„Ich habe mir meine Freiheit bewahrt“

Rotraud Eitle feiert ihren 105. Geburtstag in ihrem Domizil auf dem Backnanger Hagenbach – Die älteste Bürgerin der Stadt

Heute ist ihr Ehrentag: Rotraud Eitle feiert ihren 105. Geburtstag. Die älteste Bürgerin Backnangs lebt auf dem Hagenbach und wird ihren Geburtstag ganz bescheiden feiern und Besuch bekommen.

Feiert heute ihren 105. Geburtstag: Rotraud Eitle. Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Feiert heute ihren 105. Geburtstag: Rotraud Eitle. Foto: A. Becher

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Der Bürgermeister oder sogar der Oberbürgermeister kommen. Vielleicht. Und sicherlich irgendwann auch ihr Pfarrer. Denn obwohl sie jetzt in Backnang auf dem Hagenbach wohnt, sie fühlt sich eigentlich als Aspacherin. Jeden Sonntag käme jemand aus der Gemeinde und würde sie zum Gottesdienst in die Julianakirche mitnehmen. Großaspach, wie es heute korrekt heißt, ist freilich erst später zu ihrer Heimat geworden.

Geboren ist Rotraud Eitle in dem kleinen Ort Betzweiler, etwa auf halber Strecke zwischen Freudenstadt und Oberndorf am Neckar. Dort war der Vater Pfarrer. Er hat in dem Ort eine Kirche gebaut. Durch Kirchenkonzerte, bei denen er und seine Frau mit zu den Musikern gehörten, trug er zur Finanzierung des Bauwerks bei. „Wir durften auch mithelfen“, sagt Rotraud Eitle. Wobei sich dieses Mithelfen offenbar auf die Ausschmückung der Kirche bezog. Die Emporenbrüstung wird von Engelsbildern geziert. Da war sie mit Geschwistern bei der Anfertigung von Gipsmodellen beteiligt.

Vier Kinder seien sie gewesen. Mit zwei Brüdern und einer Schwester ist Rotraud Eitle aufgewachsen. Nach der Schulzeit hat sie den Beruf der Säuglingsschwester erlernt. Währenddessen wechselte der Vater auf die Pfarrstelle in Flein bei Heilbronn. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, meldete sich Rotraud Eitle beim Roten Kreuz und half in den Feldlazaretten. Sie spürte ganz im Geist der damaligen Zeit, dass sie sich da nicht heraushalten dürfe. „Ich wollte nicht, dass es mir besser geht.“ Und fügt dann hinzu: „Klar wollte ich, dass wir den Krieg gewinnen.“ Bis kurz vor Moskau ist sie mit der Truppe gekommen. Auf Nachfrage, dass das doch für sie als junge Frau ein sehr schwerer Dienst gewesen sei und wie sie dies denn verarbeitet habe, will sie nicht so recht antworten. Den Lazarettdienst in der Nähe von Krakau in Polen nutzte sie dazu, um nach dem jüngeren Bruder zu suchen. Leider vergeblich. Der Bruder blieb vermisst.

Nach dem Krieg machte die Jubilarin in Stuttgart, angeregt durch die Arbeit auf einer Wochenstation, eine Zusatzausbildung zur Hebamme. Einige Zeit war sie in ihrem Beruf dann auch als selbstständige Hebamme unterwegs. Sie erwähnt ein privates Entbindungsheim in der Nähe des Ammersees in Bayern. Später wurde die Landesfrauenklinik in Stuttgart zur beruflichen Heimat. Anfang 40 muss sie gewesen sein, als Rotraud Eitle den Führerschein machte. Und das Auto der Wirtschaftswunderzeit war der VW-Käfer. Sie legte sich einen zu. Schon immer unternehmungslustig nutzte sie das Fahrzeug, um kurzerhand eine Cousine zu besuchen, die sich zur damaligen Zeit in Paris aufhielt. Im Jahr 1973 ging sie dann in den wohlverdienten Ruhestand. Die Eltern hatten ihren Altersruhesitz in Aspach genommen. Sie übernahm das Elternhaus. Vielseitig interessiert und rührig freundete sich die Ruheständlerin mit den Nachbarn an.

Vor allem die Kinder hatten es ihr angetan. Und so wurden Puppen genäht oder Gesellschaftsspiele gespielt, oder es ging zum Pilzesammeln in den Fränkisch-Schwäbischen Wald. Aber auch die Bestrebungen, Kriegswunden zu heilen und zwischen den ehemals verfeindeten Ländern neue Verbindungen zu stiften, interessierten sie sehr. Und weil die Franzosen nun mal Französisch sprechen, machte sie sich daran, zusammen mit ihrer Schwester Gertrud Französisch zu lernen. Auch bei den Besuchen in der Aspacher Partnergemeinde Chemillé war sie dabei. Für Yoga hat sich Rotraud Eitle interessiert und jahrelang entsprechende Kurse besucht. Was sie für sich entdeckte, zog sie durch. „Ich habe mir“, sagt sie, „meine Freiheit bewahrt.“ Erst hat sich Rotraud Eitle gekümmert. Heute kümmern sich die Nachbarn in der Person von Marlies Pilz um sie. „Treue Freundschaft“, so sagt die Jubilarin, „gelte ihr viel.“ Ihren besonderen Geburtstag wird sie ganz bescheiden in ihrem Zimmer auf dem Hagenbach begehen. Und Besuch empfangen.

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Erstellt:
7. Juni 2018, 06:00 Uhr

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