„Ich will noch ein bisschen tanzen“
Das Kesselfestival begeisterte am Wochenende zehntausende Besucherinnen und Besucher auf dem Wasen. Max Herre und Joy Denalane gaben zum Start ein umjubeltes Heimspiel. Für Höhepunkte sorgten auch die Bands Meute und Deichkind sowie die Rapper Kontra K und Ski Aggu.

© Lichtgut/Christoph Schmidt
Einer der Höhepunkte am Freitag: die Hip-Hop-Elektropunks von Deichkind lassen sich bei „Roll das Fass rein“ durchs Publikum treiben.
Von Von Swantje Kubillus
Stuttgart - Das Kessselfestival ist zurück! Neben all den Musik-Acts, die sich über das Festivalgelände verteilen, sorgen auch die Headliner am Freitag für einen tollen Start am Neckarufer. Nachdem am Nachmittag schon Greeen auf der Palastzeltbühne mit Reggae und Battle-Rap gefiel, geben am frühen Abend auf der Hauptbühne Max Herre und Joy Denalane ein Heimspiel.
Nostalgie kommt auf, wenn um kurz nach 18 Uhr der „Esperanto“-Einspieler aus den Boxen tönt, und Max Herre „Wo sind meine Stuttgarter?“ ruft. Singend kommt Joy Denalane dazu, und man weiß: Das Traumpaar des deutschen Hip-Hop ist da, um Liebe durch Musik zu schenken. In gut einer Stunde spielen sie Songs wie „A-N-N-A“, „1ste Liebe“ oder „Skyline“, aus all ihren musikalischen Jahren ist etwas dabei und mündet in ihrem ultimativen Liebeslied „Mit dir“.
Statt Romantik wartet auf der Palastzeltbühne der explosive Sound der elfköpfigen Techno-Marching-Band Meute, die schnell für einen frühabendlichen Rave sorgt: Saxofon, Trompete, Sousafon, Posaune, Trommel, Marimba – Bäm! Auf der Hauptbühne gibt es mit Deichkind das Highlight des Tages! Für zwei Stunden spielen die Hip-Hop-Elektropunks ihr spektakuläres Set. Roger Rekless heizt dem Publikum als MC ein, während die restlichen sechs über die Bühne pfeffern. „Früher Jugendhaus West und heute hier“, ruft Rekless in die Menge – wie die Zeit doch vergeht.
Natürlich haben die Deichkinder ihr Fass dabei, in dem sie sich zu „Roll das Fass rein“ durchs Publikum treiben lassen. Hatten sie beim Auftritt vor zwei Jahren noch eine Fahne mit dem Slogan „Kein Bier für Nazis“ dabei, steht nun „Opas gegen Rechts“ darauf. Sie gehen eben mit der Zeit. Am Ende gibt es „Remmidemmi (Yippie Yippie Yeah)“ und den gewohnten Abriss, bei dem Stuttgart regelrecht zum Soundkessel wird. Eine Neuigkeit gibt es auch noch: Per Einspieler gibt das Berliner Duo SDP bekannt, beim Kesselfestival 2026 dabei zu sein.
Am zweiten Tag des Festivals ist der Wasen fast ein großer Boulevard, über den unzählige Menschen bei nun weniger drückenden Temperaturen zu großen Stars schlendern. Zu Ski Aggu etwa, dem Rapper mit der Skibrille. Er rappt zu schnellen, hellen Beats, vor der Bühne tänzeln Pyro-Flämmchen. Sehr viele, schnelle Worte, noch mehr Worte, Samples und ein rasender Rhythmus, der Sound zuckend, nervös. Die Skibrille blitzt in der Sonne. Der Rapper jodelt, kurz. Dann erinnert ihn einer daran, dass es schon spät ist.
Ski Aggu wehrt sich: „Nein, ich will noch nicht gehen. Ich will noch ein bisschen tanzen!“. Er beginnt ein letztes Stück, dessen rasender Beat jedem in die Beine fährt: „Disco, Party, Sahne!“ Der Rapper weiß, dass alles Übel der Welt seine Ursache in der Einsamkeit hat. Auf dem Wasen ist an diesem Abend keiner alleine, alle singen für ihn: „You’ll never walk alone“ – und später, als er die Bühne verlassen hat: „Griechischer Wein.“
Im Palastzelt ist derweil schon längst kein Platz mehr. Alle warten dort auf Paula Hartmann, Sängerin und Schauspielerin aus Berlin. Luisa und Christina zum Beispiel, beide aus Stuttgart. Von Ski Aggu waren sie begeistert. „Ich find’s super gut“, sagt Luisa. „Ich bin zum dritten Mal hier. Ich mag es, dass das Festival so lokal ist, direkt auf dem Wasen, das zeigt eine Verbundenheit zur Stadt.“ Auf Paula Hartmann freue sie sich. „Das wird etwas, das richtig ans Herz geht. Sie ist eine emotionale, tolle, schöne, coole Frau.“
Viel besser als in den Vorjahren fanden beide die Organisation des Festivals im Hinblick auf Toiletten und Trinkwasser: „Man musste nicht mehr lange warten.“ Von der Hauptbühne rollen dunkle Klangwolken an. Kontra K beginnt seine Show, geht umher, streckt den Arm aus: „Nichts macht uns klein, nicht mal das Leben“, spricht er. Sein Rap ist an der Rock-Musik orientiert; bei ihm steht eine Band auf der Bühne, gellen Gitarren, klopft das Schlagzeug einen schweren Beat, flackern Bilder in Schwarz-Weiß. Kontra Ks Musik ist hart, konfrontativ. „Tollwut“ heißt ein Stück, „Monster“ ein anderes.
Bei Paula Hartmann ist derweil die Kulisse verschwunden, die erst die Bühne verhüllte. Auch sie steht nun mit Band vor ihren Fans und singt stiller, nachdenklicher. Alex aus Stuttgart und Begleitung sind nur wegen hier: „Wir wollten sie immer schon mal live sehen.“ Der Business-Zone schenken sie keine Aufmerksamkeit: „Das Festival wäre schöner, wenn es kleiner, familiärer wäre.“
Schöner wäre es auch mit besserem Timing. Paula Hartmann kam mit viel Verspätung auf die Bühne. Nun wird es dauern, bevor DJ Plastik Funk das Palastbühnenzelt in seinen Tanzpalast verwandelt. Auf dem Gelände sind noch viele Menschen unterwegs, mehr als am Vortag, sagt das Personal. Kontra K lässt die Hauptbühne in Rot und Weiß zucken, ein leichter Wind, eine schwarze Wolke schweben über dem Platz. Ein perfektes Finale für einen perfekten Festivaltag.