IBA-Gelände bekommt ein Leitbild

Zum Abschluss des Bürgerdialogs werden Grundsätze für das Quartier formuliert – Architektenwettbewerb startet im Frühjahr

Bunt, lebendig, ökologisch und innovativ – so wünschen sich die Backnanger das neue Quartier, das bis zur Internationalen Bauausstellung (IBA) in sieben Jahren im Westen der Stadt entlang des Murrufers entstehen soll. In vier Workshops hatten Bürger ihre Ideen und Wünsche formuliert. Das daraus entwickelte Leitbild soll Grundlage für den Planungswettbewerb sein, der im Frühjahr ausgeschrieben wird.

Stadtplanungsamtsleiter Tobias Großmann (rechts) diskutiert mit Bürgern über das IBA-Projekt. In vier Workshops konnten sie ihre Ideen einbringen, jetzt müssen Stadtplaner diese in konkrete Pläne umsetzen.Foto: A. Becher

© Alexander Becher

Stadtplanungsamtsleiter Tobias Großmann (rechts) diskutiert mit Bürgern über das IBA-Projekt. In vier Workshops konnten sie ihre Ideen einbringen, jetzt müssen Stadtplaner diese in konkrete Pläne umsetzen.Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Die Großmutter aus Professor Pröpstls Kasperltheater hat ihre ganz eigene Vision für das Backnanger IBA-Gelände: „Wir bauen ein 500 Meter hohes Hochhaus. Da packen wir alles hochkant rein und das restliche Gelände wird zum Park.“ Der Vorschlag, den Gregor Oehmanns Handpuppe bei der Abschlussveranstaltung des IBA-Dialogs im Backnanger Bürgerhaus präsentierte, hat seinen Charme, aber nur geringe Chancen, verwirklicht zu werden. Schließlich hatte OB Frank Nopper „hochtrabenden Hochhausplänen“ schon in seiner Begrüßungsrede eine Absage erteilt, dabei aber wohl nicht in erster Linie Kasperls Großmutter im Sinn. „Wir wollen hoch hinaus, bleiben aber am Boden“, zitierte Nopper den verstorbenen Stuttgarter Alt-OB Manfred Rommel.

Für andere Ideen aus der Bürgerschaft ist man im Rathaus hingegen offen. Und davon gab es in den vier Bürgerdialogworkshops eine ganze Menge, darunter auch ungewöhnliche, etwa einen Sandstrand am Murrufer oder eine Seilbahnverbindung zum Bahnhof. Die wichtigsten Ergebnisse aus den Bürgerdialogen und vier Expertenworkshops haben Mitarbeiter vom Verein „Generationen. Dialog. Zukunft“, die den Bürgerdialog organisiert hatten, in neun Leitsätzen zusammengefasst (siehe Infobox). Sie bilden die Grundlage für den städtebaulichen Wettbewerb, an dessen Ende ein Masterplan für die Bebauung des 15 Hektar großen Quartiers zwischen Friedrichstraße und Murrtalviadukt präsentiert werden soll. Anfang 2021 soll es soweit sein.

Begonnen habe man im vergangenen Herbst mit einem weißen Blatt Papier, erinnerte sich Baudezernent Stefan Setzer. „Dieses Papier hat sich inzwischen deutlich gefüllt.“ Man wisse nun, was Bürger, Grundstückseigentümer und die aktuellen Nutzer des Gebietes wollen. „Jetzt geht es darum, dass wir uns annähern an ein gemeinsames Ziel“, so Setzer. Dies verlange Kompromissbereitschaft von allen Beteiligten.

Bis zu 1200 Menschen sollen im neuen Quartier wohnen

Laut OB Nopper soll im Backnanger Westen „ein urbanes Quartier mit hoher Dichte und guter Anbindung an das Stadtzentrum entstehen“. Was mit „hoher Dichte“ gemeint ist, präzisierte Baudezernent Setzer. Er kann sich vorstellen, dass in dem neuen Quartier am Ende zwischen 120 und 140 Menschen pro Hektar leben. Das wären deutlich mehr als die in der Region üblichen 90 Personen pro Hektar, aber immer noch weniger als etwa auf dem Bundesgartenschaugelände in Heilbronn (180 Einwohner pro Hektar). Außerdem sollen nur
9 von 15 Hektar überhaupt bebaut werden. Insgesamt könnten in dem Quartier eines Tages bis zu 1200 Menschen leben. „Die kommen aber nicht alle auf einmal, sondern innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre“, so Setzer.

