Proteste gegen Sicherheitsgesetz für Hongkong

dpa Hongkong/Peking/London. Das neue Sicherheitsgesetz gibt Chinas berüchtigter Staatssicherheit freie Hand in Hongkong. Die Empörung ist groß. Die Ex-Kolonialmacht Großbritannien bietet Millionen Hongkongern jetzt einen Ausweg an.

Demonstranten protestieren am 23. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China. Foto: Vincent Yu/AP/dpa

Demonstranten protestieren am 23. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an China. Foto: Vincent Yu/AP/dpa

Als Reaktion auf das drastische chinesische Sicherheitsgesetz für Hongkong bietet die ehemalige Kolonialmacht Großbritannien bis zu drei Millionen ehemaligen Untertanen in der Metropole die Einbürgerung an.

Tausende Hongkonger protestierten gegen das Inkrafttreten des Gesetzes am 23. Jahrestag der Rückgabe der früheren britischen Kronkolonie 1997 an China. Es gibt Chinas Organen weitreichende Vollmachten in der eigentlich autonomen Sonderverwaltungsregion.

Die Polizei ging mit Tränengas, Wasserwerfern und Pfefferspray vor, um die nicht genehmigten Proteste sofort im Keim zu ersticken. Mehr als 300 Demonstranten wurden festgenommen. Die erste Festnahme nach dem neuen Gesetz galt einem jungen Mann, der eine Flagge mit dem Ruf nach einer Unabhängigkeit Hongkongs gezeigt hatte.

Das Sicherheitsgesetz ist noch schärfer ausgefallen als erwartet. Als Höchststrafe ist lebenslange Haft vorgesehen. Obwohl den sieben Millionen Hongkongern bei dem Souveränitätswechsel 1997 Freiheitsrechte und Autonomie garantiert worden waren, können chinesische Staatssicherheitsorgane in Hongkong künftig eigenmächtig Ermittlungen ausführen und Rechtshoheit ausüben.

Der britische Premierminister Boris Johnson sah einen „deutlichen und ernsten Bruch“ der gemeinsamen Vereinbarung über die Rückgabe Hongkongs. Das Gesetz verletzte Hongkongs Autonomierechte und stehe im Widerspruch zum Grundgesetz der Sonderverwaltungszone, sagte Johnson. London werde nun seine Drohung wahr machen, ehemaligen Untertanen in Hongkong einen Weg zur Staatsbürgerschaft zu ebnen.

Bislang können sich Bürger Hongkongs bis zu sechs Monate ohne Visum in Großbritannien aufhalten, wenn sie den Status eines British National Overseas (BNO) haben. Derzeit haben rund 350 000 Hongkonger einen solchen Ausweis. Theoretisch wären aber knapp drei Millionen berechtigt, einen solchen Pass zu beantragen. Sie sollen auch länger in Großbritannien bleiben dürfen - mit Aussicht auf Einbürgerung.

Das britische Angebot wird für neue Spannungen mit Peking sorgen, das die Pläne schon im Vorfeld als „Einmischung“ zurückgewiesen hat. „Alle Landsleute, die in Hongkong wohnen, sind chinesische Staatsbürger“, hatte Außenamtssprecher Zhao Lijian betont.

Nach dem neuen Gesetz ist in Hongkong seit Mittwoch vieles verboten, was vorher durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt war. So waren aus Angst vor Verfolgung auch deutlich weniger Menschen auf der Straße als bei früheren Protesten, wo Millionen zusammenkamen. Besonders kontrovers ist, dass es chinesische Agenten künftig erlaubt, in Hongkong eigenmächtig gegen Verdächtigte zu ermitteln.

