Holpriger Start in eine gemeinsame Zukunft

50 Jahre Gemeindereform: Vor einem halben Jahrhundert wurde Sechselberg mitsamt seinen Teilorten in die Gemeinde Althütte eingemeindet. Der Zusammenschluss verlief nicht reibungslos.

Friedrich Heinle vor dem Bürgerhaus Sechselberg. Er kann sich noch gut an den schwierigen Prozess vor Ort im Zusammenhang mit der Gemeindereform erinnern. Foto: J. Fiedler

© Jörg Fiedler

Friedrich Heinle vor dem Bürgerhaus Sechselberg. Er kann sich noch gut an den schwierigen Prozess vor Ort im Zusammenhang mit der Gemeindereform erinnern. Foto: J. Fiedler

Von Annette Hohnerlein

ALTHÜTTE. Vor gut 50 Jahren war Sechselberg mit seinen Teilorten noch eine eigenständige Gemeinde. Am 1. Juli 1971 erfolgte die Eingemeindung nach Althütte. Der Start in die gemeinsame Zukunft geriet etwas holprig. Vor allem in Fautspach, das damals zu Sechselberg gehörte, gab es Widerstand.

Gotthold Muff war damals Gemeinderat in Sechselberg und hat noch viele Erinnerungen an diese Zeit. Der 85-Jährige berichtet von der uneinheitlichen Stimmung in der Gemeinde. „Die Sechselberger tendierten teils zum Weissacher Tal, teils zu Althütte, die Fautspacher zu Murrhardt, Waldenweiler war gespalten.“ Nachdem die Entscheidung für Althütte gefallen war, wollte Muff bei der Wahl des neuen Gemeinderats 1972 nicht mehr kandidieren. Aber er hat die weitere Entwicklung verfolgt und findet, dass sich in den folgenden Jahrzehnten einiges zum Positiven für Sechselberg entwickelt hat. Er nennt die Erschließung eines neuen Baugebiets, den Anschluss der noch fehlenden Häuser an die Kanalisation und den Umbau des ehemaligen Rathauses zum Bürgerhaus.

Auch Friedrich Heinle kann sich noch gut an den schwierigen Prozess der Zusammenfindung erinnern. Ab 1968 gehörte der heute 85-Jährige für 26 Jahre dem Althütter Gemeinderat an. Auch er zieht heute eine positive Bilanz: „Der Zusammenschluss war gut für beide Seiten; man hätte nicht selbstständig bleiben können. Die Verwaltung musste effektiver werden.“ Die Missstimmung in Teilen der Bevölkerung habe aber noch eine ganze Weile angehalten, so Heinle: „Manche Bürger waren weiterhin dagegen, weil sie gemeint haben, sie kommen zu kurz. Aber im Allgemeinen ist es gut angenommen worden.“ Nach der Eingemeindung habe es noch eine Zeit lang eine Zweigstelle der Verwaltung in Sechselberg gegeben, die an bestimmten Tagen geöffnet war. Als aber im Lauf der Zeit immer weniger Bürger in die Sprechstunde kamen, sei das Angebot eingestellt worden.

Die baden-württembergische Gemeindereform zwischen 1968 und 1975 hatte das Ziel, durch den Zusammenschluss von Gemeinden größere Einheiten zu schaffen und damit die Verwaltungen zu stärken. Außerdem sollten dadurch gleichwertige Lebensverhältnisse für die Bürger geschaffen werden. Gemeinden, die sich freiwillig zusammenschlossen, konnten ihre Partner und die Bedingungen der Fusion frei bestimmen, außerdem gab es Zuschüsse von der Landesregierung. Im Falle von Althütte und Sechselberg ging es dabei um 800000 D-Mark. Der Sechselberger Gemeinderat führte Gespräche mit Althütte, Murrhardt und den Gemeinden im Weissacher Tal. Einig wurde man sich schließlich mit der Verwaltung in Althütte, der Gemeinderat gab eine entsprechende Empfehlung ab. Am 23. Mai 1971 wurde in Sechselberg und seinen Teilorten eine Bürgeranhörung durchgeführt. Dabei entfiel eine Mehrheit von über 58 Prozent der abgegebenen Stimmen auf ein Zusammengehen mit Althütte. Nur vier Tage später, am 27. Mai 1971, unterzeichneten die Bürgermeister Walter Sipple von Althütte und Peter Beck von Sechselberg im Gasthaus Rößle in Waldenweiler den Eingliederungsvertrag. „Die Entscheidung eines Gemeinderats, seine Gemeinde, die viele Hundert Jahre selbstständig war, aufzugeben, ist nicht leicht“, erklärte Sipple bei dieser Gelegenheit und mahnte: „Miteinander und nicht gegeneinander ist die Grundvoraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung unserer neuen Gemeinde.“

Ein besonderer Passus in der Vereinbarung betraf Fautspach. Darin wird dem Ort das Recht eingeräumt, sich Murrhardt anzuschließen, falls sich die Bürger mehrheitlich dafür aussprechen. Denn das Dorf hatte sich immer schon in Richtung Murrhardt orientiert. Viele Fautspacher arbeiteten dort, man ging dorthin in die Kirche, die Kinder wurden dort konfirmiert. Am 7. November 1971 wurde daher eine Bürgeranhörung im Ort durchgeführt mit der Fragestellung: „Sind Sie für eine Eingliederung des Teilortes Fautspach nach Murrhardt?“ Und tatsächlich votierte eine Mehrheit der Bürger dafür, sich Murrhardt anzuschließen. Daraufhin wurden Verhandlungen über die Umgemeindung aufgenommen, bei denen es unter anderem um die zuständige Schule für die Fautspacher Kinder und die Kosten der Wasserversorgung ging.

Unterdessen beantragten jedoch 43 Fautspacher Bürger eine nochmalige Abstimmung. Der Gemeinderat gab grünes Licht, und am 4. Juni 1972 hatten die Bürger nochmals die Wahl. Dieses Mal fiel das Ergebnis anders aus: 43 Bürger stimmten für Althütte, 41 für Murrhardt. Der Gemeinderat entschied, dass diese zweite Anhörung maßgeblich ist und Fautspach damit bei Althütte bleibt. Die unterlegenen Murrhardt-Befürworter klagten gegen dieses Vorgehen beim Verwaltungsgericht, zogen dann aber ihre Klage wieder zurück.

Eine Bürgerin aus Fautspach, die nicht genannt werden will, kann sich noch gut an diese turbulenten Zeiten erinnern. Sie erzählt von einem Riss, der teilweise mitten durch die Familien ging, von einer Spaltung des Dorfes, von Beeinflussung, uneingelösten Versprechen und von einer „Eingliederung über’s Hintertürle“. Obwohl diese Auseinandersetzung das Dorf noch lange entzweit habe, hätten sich die Menschen schließlich mit der Entscheidung abgefunden. „Es hat dann nach der Eingemeindung alles gepasst“, resümiert die Zeitzeugin versöhnlich.

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Erstellt:
9. August 2021, 06:00 Uhr

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