Heftiger Streit um Brexit-Handelspakt

dpa London/Brüssel. Schon in zehn Wochen endet die Brexit-Übergangsphase. Doch eine Einigung auf ein Handelsabkommen ist nicht in Sicht. Der Ton wird sogar noch schärfer - stehen die Verhandlungen vor dem Aus?

Wirf Brüssel wenig Kompromissbereitschaft vor: Michael Gove. Foto: Alastair Grant/AP/dpa

Wirf Brüssel wenig Kompromissbereitschaft vor: Michael Gove. Foto: Alastair Grant/AP/dpa

Die britische Regierung hat massiv mit einem Scheitern der Verhandlungen über den Brexit-Handelspakt gedroht. Die Chancen auf einen Deal seien gesunken.

Brüssel sei nicht kompromissbereit, sagte Staatsminister Michael Gove am Sonntag dem Sender Sky News. Er hatte die Chancen auf ein Abkommen nach der Brexit-Übergangsphase Ende des Jahres zuletzt auf 66 Prozent eingeschätzt. Jetzt sagte Gove: „Es ist weniger.“

Nun liege es am EU-Unterhändler Michel Barnier, ob ein Deal doch noch zustande komme. „Der Ball ist in seinem Spielfeld“, sagte Gove, der mit den Vorbereitungen auf ein Scheitern der Verhandlungen betraut ist. Die EU müsse ihre Haltung ändern. Barnier und der britische Unterhändler David Frost wollten in den kommenden Tagen über das weitere Vorgehen miteinander telefonieren, berichtete Gove weiter.

Premierminister Boris Johnson hat bereits mehrfach betont, dass Großbritannien auf einen No-Deal-Brexit vorbereitet sei. Viele Kommentatoren werten die barschen Töne aus London aber als Muskelspiel. Denn Großbritannien stehen sehr harte Zeiten bevor: Das Land muss starke wirtschaftliche Verwerfungen nicht nur bei einem No-Brexit-Deal fürchten, sondern auch wegen der Pandemie.

Der Zeitdruck, unter dem beide Seiten stehen, ist enorm: Denn ein Vertrag zwischen Brüssel und London müsste noch ratifiziert werden. Johnson hatte den 15. Oktober als Frist für eine Einigung gesetzt, die Brüssel ignorierte. Die EU will noch bis Ende Oktober verhandeln.

Ursprünglich hatte Barnier an diesem Montag für Gespräche in London sein wollen und angeboten, auch die darauffolgenden Tage intensiv weiterzuverhandeln. Ob es dazu kommt, war am Sonntag allerdings völlig unklar. Ein Sprecher der EU-Kommission wollte sich nicht zum Planungsstand äußern. Er verwies lediglich auf Ankündigungen vom Freitag, nach denen Barnier und Frost an diesem Montag über die „Struktur“ der weiteren Verhandlungen sprechen wollen.

Frost hatte hingegen nach dem EU-Gipfel mitgeteilt, Barnier solle am Montag nicht zu Gesprächen nach London kommen. Bedeutet das, dass die Tür für weitere Verhandlungen zugeschlagen ist? Gove sagte dazu im Sky-News-Interview: „Sie ist angelehnt.“

Großbritannien hatte die Staatengemeinschaft Ende Januar verlassen, ist aber bis Jahresende noch Mitglied im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Erst danach kommt der wirtschaftliche Bruch. Sollte keine Einigung zustande kommen, drohen schwere wirtschaftliche Verwerfungen. Der Handelspakt soll das verhindern. Die Verhandlungen kommen aber seit Monaten in einigen Bereichen nicht voran.

Hauptstreitpunkte sind der Zugang von EU-Fischern zu britischen Gewässern und die Forderung der Staatengemeinschaft nach gleichen Wettbewerbsbedingungen für die Wirtschaft, also gleiche Umwelt-, Sozial- und Subventionsstandards. Im Gegenzug soll Großbritannien Waren ohne Zoll und Mengenbeschränkung in den EU-Binnenmarkt liefern können. Dritter wichtiger Punkt für Brüssel sind Regeln zur Schlichtung für den Fall, dass eine Seite gegen den Deal verstößt.

Der britische Industrieverband CBI appellierte am Sonntag an beide Seiten, sich doch noch zu einigen. Ein No-Deal-Brexit und eine zweite Corona-Welle seien für die meisten Unternehmen nicht zu stemmen. Am Freitag senkte die US-Ratingagentur Moody's bereits die Kreditwürdigkeit Großbritanniens. Als Hauptgrund nannte die Agentur die nachlassende wirtschaftliche Stärke. Das Land befinde sich nach der Abstufung aber noch im Bereich sicherer Anlagen.

© dpa-infocom, dpa:201018-99-988788/3

Wirft Brüssel wenig Kompromissbereitschaft vor: Michael Gove. Foto: Aaron Chown/PA Wire/dpa

Wirft Brüssel wenig Kompromissbereitschaft vor: Michael Gove. Foto: Aaron Chown/PA Wire/dpa

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Erstellt:
18. Oktober 2020, 15:46 Uhr

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