Heftiges Ringen um Steuererhöhung

Abstimmungsmarathon im Backnanger Gemeinderat – Stadträte können sich erst auf die siebte Variante einigen

Der Gemeinderat hat die Grund- und Gewerbesteuer erhöht, die Stadt darf sich über Mehreinnahmen von 1,1 Millionen Euro freuen (wir berichteten). Unerfreulich war jedoch das Zustandekommen dieser Entscheidung, benötigten die Stadträte doch sieben Abstimmungsrunden und drei Beratungspausen, bevor sie sich einigen konnten.

Heftiges Ringen um Steuererhöhung

© Christian Horz - stock.adobe.com

Von Matthias Nothstein

BACKNANG. Die Debatte zog sich am Donnerstagabend schon weit über zwei Stunden lang hin, als OB Frank Nopper die Gefahr erkannte, dass es an diesem Tag unter Umständen keine Entscheidung mehr geben könnte. Und damit die Aufstellung des Haushalts 2020 schwierig oder gar unmöglich wäre. Zwei Abstimmungsrunden mit je drei Wahlvarianten waren ergebnislos geblieben. Die verärgerten BfB-Stadträte Charlotte Klinghoffer und Jörg Bauer forderten heftig gestikulierend, die Erhöhung zu verschieben, als Volker Dyken von den Backnanger Demokraten auch noch den Antrag stellte, den Tagesordnungspunkt zu vertagen. Er argumentierte, dass in sechs Runden keine Mehrheit gefunden werden konnte und dass man sich in der Kürze der Zeit nun nicht miteinander abstimmen könne. Er sei „zu so fortgeschrittener Stunde“ zu keiner Entscheidung mehr fähig.

Nopper hingegen wollte am Ende des Tages auf keinen Fall mit leeren Händen dastehen. Er plädierte für eine Entscheidung: „Ich glaube nicht, dass wir später schlauer sind.“ Auch Ute Ulfert (CDU) sprach sich gegen eine Vertagung aus: „Alle Argumente liegen auf dem Tisch.“ Sie erinnerte nochmals an die Auffassung, die von einer großen Mehrheit geteilt wurde, „wir müssen erhöhen“, und appellierte: „Wir sollten alle noch ein wenig aufeinander zugehen.“ So wurde Dykens Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.

Danach unterbrach Nopper die Sitzung zum inzwischen dritten Mal und bat die Fraktionsvorsitzenden zu sich nach vorne und beratschlagte erneut im kleinen Kreis. Dann lautete der Kompromissvorschlag, es war die inzwischen siebte Variante, die Grundsteuern A und B sollten von 385 auf jeweils 405 Punkte erhöht werden, die Gewerbesteuer auf 400 Punkte. Das würde Mehreinnahmen von 1,1 Millionen Euro für die Stadtkasse bedeuten. Nopper: „Dieser Kompromissvorschlag löst bei mir keine Glücksgefühle aus, aber damit können wir leben.“ Die große Mehrheit war dafür, nur die Stadträte des Bürgerforums und der AfD stimmten dagegen.

Zu Beginn der Sitzung hatte die Verwaltung mit Engelszungen für eine Erhöhung der Steuern geworben. Wenn auch mit keinem guten Gefühl. So sagte Nopper: „Es gibt Momente im Leben, in denen man sich am liebsten wegbeamen oder wegzaubern würde.“ Die aktuelle Sitzung zählte er dazu. Gleichzeitig verwies er darauf: „Wir müssen uns den Realitäten stellen.“ Bei einem Verzicht auf die Steuererhöhung würde die Stadt nämlich auf eine Neuverschuldung zulaufen, „die sich keiner gerade auch im Sinne der Generationengerechtigkeit wünschen kann“.

Kämmerer Alexander Zipf lenkte das Augenmerk nochmals darauf, dass die Einnahmen der Stadt aus dem Finanzausgleich seit Jahren kontinuierlich steigen. Zipf: „Man könnte meinen, die Stadt habe in den vergangenen Jahren viele liquide Mittel ansparen können. Das ist aber beileibe nicht der Fall.“ Zipf nannte nur zwei Beispiele, die all diese Mehreinnahmen kompensieren: Der riesige Abmangel bei den Kindertagesstätten aufgrund der geänderten gesetzlichen Anforderungen und die notwendigen Ausgaben im Schulbereich. Der gesamte Überschuss bei den Einnahmen ist laut Zipf von diesen beiden Bereichen kompensiert worden. Erster Bürgermeister Siegfried Janocha versuchte, die anvisierte Erhöhung zu relativieren. Er rechnete vor, dass die Erhöhung der Grundsteuer laut Verwaltungsvorschlag – von 385 auf 420 Punkte – für den Besitzer einer Eigentumswohnung etwa 7 Euro im Jahr betrage, für den Eigentümer eines durchschnittlichen Einfamilienhauses etwa 30 Euro. Dagegen würde die Reduzierung bei den Abwassergebühren, die für 2020 zu erwarten ist, zum Beispiel im Schnitt 20 Euro pro Haushalt ausmachen. Janocha: „Unterm Strich hat der Bürger keine Mehrbelastung. Man denkt immer, Wunder was für Beträge es sind, aber wir bewegen uns im Bereich von ein bis zwei Bierkästen.“ Auch bei der Gewerbesteuer relativierte Janocha: „Kleine Handwerksbetriebe liegen ohnehin unter den Freibeträgen und zahlen keine Gewerbesteuer. Wir treffen in erster Linie die größeren Betriebe, und ich glaube, die können das verkraften.“

