Homöopathie in der Diskussion: Sollte jeder selbst bezahlen?

Wenn es hilft, dann hilft es. Da sind sich die befragten Backnanger Apotheker und die Ärztin Bettina Jarcke-Nobis einig. Strittig ist aber, ob homöopathische Behandlungen von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden sollten. Das könnte nämlich bald verboten sein.

Die Backnanger Allgemeinmedizinerin Bettina Jarcke-Nobis ist für Homöopathie spezialisiert. Sie hält es für ein falsches gesundheitspolitisches Signal, die Erstattung der alternativen Heilmittel durch die gesetzlichen Kassen zu verbieten. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Die Backnanger Allgemeinmedizinerin Bettina Jarcke-Nobis ist für Homöopathie spezialisiert. Sie hält es für ein falsches gesundheitspolitisches Signal, die Erstattung der alternativen Heilmittel durch die gesetzlichen Kassen zu verbieten. Foto: Tobias Sellmaier

Von Anja La Roche

Backnang. Ein heiß diskutiertes Thema in Deutschland ist derzeit, inwiefern die Homöopathie politisch unterstützt werden soll. Nun hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entschieden, die Kostenerstattung homöopathischer Mittel durch die gesetzlichen Krankenkassen zu überprüfen. Bislang dürfen die Kassen selbst darüber entscheiden, die umstrittenen Pillen im Rahmen sogenannter Satzungsleistungen zu übernehmen (siehe Infobox). „Obwohl die Homöopathie vom Ausgabenvolumen nicht bedeutsam ist, hat sie in einer wissenschaftsbasierten Gesundheitspolitik keinen Platz“, sagte Lauterbach dem Spiegel. In der Bevölkerung findet das alternative Heilverfahren allerdings großen Zuspruch. So befürworten laut einer Forsa-Umfrage im Jahr 2017 über 70 Prozent der Befragten eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Kassen. Unsere kleine Instagram-Umfrage bestätigt das Ergebnis: 68 Prozent der Teilnehmer wollen die bisherige Regelung beibehalten. Das entspricht 142 von insgesamt 210 Stimmen.

Verweis auf positive Erfahrungen

Auch der Inhaber der Schiller- und Rafaelapotheke in Backnang, Volker Müller, empfindet es als falsch, den gesetzlichen Kassen diese Möglichkeit zu nehmen. Wie die meisten Apotheken hat er auch Homöopathika im Sortiment. „Es gibt Personen, die sich damit beschäftigen und die sich mit den Präparaten wohlfühlen. Bei manchen Sachen hilft es einfach“, sagt Müller. Man könne die Wirkung zwar nicht wissenschaftlich nachweisen, aber es gebe nun mal viele positive Erfahrungen mit den Heilmitteln. „Die Homöopathie gehört genauso zur Medizin wie alles andere.“

Thomas Förster kritisiert die Erstattung

Der Apotheker Thomas Förster sieht das etwas anders als sein Kollege. Auch er verkauft und berät seine Kunden zu Homöopathika. „Wenn es hilft, ist es ja eh immer gut“, findet der Inhaber der Johannesapotheke. Die Kostenübernahme durch die GKVs sieht er dennoch kritisch, weil die wissenschaftliche Basis fehle. „Die Erstattung muss nicht sein“, sagt Förster. Der Apotheker bejaht also Lauterbachs Plan. Für ihn ist das politische Dilemma aber eher ein unbedeutendes. „Die Kosten gehen gegen null“, sagt er. Unter fünf Prozent der von ihm verkauften Medikamente seien homöopathischer Natur. Und davon würden so gut wie keine über die Krankenkasse abgerechnet.

Umfrage

Sollen die gesetzlichen Krankenkassen weiterhin die Kosten für homöopathische Mittel erstatten?

