Hebammen dringend gesucht

Seit Eröffnung im Herbst 2017 wurden im Geburtshaus Backnang 897 Geburten angefragt – Personalmangel schränkt ein

Im Herbst 2017 wurde das Backnanger Geburtshaus eröffnet. 142 Kinder haben dort seitdem das Licht der Welt erblickt – Zeit für eine Bilanz. Und die fällt fast durchweg positiv aus. „Fast“ deshalb, weil auch in Backnang der Hebammenmangel deutlich zu spüren ist und zeitweise für Engpässe in der außerklinischen Geburtshilfe sorgt.

Nicole Strobel, Geschäftsführerin des Geburtshauses, ist sehr zufrieden mit der Entwicklung der Einrichtung. Fotos: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Nicole Strobel, Geschäftsführerin des Geburtshauses, ist sehr zufrieden mit der Entwicklung der Einrichtung. Fotos: A. Becher

Von Silke Latzel

BACKNANG. „Im August werden 80 Prozent der Schwangeren ohne Hebammen auskommen müssen. Die Ferienzeit trifft auch unsere Berufssparte und auch die Hebammen nehmen Urlaub“, erklärt Nicole Strobel, Geburtshelferin und Geschäftsführerin des Backnanger Geburtshauses. Gerne würde sie auch die Ferienzeit abdecken können. Doch der deutschlandweite Hebammenmangel lässt das nicht zu, es gibt derzeit zu viele Schwangere für zu wenige Geburtshelferinnen.

Man merkt Strobel an, dass dieser Umstand sie alles andere als glücklich macht. Denn ihr Anspruch als Hebamme ist es, den schwangeren Frauen im Geburtshaus Ansprechpartner vor, während und nach der Geburt des Kindes zu sein. Und die Frauen, die sich für eine sogenannte Eins-zu-eins-Betreuung im Geburtshaus entscheiden, tun dies vor allem wegen der familiären und geschützten Atmosphäre dort.

Etwa 15 Prozent der Gebärenden werden ins Krankenhaus verlegt

Seit der Eröffnung des Geburtshauses im Herbst 2017 wurden dort 897 Geburten angefragt – und diese hätten laut Strobel auch alle dort abgewickelt werden können, hätte es genügend Personal gegeben. So ist die Zahl der Kinder, die im Geburtshaus auf die Welt gekommen sind, wesentlich kleiner, nämlich 142. „Man kann also sagen, dass wir zwischen 60 und 80 Geburten im Jahr begleiten“, so Strobel. „Und das reicht uns beim derzeitigen Personalstand auch“, ergänzt sie. Alle Hebammen, die im Geburtshaus arbeiten, sind freiberuflich tätig, sechs Frauen bilden den festen Stamm des Hauses. Eine Junghebamme wird derzeit als Springerin eingesetzt, in Einzelfällen vermittelt und macht hauptsächlich Vertretungen. „Sie ist unser Silberstreif am Horizont“, sagt Strobel lachend.

Auch in den kommenden Jahren wird die Personalsituation sich nicht verbessern, vermutet Strobel. „Wir haben jetzt schon eine Versorgungslücke, da die Ausbildung zur Hebamme seit Kurzem ein Jahr länger dauert und gleichzeitig ein Generationenwechsel bevorsteht, viele Geburtshelferinnen in Rente gehen oder nur noch eingeschränkt arbeiten.“ Bis Ende des Jahres seien die Hebammen im Backnanger Geburtshaus ausgebucht. Das hat zur Folge, dass die gewünschte Eins-zu-eins-Betreuung nicht bei allen Frauen möglich sein wird.