Das Oberste Gericht Chinas kann zudem „komplizierte“ Fälle, in denen es beispielsweise um ausländische Einmischung geht, an eine Staatsanwaltschaft und ein Gericht in der Volksrepublik anweisen. Damit werden Verdächtigte überstellt und der nicht unabhängigen Justiz in China ausgeliefert. Ähnlich war es schon in dem Auslieferungsgesetz geplant gewesen, das vor einem Jahr die Proteste in Hongkong überhaupt ausgelöst hatte. Nach Massendemonstrationen hatte Hongkongs Regierung das Auslieferungsgesetz aber zurückgezogen.

Bei den seither anhaltenden Märschen forderten die Demonstranten vor allem mehr Demokratie, wie es ihnen bei der Rückgabe 1997 in Aussicht gestellt worden war. Stattdessen reagierte die Führung in Peking mit dem Sicherheitsgesetz, das nicht nur das Parlament Hongkongs, sondern auch dessen Justiz und ihre Schutzmechanismen umgeht.

Das Gesetz richtet sich unter anderem gegen „Abspaltung“ oder „Untergrabung der nationalen Einigung“. Genannt werden Bemühungen, eine Unabhängigkeit Hongkongs oder anderer Gebiete anzustreben, die Peking als Teil der Volksrepublik ansieht. Damit kann es auch um Taiwan, Tibet oder Xinjiang gehen. Bestraft wird auch „Untergrabung der Staatsgewalt“, was heute in der Volksrepublik schon im Umgang mit Bürgerrechtlern oft willkürlich interpretiert wird, so Kritiker.

Ferner richtet sich das Gesetz gegen „Terrorismus“. In diese Kategorie gehört auch Vandalismus in U-Bahnstationen wie bei früheren Ausschreitungen. Das Gesetz bestraft ferner „geheime Absprachen“ mit Kräften im Ausland. Es kann sich auf den Ruf nach Sanktionen oder „feindliche Aktivitäten“ gegen Hongkong oder China beziehen. Das Gesetz erstreckt sich auch auf Ausländer.

In Hongkong wird ein chinesisches Sicherheitsbüro mit Ermittlern eingerichtet. Mit Zustimmung der Hongkonger Regierungschefin können sie Kommunikation von Verdächtigten abfangen und verdeckt ermitteln. Außerdem wird eine Kommission zum Schutz der nationalen Sicherheit mit Hongkongs Regierung und Vertretern der Pekinger Zentralregierung eingerichtet. Ihre Arbeit bleibt aber geheim.

„Es markiert das Ende von Hongkong, wie die Welt es kannte“, meinte der Hongkonger Aktivist Joshua Wong. Bundesaußenminister Heiko Maas forderte ein gemeinsames Vorgehen der EU. Das Gesetz sei „außerordentlich besorgniserregend“, sagte Maas im ZDF-Morgenmagazin. Es werde das Verhältnis zu China beeinflussen. US-Außenminister Mike Pompeo sprach von einem „drakonischen“ Gesetz, mit dem China die Autonomie Hongkongs zerstöre. Die USA würden nicht tatenlos zusehen.

Erstmals seit langem waren am Jahrestag der Rückgabe keine Demonstrationen erlaubt. Es wurde mit der Corona-Pandemie und der „anhaltenden sozialen Unruhe“ in Hongkong begründet. Auf einem weiträumig abgesperrten Areal am Hafen feierte die Regierung ohne jede Öffentlichkeit mit einer Flaggenzeremonie.

© dpa-infocom, dpa:200701-99-627858/9

Demonstranten bilden mit Regenschirmen ein Schutzschild. Foto: Vincent Yu/AP/dpa

Demonstranten bilden mit Regenschirmen ein Schutzschild. Foto: Vincent Yu/AP/dpa

Auch Pfefferspray kommt bei der Polizei gegen die Demonstranten zum Einsatz. Foto: Vincent Yu/AP/dpa

Auch Pfefferspray kommt bei der Polizei gegen die Demonstranten zum Einsatz. Foto: Vincent Yu/AP/dpa

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Erstellt:
1. Juli 2020, 07:10 Uhr

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