IBA-Intendant Andreas Hofer, der persönlich zur Abschlussveranstaltung nach Backnang gekommen war, sieht in dem Projekt „eine fantastische Chance“. „Jetzt ist der Zeitpunkt, wo wir uns Gedanken über das Arbeiten und Wohnen der Zukunft machen müssen“, sagte Hofer. Das stadtnahe Gelände mit großer industrieller Vergangenheit sei der ideale Ort für ein solches Projekt.

Die Teilnehmer des Bürgerdialogs äußerten sich teilweise weniger euphorisch: „Ich fand die Veranstaltung etwas ergebnisarm und hatte mir mehr erwartet“, meinte etwa Ulrich Klenk, der selbst Architekt ist. Wichtig ist ihm, dass die Bürgerschaft auch in den weiteren Verfahrensschritten mitreden darf, was laut Stefan Setzer auch geplant ist.

Die Backnanger Jugendvertreterin Natalia Grabke berichtete von Sorgen im Jugendzentrum: „Viele fragen sich, wie das Juze mit seinen Partys und Konzerten in dieses Gebiet passen soll.“ Positiv beurteilte hingegen Ernst Skarpil den Bürgerdialog: „Ich fand’s gut, dass wir die Möglichkeit hatten, uns einzubringen und bin zuversichtlich, dass daraus etwas Gutes entstehen wird.“

Kommentar
Klarer Auftrag an die Planer

Von Kornelius Fritz

Bürgerdialoge sind in Mode. Fast jede Kommune, die heutzutage ein größeres Projekt plant, lädt vorher ihre Einwohner ein, damit sie Ideen und Wünsche einbringen können. In vielen Fällen handelt es sich allerdings eher um Alibiveranstaltungen: Man gibt den Bürgern das beruhigende Gefühl, dass sie gehört werden und ihre Meinung sagen dürfen. Gebaut wird am Ende aber das, was Verwaltungsspitze und Gemeinderat von Anfang an vorhatten.

Beim Bürgerdialog zur Internationalen Bauausstellung 2027 war das anders. Hier wurden die Bürger in einem sehr frühen Stadium beteiligt und hatten die Möglichkeit, sich in vier Workshops intensiv mit verschiedenen Fragestellungen zu beschäftigen. Das kam bei den Backnangern gut an. Die Resonanz war mit insgesamt 250 Teilnehmern ungewöhnlich groß, manche haben viel Zeit und Herzblut in dieses Projekt investiert.

Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Die neun Leitsätze, die nun formuliert wurden, sind ein klarer Auftrag. Die Backnanger wollen im Westen der Stadt ein lebendiges und ökologisch vorbildliches Quartier mit viel Grün und einer bunt gemischten Bewohnerschaft. Jetzt sind die Planer an der Reihe, die in einem Wettbewerbsverfahren aus den noch recht abstrakten Leitsätzen erste konkrete Pläne entwickeln werden.

Die spannende Frage ist allerdings, wie viel davon tatsächlich umgesetzt wird. Denn bauen werden am Ende private Investoren, und für die steht in der Regel die eigene Rendite an erster Stelle. Zu glauben, dass irgendwer teure ökologische Vorzeigehäuser baut, um sie dann günstig an sozial Schwache zu vermieten, wäre naiv. Die Stadt wird mit Sicherheit Kompromisse machen müssen. Das kann bei den Bürgern, die sich jetzt so fleißig für das Projekt engagiert haben, auch zu Enttäuschungen führen.

