Hightechbetrug bei Führerscheinprüfung

Wegen Tricksereien prüft der Tüv in Winnenden künftig nicht mehr – Helfer kommunizieren per Funk mit den Prüflingen

Spicken war gestern. Wer heutzutage in einer Prüfung tricksen will, überbrückt seine Wissenslücken mit modernster Technik. Bei den theoretischen Führerscheinprüfungen in Winnenden haben diese Betrugsversuche zuletzt so stark zugenommen, dass der Tüv Süd seinen Prüfungsstandort dort aufgibt.

Die Fragen der Theorieprüfung können manche Führerscheinbewerber nur mit fremder Hilfe beantworten. Foto: Adobe Stock/Sauerlandpics

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Die Fragen der Theorieprüfung können manche Führerscheinbewerber nur mit fremder Hilfe beantworten. Foto: Adobe Stock/Sauerlandpics

Von Bernhard Romanowski

WINNENDEN/BACKNANG. Als technische Prüforganisation ist der Tüv Süd nicht nur mit hoheitlichen Aufgaben auf den Gebieten der Kfz-Überwachung und der Geräte- und Produktsicherheit befasst, sondern auch mit dem sogenannten Fahrerlaubniswesen, sprich: den Führerscheinprüfungen. Bei den theoretischen Tests an den Standorten in Backnang, Fellbach und Schorndorf werden sich ab der ersten Aprilwoche die Zeiten und die Teilnehmerzahl ändern, wie den Fahrschulen im Rems-Murr-Kreis jüngst mitgeteilt wurde. Den Standort Winnenden gibt der Tüv Süd dafür auf. Der Grund: Dort hätten sich die Betrugsversuche im vergangenen Jahr derart gehäuft, dass an einigen Tagen das interne WLAN-Netz der Prüfer nicht mehr funktionierte. Außerdem seien Prüfer bedroht worden, sodass sie sich nicht mehr sicher fühlten.

Zusammenbrechende Netze und Wildwestmethoden in Winnenden? Ein Anruf in München soll Aufklärung bringen. „Die Situation in Winnenden ist tatsächlich einzigartig in unserem Einzugsgebiet. Das kennen wir so sonst gar nicht“, gibt Vincenzo Lucà von der Pressestelle des Tüv Süd zu verstehen. In Winnenden hatte sich der Tüv in einem früheren Hotel eingemietet. Anders als an anderen Standorten liege der Saal, in dem die Fahrschüler über den Fragen der Theorieprüfung brüten, recht nah an der Straße. Damit sei es auch für Personen, die nicht zum Kreis der Prüflinge gehören, einfach, dem Geschehen ziemlich nahe zu kommen. Und zwar so nahe, dass sie sich mit Laptops in das lokale WLAN-Netz einklinken können.

Mehr Kapazitäten in Backnang, Fellbach und Schorndorf

Auf diese Weise haben sich regelmäßig „Helfer“ mit einem oder mehreren Prüfungsteilnehmern im Saal verbunden und von draußen die richtigen Antworten auf die Prüfungsfragen übermittelt. So etwas funktioniert zum Teil über winzige Kameras, die ein Prüfling unauffällig an seiner Kleidung angebracht hat, um damit die Fragen zu filmen und via Internet zu übertragen. Das WLAN im Winnender Tüv-Standort sei dadurch immer wieder mal überlastet gewesen, erklärt Pressesprecher Lucà weiter. Die internetgestützten Geräte im Prüfungssaal verweigerten dann ihren Dienst.

„Wenn Sie ein, zwei schwarze Schafe im Saal sitzen haben, die auf diese Weise zu betrügen versuchen, dann zieht das alle anderen in Mitleidenschaft“, so Lucà. Denn die Prüfung müsse dann selbstverständlich abgebrochen werden. Die Betrugsversuche in Winnenden stiegen etwa Mitte des vergangenen Jahres stark an. Vorher war viele Jahre lang ein Prüfer für die Theoriedurchgänge dort zuständig gewesen, die jeweils 14-täglich mit jeweils 30 Teilnehmern pro Durchgang stattfanden. Dann wurde dem Mann noch ein Kollege zugeteilt, um Kontrollgänge auf dem Flur und im Umfeld des Prüfungssaals zu machen. Dort ertappten die Prüfer Personen, die sich dort aufhielten, hektisch ihr Laptop zuklappten und verschwanden.

Spätestens aber als eine Prüferin dann bei einem Rundgang von diesen „Assistenten“ außerhalb des Prüfungsraums verbal massiv angegangen wurde, bestand dringender Handlungsbedarf. Zu Drohungen gegen Leib und Leben, wie das an anderen Standorten in Deutschland in den vergangenen Jahren der Fall gewesen sein soll, kam es dabei aber wohl nicht, wie der Tüv-Sprecher sagt.

Eine Gebührentabelle zu der Frage, wie viel sich die Betrugshelfer ihre Dienste kosten lassen, wird man nirgends finden. Schätzungen von Milieukennern gehen aber von rund 3000 bis 5000 Euro für eine erfolgreiche Prüfung aus, die auf solche Weise abgelegt wird. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll es Fahrschulen in Stuttgart geben, die ihre Kunden gezielt zu solchen Standorten wie in Winnenden schicken, wo sie aufgrund der technischen Gegebenheiten eine Erfolgsaussicht für ihr ganz besonderes Angebot haben. Denn die Fahrschüler sind nicht ortsgebunden bei der Wahl des Standorts für ihre Theorieprüfung.

Der Tüv hatte derweil versucht, einen anderen adäquaten Standort in Winnenden zu finden, was aber laut Lucà wohl nicht von Erfolg gekrönt war. Durch die Entwicklung dort wären die Prüfungen irgendwann nur noch mit einem sehr hohen personellen Aufgebot zu bewerkstelligen gewesen. Das wäre auf Dauer keine tragbare Situation gewesen, so die einhellige Meinung der Tüv-Verantwortlichen. Diese Form von Betrug in einer Führerscheinprüfung sei zudem keine Straftat im juristischen Sinne. Sie wird nur mit einer Prüfungssperre von sechs Wochen geahndet. Lucà: „Die Polizei kann man dafür nicht rufen.“

Durch die neue Regelung der Standorte sei Winnenden zwar erst einmal schlechter gestellt. Kompensiert werde das aber über den Ausbau der Kapazitäten an den anderen Standorten im Rems-Murr-Kreis (siehe Infokasten). Lucà: „Wir schaffen es so, pro Monat 100 Prüfungen mehr anzubieten an besser erreichbaren Standorten.“

Info

Ab Montag, 6. April, ändern sich die Termine und Durchgänge für die theoretische Führerscheinprüfung: In Backnang werden dann die Durchgänge mit 15 (statt wie bisher zehn) Bewerbern durchgeführt. Beginn ist nach wie vor dienstags um 8 Uhr, die Taktung der Durchgänge liegt wie bislang bei 45 Minuten.

Im Bereich Fellbach wird künftig dienstags Prüfungstag sein. Ab , 7. April beginnen die Durchgänge ab 13 Uhr am neuen Standort im Erdgeschoss (Raum 03) der Volkshochschule, Eisenbahnstraße 23. Die Prüfungen werden zu je 20 Teilnehmern im Stundentakt durchgeführt.

Am Standort Schorndorf bietet der Tüv Süd ab April zusätzliche Theorieprüfungsdurchgänge an. Der Zeitraum wird sich hier jeweils nach dem aktuellen Bedarf richten. Der Montag bleibt als Prüfungstag unverändert.

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Erstellt:
14. März 2020, 06:00 Uhr

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