Fast alle Stadträte waren gewillt, die Erhöhung mitzutragen, wenn auch ohne Begeisterung. Charlotte Klinghoffer forderte jedoch eine Erhöhung mit Augenmaß: „Wir wären das Schlusslicht im Landkreis.“ Auf jeden Fall sollte bei der Gewerbesteuer ein Wert unter 400 Punkten angestrebt werden. Nopper bestätigte: „Das Signal, den höchsten Hebesatz im Kreis zu verlangen, missfällt auch mir. Mit mir kann man auch 395 Punkte machen. Aber dann müssen wir bei der Grundsteuer den Wert auf 435 Punkte erhöhen. Wir brauchen die 1,3 Millionen Mehreinnahmen, darunter können wir es nicht machen.“ Janocha wehrte sich über den Vergleich mit anderen Kommunen im Umland: „Wir haben als Schulstandort ganz andere Aufgaben. Die Kosten in diesem Bereich werden uns bei Weitem nicht ersetzt.“ Auch Willi Härtner (Grüne) zeigte Verständnis für die Erhöhung, er forderte eine Anhebung auf 405 Punkte für alle drei Steuern. So könnte sich bei den Menschen das Gefühl der Gleichberechtigung einstellen. Wie Härtner betonte auch Heinz Franke (SPD) die anstehenden Zukunftsprojekte und erklärte: „Die Investitionen sind kein Luxus, sondern schiere Notwendigkeit und wichtige Standortfaktoren.“ Nopper stellte klar, dass die Erhöhung nicht den Investitionen wie dem Neubau der Euerle-Halle oder dem Projekt Bahnhof geschuldet sind, sondern dass es nur darum geht, die Aufwendungen des laufenden Haushalts auszugleichen.

Franke plädierte wie Härtner und später Pia Täpsi-Kleinpeter (SPD) ebenfalls für die Anhebung auf 405 Punkte, „weil es der Stadt gut tut“. Ursprünglich wollte auch Sabine Kutteroff für den „paritätischen Wert“ 405 stimmen. „Aber ich habe mich schlaugemacht und glaube, wir sollten die Gewerbesteuer auf maximal 395 erhöhen, damit sie in Zeiten, in der es der Wirtschaft nicht so gut geht, die 400er-Marke nicht reißt.“ Täpsi-Kleinpeter rechnete vor, dass die Anhebung der Steuer nach dem Vorschlag der Verwaltung für Mieter und Hauseigentümer eine Steigerung um 10 Prozent bedeuten würde, für Gewerbetreibende aber nur 3,8 Prozent. „Das ist den Bürgern nicht vermittelbar.“ Ganz gegen eine Erhöhung war Lutz-Dietrich Schweizer (CIB). Da er bei der Sitzung fehlte, trug Fraktionskollegin Meike Ribbeck seine Auffassung vor. Die Anhebung sei unnötig, weil sich die Haushaltslage wie in der Vergangenheit immer im Laufe des Jahres wieder beruhige. Ribbeck selbst teilte die Auffassung nicht: „Mir erscheint die Erhöhung einleuchtend.“ Strikt dagegen war Steffen Degler (AfD): „Es ist nicht richtig, am Beginn einer Rezession Steuern zu erhöhen.“ Er plädierte dafür, den Ausbau des Bahnhofs zu verschieben. Fraktionskollege Michael Malcher wollte wissen, wie es bei der Kita-Betreuung innerhalb von zehn Jahren zu einer Kostensteigerung von 4,4 auf 12,7 Millionen Euro kommen konnte. „Wie konnte das so aus dem Ruder laufen?“ Nopper erklärte, in dieser Zeit seien der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Einjährige und auf Ganztagsbetreuung eingeführt worden. „Da ist nichts aus dem Ruder gelaufen, sondern es war der bewusste politische Wille.“

Die erste Abstimmung, alle Steuern auf 405 Punkte zu erhöhen, scheiterte knapp. Elf Jastimmen standen elf Neinstimmen entgegen. Der Antrag wurde mit Stimmengleichheit abgelehnt. Der Verwaltungsvorschlag fiel sodann krachend durch, nur Nopper stimmte dafür. Und auch vier weitere Varianten erhielten keine Mehrheit. Erst die siebte.

Kommentar
Kein Ruhmesblatt

Von Matthias Nothstein

John Bercow, der Sprecher aus dem britischen Unterhaus mit dem legendären „Order!“-Ruf hätte sich im Backnanger Gremium sicher wohlgefühlt. In der Abstimmungsphase ging es zu wie auf einen orientalischen Teppichmarkt.

Es ehrt die Stadträte zwar, dass sie um den richtigen Weg und einen Kompromiss zum Wohle der Stadt ringen. Dass sie diskutieren und Argumente abwägen. Irgendwann aber driftete dieses Ringen ins Gefeilsche ab, und das ist weniger ruhmreich. Da wurde um Prozentpunkte gekämpft, als würde davon die komplette Existenz der Murr-Metropole abhängen. Jeder versuchte seine Idee durchzuboxen. Auch wenn die Unterschiede nur marginal waren, galt Uneinigkeit bis zum Letzten. Da halfen keine Beratungspausen und keine Lösungsversuche auf dem Flur. Die Höhen der Hebesätze wurden gehandelt wie Aktien an der Börse. Grundsteuer rauf, Gewerbesteuer runter. Oder umgekehrt. Alles, nur keine 4 als erste Ziffer. Und ja nicht mit den Falschen abstimmen, auch wenn man inhaltlich nicht weit auseinanderliegt. Welch eine Außenwirkung! Der Abend war wahrlich kein Ruhmesblatt für das Stadtparlament. Als Zuhörer hätte man sich gewünscht, dass irgendwann einer „Order“ brüllt.

m.nothstein@bkz.de

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Erstellt:
16. November 2019, 06:00 Uhr

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