Trotzdem war die frühe und intensive Bürgerbeteiligung richtig: Nur so besteht die Chance, dass das, was auf den 15 Hektar zwischen Friedrichstraße und Murrtalviadukt entsteht, von den Backnangern nicht als Fremdkörper empfunden wird, sondern dass dort im Wortsinn ein neuer Stadtteil entsteht.

k.fritz@bkz.de

Info
Neun Leitsätze für das Quartier Backnang-West

1. Das neue Stadtquartier ist bunt

Backnang-West ist ein lebendiger Stadtteil für alle Bevölkerungsgruppen. Die hohe Qualität des Quartiers ist, dass es sozial gut gemischt und kompakt gebaut ist. Es ist ein attraktiver Ort, der Wohnen, Gewerbe und Natur verknüpft.

2. Wir bauen auf dem auf, was da ist

Der erhaltenswerte Bestand mit Erinnerung an die Industriekultur erblüht neu und bietet Raum für Bildung, zum Ausprobieren verschiedener Nutzungen, Geschäftsmodellen und zum Wachsen für Existenzgründer wie auch für Kulturelles. Das Jugendzentrum ist als soziokulturelles Zentrum ein zentraler Bestandteil von Backnang-West.

3. Backnang-West ist inklusiv und integrativ

Ein guter Mix von Eigentum, Mietwohnungsbau, Genossenschaftsmodellen und neuen Wohnmodellen garantiert soziale Durchmischung und passende Lösungen für alle. Gemeinschaftliches und generationenübergreifendem Wohnen wird gefördert. Die Infrastruktur ist wohnungsnah und barrierefrei gestaltet.

4. Die Bebauung ist ökologisch anspruchsvoll, architektonisch schön und überraschend vielseitig

Backnang-West zeigt eine spannende Verbindung von alt und neu. Neue Formen verbinden sich harmonisch mit den Gebäuden, die von der Tradition des Quartiers erzählen. Das Quartier zeichnet sich durch flexible, vielfältig nutzbare und an veränderte Bedürfnisse anpassbare Gebäudekonzepte aus.

5. Leuchtturm für Klimaneutralität und innovative Bautechnik

Das Stadtquartier ist klimaneutral in Erstellung und Betrieb. Erreicht wird dies durch einen Energiemix, der auf erneuerbaren Energien basiert, und durch innovative Bautechnologien.

6. Mobilität ist erfrischend anders – smart und vernetzt

Die Mobilität von Menschen ist bedarfsorientiert, digital unterstützt und vernetzt organisiert. Ein Leben ohne privates Auto ist möglich. Die Organisation des ruhenden Verkehrs ist intelligent und ohne Beeinträchtigung der Aufenthaltsqualität am Rand des Quartiers gelöst.

7. Murr erleben oder: Leben am Wasser

Die Murr bildet das Rückgrat und besondere Erlebnisräume von Backnang-West. Das Erholungsband der Murr bietet Orte und Aufenthaltsbereiche für alle Altersgruppen – eine Murrinsel mit Strandbereich und Spielmöglichkeiten, eine Gastronomie mit Außenbereich zum Wasser und Sport- und Freizeitnutzungen auf dem Wasser. Ein angelegter Grünstreifen mit Rad- und Fußweg verbindet das Quartier mit der Innenstadt.

8.Raum zum Wohlfühlen, Zusammenkommen und zum Aktivsein

Die Gemeinschaftsstraßen, Plätze und Grünflächen bieten vielseitige Nutzungsmöglichkeiten für Bewohner, Besucher und Beschäftigte jeden Alters. Der öffentliche Raum im Quartier fördert ein breites Spektrum an Möglichkeiten zur Bewegung, Interaktion und Erholung.

9.Backnang wächst zusammen – in guter Verbindung mit der Innenstadt

Backnang-West ist kein „isoliertes“ Quartier, sondern steht mit dem historischen Zentrum in harmonischer Beziehung. Die grüne Achse an der Murr, zusätzliche Mobilitätsangebote und ein Innenstadtring-Bus fördern den Austausch und das Zusammenwachsen der alten und neuen Quartiere.

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Erstellt:
6. Februar 2020, 06:00 Uhr

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