Franz Müntefering bei Markus Lanz

„Ich wollte die Wehrpflicht behalten“

Der ehemalige SPD-Vorsitzende Müntefering spricht sich für die Wehrfähigkeit Deutschlands aus – und lobt gleichzeitig „den Friedensapostel“ Willy Brandt.

Ex-SPD-Vorsitzender Franz Müntefering bei Markus Lanz. (Archivbild)

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Ex-SPD-Vorsitzender Franz Müntefering bei Markus Lanz. (Archivbild)

Von Christoph Link

Abseits der Tagespolitik wollte Markus Lanz seine Talkrunde am Dienstag mit dem Ex-SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering (85) und dem Ex-Linken-Fraktionschef Gregor Gysi (77) im ZDF führen, was natürlich nicht gelang: Gleich zu Beginn hat Müntefering mal das desaströse Wahlergebnis für Lars Klingbeil beim SPD-Parteitag eingeordnet, da hätten manche bei der SPD „ein komisches Mütchen gekühlt“, meinte er, aber Mehrheit sei Mehrheit und auch 64,9 Prozent seien in Ordnung und man dürfe in eine solchen Situation nicht beleidigt sein. Willy Brandt hätte wohl in so einer Situation dem Kandidaten Mut gemacht und gesagt: „Da müssen wir durch.“

„Riesensauerei von Lafontaine“

Für den schleichenden Niedergang der einst stolzen SPD, die derzeit laut Umfragen bei 13 Prozent liegt, hatte Müntefering allerdings auch nur die allgemeine Erklärung, dass sich die Politik und die Welt in den vergangenen Jahren stark verändert hätten. Dass Argument von Gregor Gysi ließ Müntefering jedenfalls nicht gelten, der da meinte, dass der Niedergang der SPD mit dem neoliberalen Kurs eines Tony Blairs und eines Gerhard Schröders begonnen habe, der dazu führte, dass die SPD nicht mehr als die Interessen der Arbeitnehmer vertretend wahrgenommen worden sei.

„Die Agenda 2010 war richtig, sie hat viele gute Dinge ausgelöst und ich gehe nicht rückwärts“, meinte Müntefering. Eine Teilschuld an der Misere der SPD sieht er in der von Oskar Lafontaine 1999 vollzogenen Distanzierung von der SPD und der Gründung der Linkspartei: „Das verzeihe ich dem Lafontaine auf keinen Fall. Das war eine Riesensauerei von ihm.“ Die SPD stürzte von 40,9 Prozent im Jahr 1998 ab auf 34,2 Prozent in 2005.

Hunger nach dem Krieg

Beide Studiogäste berichteten vom Hunger und Elend in der frühen Nachkriegszeit und den Krisen des Kalten Krieges. So schilderte Müntefering wie er einmal seine Mutter verdächtigte, das letzte Stück Brot aus dem Küchenschranke essen zu wollen. Heute noch könne er es nicht ertragen, wenn jemand Brot wegwerfe. Sein Vater, der aus dem Krieg zurück kam, als er sechseinhalb Jahre war, habe ihm gesagt, er solle nie in eine Partei eintreten und er wolle „nie wieder deutsche Stiefel im Ausland“ sehen. Dass er jetzt wieder Angst vor einem Krieg habe, konnte Müntefering so nicht bestätigen, er habe „Sorge“ und man müsse aufpassen.

Er selbst sei als der zweite Jahrgang nach der Gründung der Bundeswehr eingezogen worden und er habe gemeinsam mit dem Ex-Verteidigungsminister Peter Struck zu den wenigen in der SPD gehört, die die unter Kanzlerin Angela Merkel vollzogene Aussetzung der Wehrpflicht für falsch hielten, er habe sie behalten wollen. Die gegenläufigen Haltung zu Krieg und Frieden in der Geschichte der SPD sprach Müntefering allerdings auch an: Willy Brandt habe als „Apostel des Friedens“ gegolten und sei deswegen in der Partei beliebt gewesen, Helmut Schmidt sei anfangs „nicht so angesehen“ gewesen, weil er als Juso in einer Uniform herumgelaufen sei und an einer Reserveübung teilgenommen habe.

Friedensappell von Gysi

„Es gibt zu wenig Vorstellung davon, wie schlimm Krieg ist“, meinte Gregor Gysi. Es habe ihn schockiert, dass Friedrich Merz einmal ein CDU-Wahlprogramm mit „Freiheit“ betitelt habe und den Verzicht auf den Zusatz „in Frieden“ damit begründet habe, dass es Frieden auch auf dem Friedhof gebe. „In einem Krieg liegen tote Kinder auf der Straße, Frauen werden vergewaltigt und Männer verlieren ihre Beine oder werden getötet. Es gibt keine Freiheit im Krieg, Freiheit und Demokratie sind ohne Frieden nicht zu haben.“

Trotz dieser pazifistischen Argumentation legte sich Gysi aber nicht prinzipiell gegen eine Wehrpflicht fest. Eine Pflicht solle es erst geben, „wenn es auf anderen Ebenen nicht geht“, meinte der Linkenpolitiker. Fest stehe, dass man die Bundeswehr verteidigungsfähig machen müsse. Wenn man das mit anderen Mittel nicht schaffe, dann könne er sich ein gesellschaftliches Pflichtjahr für junge Männer und junge Frauen vorstellen, das könne dann im Sozialbereich, in einem Dritte-Welt-Land oder bei der Bundeswehr abgeleistet werden.

Der hohe Bedeutungsverlust von Parteien – SPD und CDU haben in den letzten Jahren die Hälfte ihrer Mitglieder verloren – erklärte sich Franz Müntefering mit den stark veränderten Kommunikations- und Informationssträngen. Es sei die Frage, wie die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit wirken sollen, wenn das Volk nicht mehr in die Parteien gehe. „Die Parteien müssen attraktiver werden und ihre Angebote verbessern“, meinte die Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele. Mit erst um 20 Uhr beginnenden Abendsitzungen sei das schwer zu machen. Im übrigen hätten die Grünen und die Linkspartei Mitglieder hinzu gewonnen.

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Erstellt:
23. Juli 2025, 06:44 Uhr
Aktualisiert:
23. Juli 2025, 10:16 Uhr

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