590 abgegebene Stimmen

Frage der Schwerpunkte im Gesundheitssystem

Die Backnanger Ärztin Bettina Jarcke-Nobis ist entschieden dafür, dass die Kassen homöopathische Mittel weiterhin erstatten dürfen. Ihre Praxis spare durch die ergänzende Anwendung von Homöopathie sogar an Ausgaben für Arzneimittel. Es gehe ihr aber nicht um die Kosten, „sondern eher um die Frage, welche Schwerpunkte wir in unserem Gesundheitssystem setzen wollen.“ Für die Allgemeinmedizinerin mit der Zusatzbezeichnung Homöopathie ist das Thema eine „Herzensangelegenheit“, wie sie betont. Vielen Patienten könne sie damit weiterhelfen und im Idealfall Antibiotika vermeiden. Als Teil der sogenannten integrativen Medizin stelle die Homöopathie die Anliegen des einzelnen Menschen in den Mittelpunkt: Welche Therapieformen ist erwünscht und geeignet? Die Schulmedizin würde dabei nicht außen vor gelassen, es gehe um sich ergänzende Verfahren.

Wissenschaftliche Belege fehlen

Aber wenn doch mit wissenschaftlichen Methoden nie eine Wirkung nachgewiesen werden konnte, die über den Placebo-Effekt hinaus geht? „Die Wirkung wurde aber auch nie falsifiziert“, antwortet Jarcke-Nobis – und individuelle Erfolge würden sich ja durchaus beobachten lassen. Für die Ärztin steht allerdings ein anderes Argument im Vordergrund: „Den Patienten sollte die freie Wahl zugestanden werden, welche Behandlung sie bevorzugen. Sie sind schließlich auch Beitragszahler.“ Sie sollten sich eine ihren Bedürfnissen entsprechende Krankenkasse aussuchen können. „Nachdem es sich um eine Satzungsleistung handelt, sehe ich bei Lauterbachs Plänen eine Einflussnahme auf die freie Entscheidung der gesetzlichen Krankenversicherungen.“ Die Versicherungen könnten schließlich auch darüber entscheiden, ob sie etwa die Kosten einer Hebamme oder einer Zahnvorsorge finanzieren wollen. Die erlaubte Rückerstattung von homöopathischen Mitteln durch die GKVs seien sowieso gedeckelt. Die AOK Baden-Württemberg übernimmt derzeit beispielsweise bis zu 200 Euro für eine homöopathische Behandlung pro Jahr. Voraussetzung dafür ist eine Verordnung von einem Vertragsarzt mit nachgewiesener homöopathischer Zusatzqualifikation.

Kritik vonseiten der AOK

Die Versicherung möchte von ihrem Angebot künftig nur ungern abweichen. „Der Minister Lauterbach stellt unseren Gestaltungsspielraum mit Hinweis auf Belastungen für die Solidargemeinschaft infrage. Die nachweisbaren Belastungen liegen aber weit unterhalb der Kosten, die andere therapeutische Maßnahmen verursachen würden“, teilt Nina Lägel, Sprecherin bei der AOK Ludwigsburg-Rems-Murr mit. Die IKK classic erstattet ebenfalls homöopathische Behandlungen, hält sich mit Kritik aber zurück. „Da die gesetzlichen Krankenkassen nach dem Willen des Gesetzgebers im Wettbewerb zueinander stehen, halten viele Kassen zusätzliche Angebote vor, um Marktnachteile zu verhindern. Diese Rahmenbedingungen zu ändern, ist Aufgabe der Politik“, teilt eine Sprecherin mit.

Homöopathie als Satzungsleistung

Homöopathie Als Arzneimittel werden Substanzen als Globuli, Tabletten oder Tropfen verabreicht. Die Annahme: Je stärker der Wirkstoff verdünnt ist, desto tiefer fällt die Heilungsreaktion des Kranken aus. Die Wirkstoffe sind natürlichen Ursprungs, also aus Mineralien, Pflanzen, Tieren und Tierprodukten.

Geschützter Beruf Die Zusatzbezeichnung Homöopathie können ausschließlich Ärzte erwerben, die eine Facharztausbildung abgeschlossen haben.

Satzungsleistungen Mit der „Modernisierung“ der Kassen 2004 durften GKVs rezeptfreie Arzneimittel nicht mehr erstatten. 2012 hat sich das geändert: bis zu einem gedeckelten Festbetrag können sie eine Rückerstattung anbieten, sogenannte Satzungsleistungen.

Geringe Kosten Der Kostenanteil an homöopathischen Arzneimitteln für GKVs ist gering, bei etwa 0,02 Prozent gemessen an den gesamten Arzneimittelausgaben. Bei der AOK Baden-Württemberg waren es 2020 etwa 0,029 Prozent.

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Erstellt:
21. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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