Grüne wegen Steuerbetrugs-Portal in Kritik

dpa Stuttgart/Berlin. Fast jeder kennt diesen Satz: „Der größte Lump im ganzen Land ist und bleibt der Denunziant.“ Doch im Kampf gegen Steuerbetrug ist der Staat auf Tipps der Bürger angewiesen. Ein Online-Portal für anonyme Hinweisgeber sorgt im Wahlkampf nun für einen Aufschrei.

Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz in Stuttgart. Foto: Marijan Murat/dpa/archivbild

Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz in Stuttgart. Foto: Marijan Murat/dpa/archivbild

Die Grünen müssen sich im Endspurt zur Bundestagswahl wegen der bundesweit ersten Online-Plattform für Hinweise auf Steuerbetrüger im grün-regierten Baden-Württemberg massiver Kritik erwehren. Union, FDP und AfD warfen den Grünen am Mittwoch vor, mit dem „Steuerpranger“ im Internet dafür zu sorgen, dass Menschen ihre Nachbarn denunzieren. Auch der Steuerzahlerbund sieht das Portal als „extrem problematisch“ an. CDU und CSU warnten, so etwas drohe womöglich auch bundesweit, wenn die Grünen in eine Bundesregierung einzögen. Der Vize der Südwest-CDU, Thorsten Frei, startete einen Generalangriff auf die Grünen, mit denen die CDU in Baden-Württemberg regiert. Er warf ihnen „Doppelmoral“ vor.

Landesfinanzminister sieht Online-Portal als logischen Schritt

Fakt ist: Wer jemanden wegen Steuerbetrugs anzeigen will, der kann das jetzt noch leichter tun. Nämlich online. Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) sagte, Steuerhinterziehung koste Deutschland geschätzte 50 Milliarden Euro im Jahr. Schon bisher seien anonyme Anzeigen möglich, per Brief oder Telefon, das sei in anderen Bundesländern nicht anders. „Im Jahr 2021 sollte das aber auch online gehen“, erklärte der Minister. Tatsächlich können zum Beispiel auch in Bayern derlei Anzeigen per Formular oder auch formlos bei den jeweils zuständigen Finanzämtern eingereicht werden.

Habeck verbittet sich Vergleich mit Stasi

Auch Grünen-Chef Robert Habeck reagierte: „Wer Steuern hinterzieht, verspottet die Redlichkeit all jener Bürgerinnen und Bürger, die ehrlich ihre Steuern zahlen“, sagte er der dpa. „Und natürlich muss man, um Wirtschafts- und Finanzkriminalität zu bekämpfen, auch Whistleblower schützen, das liegt ja auf der Hand.“ Habeck attackierte indirekt die „Bild“-Zeitung, die getitelt hatte: „Grünen-Minister führt Steuer-Stasi ein“. Der Grünen-Chef sagte: „Wer aber den Kampf gegen Steuerbetrug mit dem Agieren der Stasi vergleicht, verharmlos die Diktatur der DDR.“

Finanzminister will die „großen Fische“

Im Finanzministerium in Stuttgart wird versichert, es gehe vor allem um Steuerhinterziehung im großen Stil. Wenn jemand Hinweise habe, dass auf einer Baustelle zahlreiche Schwarzarbeiter seien, wäre das ein wichtiger Hinweis. Es gehe nicht darum, ob der Nachbar für seine Putzfrau Sozialabgaben entrichte. Bayaz versicherte: „Niemand muss befürchten, dass künftig die Steuerfahndung vor der Tür seht, nur weil der Nachbar ihn angeschwärzt hat. Es geht außerdem um relevante Fälle von Steuerbetrug.“ Er erklärte: „Anzeigen müssen selbstverständlich gut begründet sein, sonst werden sie von der Steuerfahndung erst gar nicht bearbeitet.“ Die Jagd auf Steuersünder sei zuletzt erfolgreich gewesen: Die Fahnder hätten im Jahr 2020 im Südwesten etwa 250 Millionen Euro mehr an Steuern reingeholt. Bundesweit seien es 3,2 Milliarden Euro gewesen.

„Steuer-Stasi“, „Blockwart-Mentalität“, „Denunziantentum“

Union, FDP und AfD schwangen die verbale Keule. CSU-Generalsekretär Markus Blume twitterte, die Grünen wollten „Denunziantentum fördern und Misstrauen unter Nachbarn säen. Auf was muss man sich noch einstellen, wenn die Grünen an die Regierung kommen?“, fragte er. Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei warnte: „Da zeigt sich schon jetzt einmal, wo die Reise mit rot-grün-roter Regierungsverantwortung hingehen würde.“

FDP-Chef Christian Lindner sagte der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, die Digitalisierung der Verwaltung sei notwendig, „aber ausgerechnet bei möglichen Denunziantentum unter Nachbarn zu beginnen, ist rätselhaft“. FDP-Landeschef Michael Theurer, sagte „Bild“: „Diese Art von Blockwart-Mentalität verändert unsere Gesellschaft zum Schlechten.“ AfD-Landtags-Fraktionschef Bernd Gögel erklärte: „Die Pläne des Ministers schaffen ein Klima des Misstrauens.“ Zenon Bilaniuk vom Steuerzahlerbund monierte, das Portal erwecke den Eindruck, „dass die Mehrheit der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler unehrlich wäre“.

Unterstützung durch Transparency

Rückendeckung erhielt der Grüne von Transparency Deutschland: „Begriffe wie „Denunziantentum“ und „Blockwartmentalität“ sind absolut fehl am Platz“, erklärte Louisa Schloussen von Transparency. „Entgegen der Vorurteile zeigen wissenschaftliche Studien und die Erfahrungen in der Praxis ganz klar, dass absichtliche Falschmeldungen („Denunziationen“) kaum vorkommen und kein Problem sind.“

Was heißt der Streit für Grün-Schwarz im Land?

In der Südwest-CDU hieß es, Thorsten Frei habe sich ja als Unions-Fraktionsvize im Bundestag geäußert. Bayaz erklärte nach Freis Attacken: „Wir haben den Kampf gegen Steuerhinterziehung ausdrücklich im Koalitionsvertrag vereinbart. Ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln, dass sich die CDU dem auch weiterhin verpflichtet fühlt.“ Später ergänzte Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz: „Die grün-schwarze Koalition ist sich einig: Wir wollen Steuerhinterziehung effektiv und konsequent verfolgen.“ Und: „Dass anonyme Hinweise auch online möglich sind, ist ein wichtiger und folgerichtiger Schritt.“

© dpa-infocom, dpa:210901-99-53500/3

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Erstellt:
1. September 2021, 15:51 Uhr

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