„Man muss in diesem Beruf schon wirklich gern arbeiten wollen“, sagt die Hebamme. Denn neben den Arbeitszeiten – eine Geburt dauert nun mal nicht immer von 9 bis 17 Uhr – sind es vor allem die hohen Sozialversicherungskosten, die am Ende dafür sorgen, dass der Verdienst für freiberufliche Hebammen nicht sonderlich attraktiv ist: „Von 10 verdienten Euro bleiben am Ende 3,50 übrig“, so Strobel. „Der Nettostundenlohn erreicht nicht einmal den Mindestlohn. Deshalb arbeiten viele Hebammen auf Minijob-Basis, das macht den Stundenlohn sehr viel interessanter, da sie keine Sozialabgaben zahlen müssen.“

Nichtsdestotrotz: Das Geburtshaus ist bei den Frauen aus Backnang und Umgebung gefragt. „Ich habe ja am Anfang mit einer Hungerstrecke gerechnet, die wir überbrücken müssen. Aber dem war nicht so. Es läuft wirklich gut.“ Bereits die Infoabende sind meistens ausgebucht. Die Frauen, die sich für eine Geburt im Geburtshaus entscheiden, wissen, dass sie dort keine Betäubungsmittel bekommen und nur in Notfällen ins Krankenhaus eingeliefert werden. „80 bis 95 Prozent der Geburten laufen in der Regel quasi ,von allein‘, wenn man sie auch laufen lässt“, erklärt Geburtshelferin Strobel. „Die genaue Beobachtung der Frau und der Wehen hilft einfach schon sehr. Bei uns Hebammen gibt es die alte Regel: Wenn es der Frau gut geht, dann geht es dem Kind auch gut.“

30 bis 40 Prozent der Geburten finden im Wasser statt, weniger als ein Prozent im Liegen. „Die Frauen bewegen sich bei uns frei, wählen die Position, in der sie sich am wohlsten fühlen, können essen und trinken, wann sie wollen.“ Etwa 15 Prozent der Frauen werden bei der Geburt ins Krankenhaus verlegt, nach der Geburt sind es zirka fünf Prozent – „wenn es zum Beispiel Probleme bei der Plazentaablösung gibt“, so Strobel. Auch manche Kinder werden nach der Geburt vorsichtshalber verlegt und dann vier, fünf Tage in der Klink behandelt. „Aber auch hier betrifft das weniger als fünf Prozent. Von den 142 Kindern, die bei uns auf die Welt kamen, wurden sieben verlegt.“ Bei jeder dritten Geburt müsse die Gebärende genäht werden, so Strobel, dabei handle es sich „allerdings nie um etwas Dramatisches, sondern um kleine Verletzungen“. Interessant: Bei den 142 Geburten, die im Geburtshaus betreut wurden, haben laut Strobel nur acht länger als 24 Stunden gedauert. „Das liegt vor allem an der Vorbereitung und der Kommunikation. Die Frauen, auch die Erstgebärenden, sind gut aufgeklärt und kommen nicht direkt mit der ersten Wehe zu uns.“

Immer besser funktioniere mittlerweile auch die Zusammenarbeit mit Kinder- und Frauenärzten, so Strobel. „Wir werden immer mehr respektiert. Und man merkt einfach, dass die Menschen jetzt nicht mehr denken, dass wir hier nur ein Haufen verrückter Hebammen sind, sondern dass wir wissen, was wir tun, und die Frauen bei uns gut versorgt werden“, sagt sie lachend. Ziel sei es, die Kooperation mit den Ärzten weiter auszubauen und die Kommunikation weiter zu verbessern. „Wir stehen in keinem Wettbewerb, sondern wollen ja alle am Ende nur das Beste für die Frauen und ihre Kinder.“

2017 wurde das Geburtshaus eröffnet. Seitdem sind dort 142 Kinder auf die Welt gekommen.

© Pressefotografie Alexander Beche

2017 wurde das Geburtshaus eröffnet. Seitdem sind dort 142 Kinder auf die Welt gekommen.

Info
Mehr zum Geburtshaus

Das Geburtshaus befindet sich in Backnang, Im Blütengarten 29. Weitere Infos gibt es online unter www.hebammenhaus-backnang.de.

Das Angebot der Hebammen beschränkt sich nicht auf Geburtsvorbereitung und Geburt, sondern umfasst unter anderem auch Yoga in der Schwangerschaft, Rückbildungsgymnastik, Stillberatung und Babymassagekurse.

Hebammen, die sich für eine Tätigkeit im Geburtshaus interessieren, können sich direkt per E-Mail bei Nicole Strobel unter strobel@hebammenhaus-backnang.de bewerben.

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Erstellt:
15. Juni 2019, 06:00 Uhr

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