunter ein nur vier Tage altes Baby in Petach Tikva, einer Stadt bei Tel Aviv. Insgesamt waren seit Beginn der Eskalation am Freitag bis Montagmittag 24 Menschen in Israel umgekommen. In mehreren Städten im Zentrum des Landes lassen sich die Spuren der Zerstörung besichtigen: In Bat Yam etwa, einer Küstenstadt südlich Tel Avivs, schlug in der Nacht auf Sonntag eine Rakete in einen Wohnturm ein, tötete mehrere Menschen sofort und begrub weitere unter den Trümmern. So heftig war offenbar der Einschlag, dass er noch Gebäude Dutzende Meter entfernt beschädigt hat: Fenster hängen schief in ihren Rahmen, Schutt und Glassplitter bedecken den Bürgersteig. „Der Bunker hat mir das Leben gerettet“, berichtet ein Mann, der einige Blöcke entfernt lebt. „Aber der Einschlag hat mich zu Boden gerissen.“
Urananreicherungsanlage liegt tief unter der Erde
Dennoch gibt es an der Entscheidung der israelischen Regierung, das Atomprogramm des Irans anzugreifen, derzeit kaum Kritik. Zum einen gelten die nuklearen Ambitionen Teherans in Israel über alle Parteilinien hinweg seit Langem als fundamentale Bedrohung für den Jüdischen Staat. Zum anderen sorgen die operativen Erfolge der israelischen Armee für breite Euphorie. 16 Stunden lang habe Israels Luftwaffe den iranischen Luftraum beherrscht: Mit dieser Schlagzeile machte am Morgen nach dem ersten Angriff Ynet auf, das größte israelische Nachrichtenportal.
Bis Montagmittag hat Israels Armee, die IDF, mit Unterstützung des Auslandsgeheimdienstes Mossad mehrere Einrichtungen des iranischen Atomprogramms bombardiert und mindestens eine davon offenbar weitreichend zerstört: die Anlage zur Urananreicherung im zentraliranischen Natans. Dazu hat Israel weite Teile der militärischen Führungsriege des Landes ausgeschaltet und führende Nuklearforscher getötet. Eigenen Angaben zufolge hat die IDF außerdem ein Drittel der iranischen Raketenwerfer zerstört. Der Iran wiederum kann Israel mit seiner gezielten Bombardierung urbaner Zentren zwar weiter Verluste und Schäden zufügen. Doch militärisch hat Teheran der israelischen Operation nicht ernsthaft etwas entgegenzusetzen.
Bunkerbrechende Bomben besitzen nur die USA
„Ich glaube sehr daran, dass der israelische Angriff gerechtfertigt ist“, sagt Michael Milshtein, Leiter des Forums für Palästinenserstudien an der Universität und Tel Aviv, der auf eine lange Karriere im militärischen Geheimdienst zurückblickt, im Gespräch mit dieser Zeitung. „Aber es gibt offene Fragen: Wie viel Schaden können wir dem iranischen Atomprogramm wirklich zufügen? Und was tun wir, wenn die USA nicht mit einsteigen? Das ideale Szenario wäre, würden die Iraner irgendwann sagen: Wir können nicht mehr, wir wollen ein Abkommen mit den USA und sind bereit, auf Urananreicherung auf unserem Territorium zu verzichten. Aber das halte ich für unwahrscheinlich.“
Unter Militärexperten besteht weitgehend Konsens darüber, dass Israel allein das iranische Atomprogramm nicht vollständig auslöschen kann. Vor allem die Urananreicherungsanlage Fordow, die tief unter der Erde liegt, gilt als Herausforderung: Wohl nur bunkerbrechende Bomben, wie die USA sie besitzt, könnten diese Einrichtung zerstören. Manche Analysten in Israel gehen davon aus, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf die Unterstützung der USA baut – dass US-Präsident Donald Trump in die Operation einsteigen könnte, wenn er sich vom bisherigen Erfolg der IDF beeindrucken lässt. Bislang gibt es dafür jedoch noch keine Hinweise – was die Frage nach sich zieht: Wie und wann plant Israel, seine Angriffe zu beenden, wenn es sein erklärtes Ziel – die Zerstörung des Atomprogramms – gar nicht erreichen kann?
„Ich hoffe, dass sich dieser Slogan von der Auslöschung des iranischen Atomprogramms nicht ebenso entwickelt wie der Slogan von der Vernichtung der Hamas in Gaza“, sagt Milshtein. „Man kündigt etwas an, das man nicht einhalten kann, und kämpft deshalb immer weiter. Es gibt keinen Mechanismus, um diesen Krieg zu beenden, keine Exit-Strategie. Deshalb sorge ich mich, dass Israel sich in einen Abnutzungskrieg verwickeln lassen könnte.“
Auch den Diskurs in der israelischen Öffentlichkeit sieht Milshtein kritisch. „Es gibt eine Tendenz, jeden, der Zweifel an Israels militärischem Vorgehen äußert, als unpatriotisch abzutun“, sagt er. „Dabei sollte uns das Desaster vom 7. Oktober gezeigt haben, dass wir es uns nicht leisten können, auf kritische Stimmen zu verzichten.“