Machtkampf in der Türkei

Hexenjagd gegen Erdogans Gegner

Der türkische Oppositionsführer Özgür Özel behauptet sich als hartnäckiger Widersacher des autokratischen Präsidenten. Er nennt ihn einen „Junta-Chef“.

Selbstbewusst: der türkische Oppositionsführer Özgür Özel.

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Selbstbewusst: der türkische Oppositionsführer Özgür Özel.

Von Susanne Güsten

Der türkische Oppositionsführer Özgür Özel hat in den letzten Monaten viel durchgemacht. Sein Präsidentschaftskandidat Ekrem Imamoglu und Dutzende andere Politiker seiner Partei CHP wurden ins Gefängnis gesteckt, einige Bürgermeister wechselten unter diesem Druck zur Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Doch Özel erweist sich als hartnäckiger Gegner des Präsidenten. Er bringt bei regelmäßigen Protestkundgebungen hunderttausende Menschen auf die Straßen und greift Erdogan als „Junta-Chef“ an.

Am Wochenende ließ sich Özel bei einem Sonderparteitag als Chef der CHP bestätigen. Somit hat er sich damit zum Hauptgegner Erdogans gemausert. Trotz des demonstrativen Rückhalts aus den Reihen der Opposition ist er bei seinen Parteigängern nicht völlig unumstritten ist. Das zeigte eine relativ hohe Zahl von 82 ungültigen Stimmen, die als Protestvoten zu verstehen sind: In der CHP stehen die Erneuerer um Özel und Imamoglu den Traditionalisten um den früheren Parteichef Kemal Kilicdaroglu gegenüber.

Kampf für die Demokratie in der Türkei

Özel versprach den Delegierten, er werde kämpfen, bis die Türkei eine „gerechte und demokratische Ordnung“ erhalte. Das ist seine wichtigste Botschaft seit Imamoglus Verhaftung im März.

Zusammen hatten der gelernte Apotheker Özel und Imamoglu die CHP für neue Wählerschichten geöffnet und die Partei damit bei den Kommunalwahlen 2024 zur stärksten politischen Kraft der Türkei gemacht. Erdogan ließ seinen Herausforderer Imamoglu wegen angeblicher Korruption von der Polizei abholen, wenige Tage später in Untersuchungshaft einkerkern und als Bürgermeister absetzen. Seitdem sind viele weitere CHP-Bürgermeister aus ihren Ämtern entfernt worden. Die AKP bewegte zudem einige prominente CHP-Politiker zum Übertritt; Özel wirft Erdogan vor, die Abweichler mit der Androhung von Strafverfahren erpresst zu haben. Auch gegen ihn selbst ermittelt die regierungstreue Justiz. Staatsanwaltschaft und Dissidenten aus der eigenen Partei sagen, Özel habe seine erste Wahl zum Parteichef 2023 mit Stimmenkauf erschlichen. Das Verfahren, bei dem am 24. Oktober ein Urteil erwartet wird, könnte mit der Absetzung Özels als CHP-Chef enden.

Özel lässt sich nicht aus dem Weg räumen

Der aus dem westtürkischen Manisa stammende Politiker lässt sich davon bisher nicht beeindrucken. Er zieht weiter über die Marktplätze des Landes und prangert die juristische Hexenjagd gegen seine Partei an. Sollte Erdogan vorgehabt haben, die CHP mit Korruptionsvorwürfen und öffentlich ausgetragenen Streitereien bei den Wählern unbeliebt zu machen, ist er zumindest bisher gescheitert. In den Umfragen liegt die CHP knapp vor Erdogans AKP und weit über ihrem Ergebnis der Parlamentswahl 2023.

Erdogan treibe „die türkische illiberale Demokratie auf der Überholspur voran“, sagt Hüseyin Cicek, Türkei-Experte an der Universität Wien. Özel habe sich eindeutig positioniert. Sein Protest gegen die Festnahme Imamoglus signalisiere Führungsstärke.

Inzwischen wird spekuliert, ob Özel selbst die Präsidentschaftskandidatur anstreben könnte, falls Imamoglu in Haft bleiben und auch der ebenfalls beliebte Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavas, kaltgestellt werden sollte. Özel ist für die Regierung nicht so leicht aus dem Weg zu räumen, weil der CHP-Chef als Parlamentsabgeordneter durch seine Immunität geschützt wird. Özel weist jedoch alle Präsidentschaftsambitionen von sich und wirbt weiter für Imamoglu. Im Fernsehsender Sözcü-TV ließ er sich jedoch eine Hintertür offen. Seine Partei werde einen Politiker aufs Schild heben, „der die Wahl gewinnen kann“.

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Erstellt:
22. September 2025, 15:30 Uhr

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